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Plakat zur Ausstellung "Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894-1933" (2018)

München, Barer Straße 21

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Barer Straße 21 (mit Jalousie) seit 1925, Vereinslokal des Schriftstellerinnenvereins, 26. Mai 1914, FS-HB-XVI-0543 (c) Stadtarchiv München

1899, im gleichen Jahr als der Erste bayerische Frauentag stattfindet, gelingt es Johanna Tecklenborg (1851-1933), der Nachfolgerin von Sophie Dahn-Freis, mithilfe von Mitglieder-Spenden im April 1899 ein Anwesen in der Barer Straße 21 zu erwerben, in dessen grünen Garten bald das „Künstlerinnenhaus“ mit seinen Ateliers liegt. Zum Anwesen gehört damals ein großer Park. Auch der rückwärtige Teil des früheren Palais der Lola Montez mit dem noch erhaltenen Gartenpavillon liegt auf dem Vereinsgrundstück, ebenso auch idyllische Seitengebäude, in denen einstmals der frühere Leibarzt König Ludwigs I. gewohnt hat.

Hier findet die Damenakademie jetzt ganz andere Ateliers als noch in der Türkenstraße, wo man Tür an Tür mit einem Zementlager gearbeitet hat, umhüllt vom Pferdedunst und Mistgeruch benachbarter Ställe. In der Barer Straße 21 richtet man nun auch eine Bibliothek ein und baut einen Gesellschaftsaal, in dem glänzende Weihnachtsfeiern und Faschingsbälle gefeiert werden. Männer sind hier ausgeschlossen. Allwöchentliche Vereinsnachmittage, ein interessantes Winterprogramm von musikalischen und literarischen Vorträgen führen dazu, dass die Mitglieder immer häufiger zusammenkommen und sich hier auch in jeder Bedrängnis Rat und Unterstützung holen können.

Doch im Künstlerinnenhaus in der Barer Straße 21 finden auch Theateraufführungen statt, u.a. werden hier Festspiele der Malerin und Dichterin Marie Haushofer aufgeführt, die selbst Mitglied im Künstlerinnenverein ist. So kommt hier ihr anlässlich des Münchner Jugendtages verfasstes Schauspiel Frau Holle am 29. Mai 1910 zur Aufführung: „Ein Festabend mit einem lustigen Festspiel Frau Holle von Marie Haushofer nebst gemeinschaftlichem Abendessen und Tanz beschloss den Haupttag.“ 1914 wird hier dann auch Haushofers Festspiel Der Garten der Erinnerung aufgeführt. Im Mittelpunkt des heute verschollenen Stücks stehen die Anfänge der Frauenbewegung. Geschrieben hat sie es für den Verein für Fraueninteressen, anlässlich seines 20-jährigen Bestehens. Unter großem Applaus wird es am 4. Mai 1914 im Künstlerinnenhaus aufgeführt:

Der von den Mitgliedern der Jugendgruppe festlich geschmückte Saal des Künstlerinnenhauses vermochte die Zahl der Teilnehmerinnen kaum zu fassen. [...] Ein reizendes Festspiel, von Marie Haushofer verfaßt, führte uns von der Vergangenheit zur Gegenwart, in stimmungsvoller Mischung von Ernst und Scherz der Arbeit der verflossenen 20 Jahre, in huldigender Verehrung der verewigten Führerin Ika Freudenberg gedenkend!

Als im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbricht, stellen die Künstlerinnen ihr Haus dem „Roten Kreuz“ zur Verfügung. Bald jedoch beschlagnahmt es die Militärbehörde, und so bleibt es bis 1917 mit Soldaten belegt. Als dann nach dem Krieg die Inflation über das Land hereinbricht, geht diese auch am Künstlerinnenverein nicht spurlos vorüber. Ein Teil des Hauses muss nun an die Musikschule vermietet werden.

Nach dem Krieg erlebt Martha Giese (1860-1923), die vierte Vorsitzende des Vereins, dann das Unglaubliche und ewig Angestrebte: Die staatliche Akademie nimmt jetzt auch weibliche Studierende auf. Zu diesem Zeitpunkt stehen den Frauen in Bayern seit 1903 längst alle anderen Hochschulen offen. Dass es endlich so weit kommt, führt der Verein selbst auf sein 40-jähriges vorbildliches Wirken zurück. Da die Staatsakademie den Frauen nun also das lang verwehrte Tor aufschließt, wird die Damenakademie (deren Lehrgang sich schon lang zuvor dem der Kunstakademie angepasst hat) überflüssig. Und so wird im Juli 1920 die Damenakademie des Künstlerinnenvereins, die seit 1899 in der Barer Straße 21 ansässig gewesen ist, geschlossen.

Der Verein, der erfolgreich weiter von Johanna Hoke geleitet wird, wendet sich nun anderen Aufgaben und Tätigkeiten zu. Bald gibt es hier Lichtbildervorträge, musikalische Veranstaltungen und Theateraufführungen, Ausstellungen, geselliges Zusammentreffen und vieles Weitere, was dem Zusammenschluss und den Netzwerken dient.

In die ehemaligen Räume der Damenakademie zieht seit dem 5. Februar 1925 der von Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel 1913 gegründete Schriftstellerinnenverein ein, der sich bis dahin ganz in der Nähe in der Briennerstraße 37 und Ottostraße 1 im Café Ethos getroffen hat. Bis zu seiner Auflösung im Jahre 1933 hält der Münchner Schriftstellerinnenverein fortan in der Barer Straße 21 seine Sitzungen, Feiern und Feste ab, ist dies das Vereinslokal des Vereins. Er tagt im Gartenhaus des Künstlerinnenvereins.

Hier findet am 14. April 1924 auch die Feier des 70. Geburtstages von Emma  Haushofer-Merk sowie des 60. Geburtstages von Carry Brachvogel statt. Nicht nur der Münchner Stadtrat und der Bürgermeister gratulieren, auch der Deutsche Schriftstellerinnenbund (Berlin) sendet Glückwünsche. Über Carry Brachvogel und Emma Haushofer-Merk erscheinen deutschlandweit Zeitungsartikel, in denen beider Werk und Wirken gewürdigt werden. Seit 1925 (Tod Emma Haushofer-Merks) führt Carry Brachvogel den Verein bis 1933 mit der Schriftstellerin Eva Gräfin von Baudissin in diesen Räumlichkeiten fort. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird das Haus in der Barer Straße 21 am 10. Januar 1935 gänzlich aufgegeben und das Gebäude abgerissen.

Der Künstlerinnenverein bezieht nun neue Räume in der Akademiestraße 17 und 19, nicht weit entfernt von der Türkenstraße, wo der Verein in den 1880er-Jahren erstmals Räume für sich gemietet hat. Offiziell besteht der Verein noch bis zum Jahr 1967. Dann wird er endgültig aus dem Vereinsregister gelöscht.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Brachvogel, Carry (1932): Künstlerinnen-Verein München 1882-1932. In: Münchner Neueste Nachrichten, „Die Frau“, Nr. 275, 9. Oktober.

Deseyve, Yvette (2005): Der Künstlerinnen-Verein München e.V. und seine Damenakademie. Eine Studie zur Ausbildungssituation von Künstlerinnen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Herbert Utz Verlag, München.

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1911): Jahrbuch. München, S. 13.

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1915): 22. Jahrbuch. München, S. 6.

Wolf, Georg Jacob (1924): Die Münchnerin. Kultur- und Sittenbilder aus dem alten und neuen München. München, S. 220.