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Marie

... spaziert auf den Spuren einer verlorenen Liebe durch den Nymphenburger Park, begleitet von einem Gedicht.

 

Schloss Nymphenburg

Schwäne segeln majestätisch den Kanal hinauf, ihre Spiegelbilder schwimmen watteweiß im Sommerhimmel. Reisebusse vor dem Schlossrondell, aus ihren heißen Bäuchen ergießen sich Touristenschwärme in den Schatten des barocken Herrschaftshauses. Dort teilen sich die Interessen, und während die einen umgehend in den geschickt platzierten Laden strömen und den Reizen adlig inspirierter Souvenirs verfallen, schlendern die andern mit gezückter Kamera durch die gusseisernen Tore. Flanieren zwischen Blumenbeeten im symmetrisch angelegten Park den Lustschlössern barocker Liebesbrunft entgegen. Marie schleicht ihnen nach. Aus der hohen Galerie lugen Ludwigs verblichene Schönheiten ihr hinterdrein. Sehnsüchtig oder leise weise? Im Rucksack trägt sie ihr Gedicht „Parkgänger“ aus lockerliederlichen Liebestagen. Es schmerzt, es brennt, es reißt. Aber sie will ihn immer wieder leben, diesen mit dem letzten Eis geschmolzenen Traum aus Leidenschaft und Ewigtreue. Und zieht aufs Neue in den Park. Und liest. Und lacht. Und weint über die Zeilen, die sie vor einem Jahr aus Mitleid schrieb für all die einsamalten Männer, die sommers in safarihellen Scharen auf den galanten Pfaden lauern, um Spaziergängerinnen anzubaggern zu einem amourösen Schlendergang.

 

Pagodenburg

Sie ziehen ihre Spuren durch den Park.

Schneckenläufe zwischen flüsternden Geschichten, Einsamkeiten in den Fängen blattverliebter Lispelwinde.

Schattenwege winden sich vom Kanal hinüber zur Pagodenburg. Marie riecht Pfeifenduft und setzt sich kurz auf ihre Bank. Lang lang ist’s her. Da lag sie, Kopf im Schoß, und zählte Wolkenschafe. Liebe zirpte ihr ins Ohr, doch seine Finger hatten sich da schon im Ansatz losgelöst aus ihren Locken. Er sprach von fernen Orten und Terminen. Und ließ ihr Werben im Vorüberdenken liegen. Von aufgewühlten Laken, feuchten Nächten und gemeinsamen Orgasmen bleibt ihr jetzt der Schulterblick in Max Emanuels Privatissime. Sicher, so mache Rokokoschönheit hat es ihr gleichgetan, hier, aber lindert dieses Wissen ihre Trauer? Ihre Wut?

 

Monopteros

Weisheitsweiß vom Blickwipfel zur Hosenspitze

Schlendern sie zwei Finger breit über den Schattenwegen.

Drei, vier, fünf Stufen und du bist im Himmel. Wie oft haben sie hier ihre Gedanken in die Luft geworfen und als Wünsche wieder aufgefangen? Wie viele Träume hat sie ausgesetzt, auf den blaugrauen Kräuselwellen im Badenburger See? Allein das Schleichen auf den grün verschlungenen Wegen, geheimnissüße Leichtigkeit im Kopf wie von zu viel Sprizz! Und da stand er, im Halbdunkel des Monopteros, Sonnenlicht wie eine Aureole um das kahle Haupt! Nein, Marie ist ehrlich. Ein Adonis war er nicht. Jung auch nicht mehr. Mittelalt, mittelgroß, aber kein Mittelmaß. Eine Frau, vier Kinder und im Herzen diese Sehnsucht nach dem wahren Leben, nach der Zwillingsseele. Ach was! Nach dem stillen Glück erschwindelter Momente! Marie, vom Pech verfolgt, blieb an ihm kleben. So lange, bis er sich von ihr löste. Dazu brauchte er nicht einmal die Treppen des Monopteros. Per SMS entsagte er ihrer Liebe. Oder der Entscheidung, wie man(n)s nimmt. Marie nimmt’s schwer. Und wandert jetzt allein umher auf ihren heiligen Gemeinsamwegen.

 

Badenburg

Dunkle Ausweichaugen werfen ihre Ruten hinter deinem Rücken.

Manche schleppen einen Hund im Tau,

Blass getuschte Täuschung alternder Lebendigkeit.

Warum auf mich? Denkt sie. Und flüchtet instinktiv vor dem „mal’occhio“, dem bösen Blick, der plötzlich aus den alten Augen der umherstreifenden Gigolos zu tropfen scheint. Nein, ganz gewiss nicht ich. Ich bin jung. Jünger, jedenfalls. Und nein! Ich bin nicht allein! Ich werfe zwar nur einen schmalen Einzelschatten auf den Kies, aber ich könnte auch zu zweit auf diesen Löwentreppen sitzen, ich könnte doppelte Gedankensünden in den leeren Badetempel werfen, und – hach! – ich würde gern mit türkischen Verführungskünsten meinem ganz privaten Fürsten diesen Nachmittag versüßen!

 

Magdalenenklause

Andere kleben harzbeträumt auf braunen Bänken ohne Sonnenmut.

Schießen stumm und nachgespäht Vermutungen auf deinen Gang.

Gartenzwerge Restbestände eines ausgespielten Liebesmemory.

Und warum nicht? Der da hinten, an der Buche, der sich grad den Hosenstall zuknöpft, schaut gar nicht mal so übel aus. Komm, Marie, so alt ist der nicht. Sechzig höchstens, und gut in Schuss. Graue Haare, aber dafür nicht getönt. Und schulterlang! Bestimmt ein Künstler, der nur seinen Skizzenblock vergessen hat. Kunstinteressiert, auf jeden Fall. Er schaut in alle Fenster des Memento Mori, vielleicht sucht er da drin nach seiner Jugend? Marie, bedenke, dass du sterblich bist! Deine Haut wird auch nicht straffer, dein Po hat ebenso wie deine Brüste schon die Erdanziehungskraft entdeckt. Wie viele Liebesleichen liegen wohl in seinem Keller? Und in deinem? Vielleicht ist es an der Zeit, die Karten neu zu mischen, denkt sie. Gartenzwerge sind im Grunde doch ganz niedlich. Zahlen keine Alimente, kriegen Rente, und vor allem: niemand ist mehr auf sie scharf. Konkurrenzlos liebessatt, das wär’s. Zur Leidenschaft gibt es die kleinen blauen Pillen. Und sie kann dafür auf ihre ganz verzichten. Jetzt steht sie neben ihm und starrt pseudo-versunken in das Innere der Grotte. Ein gezielter, nicht zu fester, nicht zu sanfter Stoß. „Oh, Verzeihung, tut mir leid. Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“

So beginnen Nymphenburger Sommerparkromanzen. Auf dem Weg zur großen Kaskade zerrupft sie ihr Gedicht in zentimeterkleine Flocken. Und lässt sie auf die Schwäne regnen. „Was stand denn drauf?“ fragt er. Sie schaut ganz ernst. Dann lacht sie kurz. „Ein Gedicht. Mehr nicht.“


Den ganzen Spaziergang auf der Karte verfolgen ...

Verfasst von: © Marie Bastide (Maria-Jolanda Boselli), 2011