Panizza-Blog [11]: Von unzüchtigen Schriften und Theaterstücken
In den 1890er war die Lex Heinze, so genannt nach einem Berliner Zuhälter, in aller Munde. 1892 wurde die erste Fassung des Gesetzes, das allerdings erst 1900 angenommen wurde, vorgelegt. § 184 des Reichsstrafgesetzbuches – „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ – lautete in seiner endgültigen Fassung:
Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer
unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist;
unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überlässt oder anbietet;
Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist;
öffentliche Ankündigungen erlässt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen.
Im wilhelminischen Deutschland ist man schon früher gegen jede (vermeintliche) Unsittlichkeit vorgegangen und die Münchner Modernen um Michael Georg Conrad und Oskar Panizza, der sich vehement dagegen einsetzte, waren direkt davon betroffen: Ihre 1891 veröffentlichte Anthologie Modernes Leben. Ein Sammelbuch der Münchner Modernen wird sofort nach Erscheinen konfisziert. Unter anderem wegen Panizzas Erzählung Das Verbrechen in Tavistock-Square. Panizza (er verlegt das Geschehen in das ihm wohl bekannte London) macht sich darin über die Prüderie seiner Zeit lustig, er schildert, wie einige Blumen (Rosen und Magnolien) zum Entsetzen der Polizei munter onanieren. Der arme Bobby, der dieses Verbrechen meldet kommt später ins Irrenhaus...
Am 2. Dezember 1891 hält Panizza noch einen Vortrag am 7. öffentlichen Abend der Gesellschaft für Modernes Leben mit dem Thema „Die Unsittlichkeits-Entrüstung der Pietisten und die freie Literatur“. Das alles sorgt für einige Aufregung, so dass Michael Georg Conrad die von ihm gegründete Gesellschaft verlässt, da er nicht mit umstürzlerischen Gedanken in Verbindung gebracht werden will. Seine Freundschaft mit Panizza wird hier zum ersten Mal getrübt. Panizza lässt das Thema keine Ruhe. Er schreibt sein erstes Theaterstück, das allerdings erst 1894 veröffentlicht wird: Der heilige Staatsanwalt. Eine moralische Komödie in fünf Szenen (nach einer gegebenen Idee). Es ist ein Ideendrama, in dem die Wollust persönlich („ein Weib“!) vor Gericht erscheinen muss. Ihre Verurteilung wird von allen erwartet. Doch Panizza lässt Martin Luther auftreten, der die Wollust verteidigt und ihren Freispruch erreicht. Das Stück wird nicht aufgeführt und ist auch meines Wissens bis heute nicht aufgeführt worden. Panizza ist aber nun bei der Justiz kein Unbekannter mehr... (Hinweis: 2002 erschien eine bibliophile Liebhaberausgabe des Dramas mit Illustrationen von Klaus Waschk im Leipziger Verlag Faber & Faber.)
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Panizza-Blog [11]: Von unzüchtigen Schriften und Theaterstücken>
In den 1890er war die Lex Heinze, so genannt nach einem Berliner Zuhälter, in aller Munde. 1892 wurde die erste Fassung des Gesetzes, das allerdings erst 1900 angenommen wurde, vorgelegt. § 184 des Reichsstrafgesetzbuches – „Verbreitung unzüchtiger Schriften“ – lautete in seiner endgültigen Fassung:
Mit Gefängnis bis zu einem Jahre und mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit einer dieser Strafen wird bestraft, wer
unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen feilhält, verkauft, verteilt, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder anschlägt oder sonst verbreitet, sie zum Zwecke der Verbreitung herstellt oder zu demselben Zwecke vorrätig hält, ankündigt oder anpreist;
unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen einer Person unter sechzehn Jahren gegen Entgelt überlässt oder anbietet;
Gegenstände, die zu unzüchtigem Gebrauche bestimmt sind, an Orten, welche dem Publikum zugänglich sind, ausstellt oder solche Gegenstände dem Publikum ankündigt oder anpreist;
öffentliche Ankündigungen erlässt, welche dazu bestimmt sind, unzüchtigen Verkehr herbeizuführen.
Im wilhelminischen Deutschland ist man schon früher gegen jede (vermeintliche) Unsittlichkeit vorgegangen und die Münchner Modernen um Michael Georg Conrad und Oskar Panizza, der sich vehement dagegen einsetzte, waren direkt davon betroffen: Ihre 1891 veröffentlichte Anthologie Modernes Leben. Ein Sammelbuch der Münchner Modernen wird sofort nach Erscheinen konfisziert. Unter anderem wegen Panizzas Erzählung Das Verbrechen in Tavistock-Square. Panizza (er verlegt das Geschehen in das ihm wohl bekannte London) macht sich darin über die Prüderie seiner Zeit lustig, er schildert, wie einige Blumen (Rosen und Magnolien) zum Entsetzen der Polizei munter onanieren. Der arme Bobby, der dieses Verbrechen meldet kommt später ins Irrenhaus...
Am 2. Dezember 1891 hält Panizza noch einen Vortrag am 7. öffentlichen Abend der Gesellschaft für Modernes Leben mit dem Thema „Die Unsittlichkeits-Entrüstung der Pietisten und die freie Literatur“. Das alles sorgt für einige Aufregung, so dass Michael Georg Conrad die von ihm gegründete Gesellschaft verlässt, da er nicht mit umstürzlerischen Gedanken in Verbindung gebracht werden will. Seine Freundschaft mit Panizza wird hier zum ersten Mal getrübt. Panizza lässt das Thema keine Ruhe. Er schreibt sein erstes Theaterstück, das allerdings erst 1894 veröffentlicht wird: Der heilige Staatsanwalt. Eine moralische Komödie in fünf Szenen (nach einer gegebenen Idee). Es ist ein Ideendrama, in dem die Wollust persönlich („ein Weib“!) vor Gericht erscheinen muss. Ihre Verurteilung wird von allen erwartet. Doch Panizza lässt Martin Luther auftreten, der die Wollust verteidigt und ihren Freispruch erreicht. Das Stück wird nicht aufgeführt und ist auch meines Wissens bis heute nicht aufgeführt worden. Panizza ist aber nun bei der Justiz kein Unbekannter mehr... (Hinweis: 2002 erschien eine bibliophile Liebhaberausgabe des Dramas mit Illustrationen von Klaus Waschk im Leipziger Verlag Faber & Faber.)
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