München, Café Ethos, Ottostraße 1
München um 1900: In der Ottostraße 1 entwirft Franziska Scheller das Tagesmenü ihres vegetarischen Luxusrestaurants Ethos: Kaiser-Friedrich-Suppe – Nudelauflauf mit Tomatentunke. Creme mit Fruchtunterlage. Das Augenmerk liegt auf frisch zubereiteten, naturbelassenen Produkten, die in variantenreichen Aufläufen, in Wasserbad gegarten Puddings oder Bratlingen Eingang finden. Überlegungen zur Naturbelassenheit von Nahrungsmitteln stellen demnach keine Erfindung der „Ökos“ in den 1970er-Jahren oder erst unserer Tage dar; dies alles gab es bereits in der avantgardistischen Zeit um 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges.
Die Jugendreformbewegung lebt schon um 1900 ein Nachhaltigkeitskonzept mit ganzheitlichem Ansatz. Sie versteht den Mensch als sinnliches, fühlendes Wesen, der es sich zum Ziel setzen soll, die Werte Schönheit und Ästhetik auch in seinem Leben umzusetzen. Zu dem damaligen Verständnis gehört der Genuss, die bewusste sinnliche Wahrnehmung untrennbar dazu. Nicht viel anders als heute findet der Vegetarismus bereits seit dem Fin de siècle großen Zuspruch, auch und gerade in der gehobenen Gastronomie. Seitdem entstehen viele Kochbücher, die sich der fleischlosen Küche verschreiben und Rezepte präsentieren, die noch heute von höchster Aktualität sind. Ein damals bekanntes Kochbuch ist das von Julian Marcuse, das um Münchner Max Reinhard Verlag erscheint und den Titel Die fleischlose Küche trägt. Nach ihm wurde auch im Restaurant Ethos gekocht. Die damals einführenden Worte könnten aus heutigen vegetarischen Kochbüchern stammen:
Hat die wissenschaftliche Erkenntnis die Bahn für eine rationelle Zusammensetzung unserer Nahrung geebnet und mit althergebrachten Vorstellungen, die im Laufe der Zeiten ihre Beweiskraft verloren haben, gebrochen, so mußte als nächster Schritt die Ausbildung einer Küche folgen, die mit Vermeidung der als irrationell und gesundheitsschädlich erkannten Stoffe den Forderungen der Ernährungswissenschaften wie den Erfahrungen der Praxis gerecht zu werden suchte. Diese Bestrebungen schufen den Vegetarismus, dessen Emporkommen und dessen mehr und mehr sich ausbreitende Verbreitung wir alle erlebt haben. Es ist hier nicht der Platz, seine Tragweite und seine Berechtigung in den Kreis der Darlegungen zu ziehen, und wenn wir das vorliegende Buch ein „Kochbuch der fleischlosen Küche“, nicht aber ein „Vegetarisches Kochbuch“ genannt haben, so geschah dies aus der Erwägung heraus. daß es vor allem darauf ankommt, weite Volkskreise, die sich noch ablehend gegenüber den Ergebnissen der Forschung wie der praktischen Erfahrung verhalten, für eine Reform unserer bisherigen Ernährungsweise zu gewinnen.
In heutiger Terminologie würde man das frühere Café-Restaurant Ethos als In-Place bezeichnen, wo die kreative Avantgarde der Bajuwaren-Metropole Diskussionen über ganz ähnliche Themen führte, wie sie Franziska Scheller auch versucht in ihrer Küche umzusetzen und in der Angemessenheit des Materials, in Schönheit und Stil Gestalt zu verleihen. Ein neues kritisches Lebensgefühl wird nicht nur in literarische, bildnerische, sondern auch in neue ästhetische Ausdrucksformen des Essens übersetzt. Frühere Reklamemarken und Plakate des Café Ethos kann man noch heute antiquarisch erwerben.
Als im Oktober 1913 der Münchner Schriftstellerinnenverein gegründet wird, bestimmt man als Lokal für die weiteren Zusammenkünfte, die etwa jeden Monat einmal stattfinden sollen, dann auch die angesagte vegetarische Gaststätte Ethos (Ottostraße 1, heute: Barerstraße 1) als künftigen Treffpunkt.
Immer am ersten Dienstag eines Monats um 15.30 Uhr finden hier nun die Mitgliedertreffen des Schriftstellerinnenvereins statt.
Das Gebäude in der Ottostraße 1 steht heute nicht mehr. Allerdings sind im Stadtarchiv München noch alte Fotografien aus den Jahren 1925 und 1932 erhalten, die heute einen Eindruck vom Standort des Ethos vermitteln und dessen Gebäudeansicht zeigen, hier nun bereits mit der Hausnummer 2.
Zur Station 24 von 26 Stationen
Sekundärliteratur:
Kritzmöller, Monika (2011): Sinnenfreuden. Eine Ästhetik der Nachhaltigkeit. In: Ernährung im Fokus. 11. Jg. August; URL: http://www.kritzmoeller.ch/bilder/Kritzmoeller_%20Sinnenfreuden%20eif%2008_2011.pdf, (25.05.2018).
Marcuse, Julian; Woerner, Bernhardine (Hg.) (2015): Die fleischlose Küche: eine theoretische Anleitung und ein praktisches Kochbuch. München.
München um 1900: In der Ottostraße 1 entwirft Franziska Scheller das Tagesmenü ihres vegetarischen Luxusrestaurants Ethos: Kaiser-Friedrich-Suppe – Nudelauflauf mit Tomatentunke. Creme mit Fruchtunterlage. Das Augenmerk liegt auf frisch zubereiteten, naturbelassenen Produkten, die in variantenreichen Aufläufen, in Wasserbad gegarten Puddings oder Bratlingen Eingang finden. Überlegungen zur Naturbelassenheit von Nahrungsmitteln stellen demnach keine Erfindung der „Ökos“ in den 1970er-Jahren oder erst unserer Tage dar; dies alles gab es bereits in der avantgardistischen Zeit um 1900 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges.
Die Jugendreformbewegung lebt schon um 1900 ein Nachhaltigkeitskonzept mit ganzheitlichem Ansatz. Sie versteht den Mensch als sinnliches, fühlendes Wesen, der es sich zum Ziel setzen soll, die Werte Schönheit und Ästhetik auch in seinem Leben umzusetzen. Zu dem damaligen Verständnis gehört der Genuss, die bewusste sinnliche Wahrnehmung untrennbar dazu. Nicht viel anders als heute findet der Vegetarismus bereits seit dem Fin de siècle großen Zuspruch, auch und gerade in der gehobenen Gastronomie. Seitdem entstehen viele Kochbücher, die sich der fleischlosen Küche verschreiben und Rezepte präsentieren, die noch heute von höchster Aktualität sind. Ein damals bekanntes Kochbuch ist das von Julian Marcuse, das um Münchner Max Reinhard Verlag erscheint und den Titel Die fleischlose Küche trägt. Nach ihm wurde auch im Restaurant Ethos gekocht. Die damals einführenden Worte könnten aus heutigen vegetarischen Kochbüchern stammen:
Hat die wissenschaftliche Erkenntnis die Bahn für eine rationelle Zusammensetzung unserer Nahrung geebnet und mit althergebrachten Vorstellungen, die im Laufe der Zeiten ihre Beweiskraft verloren haben, gebrochen, so mußte als nächster Schritt die Ausbildung einer Küche folgen, die mit Vermeidung der als irrationell und gesundheitsschädlich erkannten Stoffe den Forderungen der Ernährungswissenschaften wie den Erfahrungen der Praxis gerecht zu werden suchte. Diese Bestrebungen schufen den Vegetarismus, dessen Emporkommen und dessen mehr und mehr sich ausbreitende Verbreitung wir alle erlebt haben. Es ist hier nicht der Platz, seine Tragweite und seine Berechtigung in den Kreis der Darlegungen zu ziehen, und wenn wir das vorliegende Buch ein „Kochbuch der fleischlosen Küche“, nicht aber ein „Vegetarisches Kochbuch“ genannt haben, so geschah dies aus der Erwägung heraus. daß es vor allem darauf ankommt, weite Volkskreise, die sich noch ablehend gegenüber den Ergebnissen der Forschung wie der praktischen Erfahrung verhalten, für eine Reform unserer bisherigen Ernährungsweise zu gewinnen.
In heutiger Terminologie würde man das frühere Café-Restaurant Ethos als In-Place bezeichnen, wo die kreative Avantgarde der Bajuwaren-Metropole Diskussionen über ganz ähnliche Themen führte, wie sie Franziska Scheller auch versucht in ihrer Küche umzusetzen und in der Angemessenheit des Materials, in Schönheit und Stil Gestalt zu verleihen. Ein neues kritisches Lebensgefühl wird nicht nur in literarische, bildnerische, sondern auch in neue ästhetische Ausdrucksformen des Essens übersetzt. Frühere Reklamemarken und Plakate des Café Ethos kann man noch heute antiquarisch erwerben.
Als im Oktober 1913 der Münchner Schriftstellerinnenverein gegründet wird, bestimmt man als Lokal für die weiteren Zusammenkünfte, die etwa jeden Monat einmal stattfinden sollen, dann auch die angesagte vegetarische Gaststätte Ethos (Ottostraße 1, heute: Barerstraße 1) als künftigen Treffpunkt.
Immer am ersten Dienstag eines Monats um 15.30 Uhr finden hier nun die Mitgliedertreffen des Schriftstellerinnenvereins statt.
Das Gebäude in der Ottostraße 1 steht heute nicht mehr. Allerdings sind im Stadtarchiv München noch alte Fotografien aus den Jahren 1925 und 1932 erhalten, die heute einen Eindruck vom Standort des Ethos vermitteln und dessen Gebäudeansicht zeigen, hier nun bereits mit der Hausnummer 2.
Zur Station 24 von 26 Stationen
Kritzmöller, Monika (2011): Sinnenfreuden. Eine Ästhetik der Nachhaltigkeit. In: Ernährung im Fokus. 11. Jg. August; URL: http://www.kritzmoeller.ch/bilder/Kritzmoeller_%20Sinnenfreuden%20eif%2008_2011.pdf, (25.05.2018).
Marcuse, Julian; Woerner, Bernhardine (Hg.) (2015): Die fleischlose Küche: eine theoretische Anleitung und ein praktisches Kochbuch. München.