Panizza-Blog [23]: Panizza gegen alle
Panizza zieht also nach Zürich. Er kann sich das leisten, denn noch bekommt er regelmäßig Geld aus Bad Kissingen (vgl. Panizza-Blog 3). Seine literarische Schaffenskraft ist ungebrochen. 1897 erscheint der Band Dialoge im Geiste Huttens. Darin enthalten ein Dialog „Über die Stadt München“, in dem er an der Bayernmetropole wieder kein grünes Haar lässt. Ein weiterer Dialog trägt den Titel „Über die Deutschen. [Dialog] zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten“. Am Ende sagt der Pessimist: „Ich traue diesem Volke nicht, soweit es denkt. Denn soweit es denkt, ist es feig.“ 1979 bringt der Münchner Verlag Mattes & Seitz einen Reprint dieses Buches heraus. Heiner Müller schreibt in seinem Vorwort: „Panizza gehört nicht zu den Engeln der Verzweiflung, deren Himmel der Abgrund von Morgen ist; er bleibt Fußgänger, seine bevorzugte Kampfweise der Clinch, der Watschentanz die Technik seiner Dialoge. [...] Panizza ist ein Terrorist; wer kein Deutscher werden will, sollte ihn lesen.“ Ein Terrorist? Er selber bezeichnet sich nun als Anarchist. Doch davon später. Auf der Rückseite des Buches finden wir ein Tucholsky-Zitat: „Einer, gegen den Heine eine matte Zitronenlimonade genannt werden kann.“
Für Panizza selbst war Heinrich Heine schon immer ein Vorbild (vgl. Panizza-Blog 4). Nun widmet er ihm einen langen Artikel, „Die Krankheit Heinrich Heine's“, in dem er den Deutschen zum Vorwurf macht, diesen Dichter nicht genügend gewürdigt zu haben: „Ihm ein Denkmal in Deutschland zu verweigern, ist eine Unredlichkeit, ein Mangel an historischer Erkenntnisfähigkeit und eine Schande für das künstlerische Empfinden dieses Landes.“ Nein, dieser Artikel erscheint nicht (wie viele Artikel zuvor) in der Münchner Zeitschrift Die Gesellschaft, denn mit ihr, genauer: mit ihrem neuen Schriftleiter Hans Merian, gibt es Streitigkeiten. Inhaltlicher Art: Die Zeitschrift ist für Panizza zu opportunistisch geworden. Doch es geht auch ums Geld. Das geht bis zum Rechtsstreit. Kurzum: Panizza gründet in Zürich einen eigenen Verlag, in dem seine eigene neue Zeitschrift erscheint, die Zürcher Diskuszionen. Untertitel: „Flugblätter aus dem Gesamtgebiet des modernen Lebens“. In der ersten Nummer erscheint dieser Heine-Artikel. Es sind in der Tat Flugblätter, genauer: die Zeitschrift erscheint in der Form von unbeschnittenen Bögen, manchmal ist es nur einer, dann wieder zwei oder drei. Als Verlagssignet wählt Panizza einen kämpferischen Hahn. Er ist allerdings nicht sehr geschäftstüchtig und hat bald Finanzierungsprobleme. Und es gibt weitere Probleme: Ende 1898 wird ihm die Aufenthaltsgenehmigung für Zürich entzogen und er wird ausgewiesen mit der Begründung, er habe eine fünfzehnjährige Prostituierte mit nachhause genommen und nackt fotografiert. Panizza streitet das nicht ab, er habe das Mädchen aus ‚medizinischen Gründen‘ fotografiert. Doch er sieht politische Gründe für seine Ausweisung, man halte ihn für einen Anarchisten. In der Tat hat man in der Schweiz nach der Ermordung der österreichischen Kaiserin Elisabeth am 10. September 1898 in Genf durch einen italienischen Anarchisten alle Exilanten scharf observiert.
In der zwölften Ausgabe der Zürcher Diskuszionen (Dez. 1898) schildert Panizza seinen Fall (S. 6-11). Er gibt zu, mit dieser Prostituierten ‚verkehrt zu haben‘, glaubt aber, dass politische Motive zu seiner Ausweisung geführt hätten. Er hat nichts dagegen, als Anarchist bezeichnet zu werden, „wenn man jede Auflehnung gegen unsere in Deutschland zum Himmel stinkende monarchische Verwüstung als ‚Anarchismus‘ bezeichnen will“. (S. 8) Er habe bei der Fremdenpolizei gegen seine Ausweisung protestiert, ohne Erfolg. Verschiedene Zeitungen hätten über seinen Fall berichtet, doch nie den Fall richtig dargestellt. Kurzum: Panizza kämpft gegen alle! Er verteilt Watschen in alle Richtungen: gegen die Münchner, gegen die Deutschen, gegen die Schweizer... Und abschließend fordert er noch den ‚großen Unbekannten‘, der in Wahrheit seine Ausweisung befohlen habe, auf, sich zu erkennen zu geben. (S. 11) Ein Fall von Verfolgungswahn? Diese Frage wird uns noch beschäftigen.
———————————————————–
Panizza-Blog [23]: Panizza gegen alle>
Panizza zieht also nach Zürich. Er kann sich das leisten, denn noch bekommt er regelmäßig Geld aus Bad Kissingen (vgl. Panizza-Blog 3). Seine literarische Schaffenskraft ist ungebrochen. 1897 erscheint der Band Dialoge im Geiste Huttens. Darin enthalten ein Dialog „Über die Stadt München“, in dem er an der Bayernmetropole wieder kein grünes Haar lässt. Ein weiterer Dialog trägt den Titel „Über die Deutschen. [Dialog] zwischen einem Optimisten und einem Pessimisten“. Am Ende sagt der Pessimist: „Ich traue diesem Volke nicht, soweit es denkt. Denn soweit es denkt, ist es feig.“ 1979 bringt der Münchner Verlag Mattes & Seitz einen Reprint dieses Buches heraus. Heiner Müller schreibt in seinem Vorwort: „Panizza gehört nicht zu den Engeln der Verzweiflung, deren Himmel der Abgrund von Morgen ist; er bleibt Fußgänger, seine bevorzugte Kampfweise der Clinch, der Watschentanz die Technik seiner Dialoge. [...] Panizza ist ein Terrorist; wer kein Deutscher werden will, sollte ihn lesen.“ Ein Terrorist? Er selber bezeichnet sich nun als Anarchist. Doch davon später. Auf der Rückseite des Buches finden wir ein Tucholsky-Zitat: „Einer, gegen den Heine eine matte Zitronenlimonade genannt werden kann.“
Für Panizza selbst war Heinrich Heine schon immer ein Vorbild (vgl. Panizza-Blog 4). Nun widmet er ihm einen langen Artikel, „Die Krankheit Heinrich Heine's“, in dem er den Deutschen zum Vorwurf macht, diesen Dichter nicht genügend gewürdigt zu haben: „Ihm ein Denkmal in Deutschland zu verweigern, ist eine Unredlichkeit, ein Mangel an historischer Erkenntnisfähigkeit und eine Schande für das künstlerische Empfinden dieses Landes.“ Nein, dieser Artikel erscheint nicht (wie viele Artikel zuvor) in der Münchner Zeitschrift Die Gesellschaft, denn mit ihr, genauer: mit ihrem neuen Schriftleiter Hans Merian, gibt es Streitigkeiten. Inhaltlicher Art: Die Zeitschrift ist für Panizza zu opportunistisch geworden. Doch es geht auch ums Geld. Das geht bis zum Rechtsstreit. Kurzum: Panizza gründet in Zürich einen eigenen Verlag, in dem seine eigene neue Zeitschrift erscheint, die Zürcher Diskuszionen. Untertitel: „Flugblätter aus dem Gesamtgebiet des modernen Lebens“. In der ersten Nummer erscheint dieser Heine-Artikel. Es sind in der Tat Flugblätter, genauer: die Zeitschrift erscheint in der Form von unbeschnittenen Bögen, manchmal ist es nur einer, dann wieder zwei oder drei. Als Verlagssignet wählt Panizza einen kämpferischen Hahn. Er ist allerdings nicht sehr geschäftstüchtig und hat bald Finanzierungsprobleme. Und es gibt weitere Probleme: Ende 1898 wird ihm die Aufenthaltsgenehmigung für Zürich entzogen und er wird ausgewiesen mit der Begründung, er habe eine fünfzehnjährige Prostituierte mit nachhause genommen und nackt fotografiert. Panizza streitet das nicht ab, er habe das Mädchen aus ‚medizinischen Gründen‘ fotografiert. Doch er sieht politische Gründe für seine Ausweisung, man halte ihn für einen Anarchisten. In der Tat hat man in der Schweiz nach der Ermordung der österreichischen Kaiserin Elisabeth am 10. September 1898 in Genf durch einen italienischen Anarchisten alle Exilanten scharf observiert.
In der zwölften Ausgabe der Zürcher Diskuszionen (Dez. 1898) schildert Panizza seinen Fall (S. 6-11). Er gibt zu, mit dieser Prostituierten ‚verkehrt zu haben‘, glaubt aber, dass politische Motive zu seiner Ausweisung geführt hätten. Er hat nichts dagegen, als Anarchist bezeichnet zu werden, „wenn man jede Auflehnung gegen unsere in Deutschland zum Himmel stinkende monarchische Verwüstung als ‚Anarchismus‘ bezeichnen will“. (S. 8) Er habe bei der Fremdenpolizei gegen seine Ausweisung protestiert, ohne Erfolg. Verschiedene Zeitungen hätten über seinen Fall berichtet, doch nie den Fall richtig dargestellt. Kurzum: Panizza kämpft gegen alle! Er verteilt Watschen in alle Richtungen: gegen die Münchner, gegen die Deutschen, gegen die Schweizer... Und abschließend fordert er noch den ‚großen Unbekannten‘, der in Wahrheit seine Ausweisung befohlen habe, auf, sich zu erkennen zu geben. (S. 11) Ein Fall von Verfolgungswahn? Diese Frage wird uns noch beschäftigen.
———————————————————–