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Plakat zur Ausstellung "Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894-1933" (2018)

München, Türkenstraße 89a

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Türkenstraße 89-93 um 1907, DE-1992-FS-NL-PETT1-3 (c) Stadtarchiv München

Die Türkenstraße 89a stellt einen Erinnerungsort an die Entstehung des renommierten Münchner Künstlerinnenvereins dar. Genau an dieser Stelle werden später die Capitol-Lichtspiele gebaut, die bis 1944 im Hof des Nebenhauses situiert sein werden. Heute befindet sich in diesem Komplex, in der Türkenstraße 91, sein Nachfolger, das berühmte Arri Kino. Auch der Künstlerinnenverein ist engst mit der modernen bürgerlichen Frauenbewegung verknüpft. Viele seiner Mitglieder sind auch Mitglieder im Verein für Fraueninteressen. Doch auch der Münchner Schriftstellerinnenverein ist eng mit ihm verbunden, insofern er seit 1925 in den Räumlichkeiten des Künstlerinnenvereins sein Vereinslokal hat.

Frauen, die sich im letzten Drittel des 19. und ersten Drittel des 20. Jahrhunderts malerisch betätigten, ob privat oder beruflich, hatten es nicht leicht, ernst genommen zu werden, permanente Geringschätzung schlug ihnen oft entgegen. Dies bestätigt auch die zeitgenössische Karikatur, in der die Malerin im 19. und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts eine sehr markante und beliebte Gestalt war. Als unverkennbarer Typ bevölkerte sie damals das Viertel um Münchens Akademie.

Als Carry Brachvogel in ihrem Essay Münchner Frauen von 1924 das sogenannte „Malweibchen“ als einen typischen Münchner Frauentyp ausmacht, unterscheidet sie klar zwischen zwei verschiedenen Typen, dem typischen „Malweib“, dem es letztlich gar nicht um das Malen, sondern um seine Selbstdarstellung geht, und einer wirklichen Künstlerin, solchen, die eben auch Mitglied im Künstlerinnenverein sind:

Das Malweibchen, das heute wie einst mit Vorliebe im dunkelsten Schwabing haust, stammt merkwürdigerweise nur in seltenen Fällen aus München, sondern vorzugsweise aus Mittel- oder Norddeutschland und sein Bestreben, sich so oder so (noch lieber so und so) auszuleben, ist ebenso sattsam bekannt, wie sein Anzug und seine Frisur. Vor zwanzig Jahren trug es Cleo-Scheitel und ein Reformgewand, heute ist es bolschewistisch-pagenhaft gekämmt und bevorzugt ein Minimum an Kleidung, „im Wald und auf der Haide“ auch gerne Nacktkultur. So sieht das  t y p i s c he  Malweib aus, so haben es unzählige Karikaturen der Mitwelt gezeigt. Aber daneben gibt es noch ein anderes, eines, dem es nicht ums „Ausleben“, sondern um die Kunst zu tun ist, eines, das still, aber darum nicht minder fröhlich in seinem Atelier schafft, im besten Sinne bürgerlich ist und Geist genug besitzt, um durch lustige Festspiele und zündende Einfälle die Feste des „Künstlerinnenverein“ zu wirklichen Festtagen des Humors und der Geselligkeit zu machen.

König Ludwigs I. Kultur- und Bildungspolitik in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte dazu geführt, dass München seit der Mitte der 1850er-Jahre zu einer weitbeachteten Kunstmetropole in Europas avancierte. Und so trat denn ab 1860 auch immer mehr die Gestalt der Malerin in Erscheinung, verstärkt noch nach dem 1870er-Krieg als München mit der Gründung des Deutschen Reiches fortan zum Kronschatz eines mächtigen Reiches gehört. Aus allen Bundesstaaten kommen nun junge Frauen mit Pinsel und Palette, in der Hoffnung eine große Malerin zu werden. Allerdings müssen die meisten erleben, dass der Weg zur Kunst und auch der Weg zum Atelier teuer bezahlt werden müssen. Die Münchner bildende Kunst ist damals noch ganz männlich eingestellt. Auch der Staat ist den malenden Frauen gegenüber wenig zugetan. Zwar gestattet er ihnen den Besuch seiner Kunstgewerbeschulen, die Tür zur Akademie hält er aber fest vor den Frauen versperrt. Private Malschulen gibt es in den 1870er- und 1880er-Jahren noch kaum, erst um 1890 werden es mehr. Die raue Realität aber ist, dass viele Frauen sich das nicht leisten können. Neben der Lehre und Korrektur des Meisters, müssen auch noch Ateliermiete, Modelle, Beheizung und Beleuchtung bezahlt werden. Vor allem aber mangelt es den Malerinnen am Zusammenhang untereinander. Ihnen fehlen Netzwerke, solche, wie sie die Männer unter sich längst haben.

Angeregt durch gesellige Zusammenkünfte im kleinsten privaten Kreis, entsteht in etlichen Malerinnen um das Jahr 1882, der Gedanke, solche Zusammenkünfte fortan zu einer Institution zu machen, auch um damit die gegenseitige künstlerische Befruchtung und Anregung zu befördern. In die Tat umgesetzt hat ihn Clementine von Braunmühl (1833-1918), die sich seit 1894 an vorderster Stelle auch in der bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns engagiert und Mitglied in der Gesellschaft zur Förderung der geistigen Interessen der Frau wird. 1899 wird sie sogar zusammen mit Ika Freudenberg den Ersten bayerischen Frauentag im Café Luitpold mit einem Vortrag eröffnen.

1882 gründet sie zuerst in dem Gasthaus Zum Kappler in der Promenadenstraße einen Verein, der 30 Mitglieder umfasst und sie zu seiner Vorsitzenden wählt. Zu den Gründungsmitgliedern zählen damals Bertha von Tarnóczy (1846-1936), Sophie Dahn-Fries (1835-1898), Ilka von Fabrice (1846-1907), Olga Weiß (1835-1898) und Martha Giese (1860-1923). Seine Zusammenkünfte hält der Verein zunächst in verschiedenen Gasthäusern ab, deswegen, weil jeder Wirt findet, dass der Verein zu wenig konsumiert und vor allem zu wenig trinkt.

Nachdem die Frauen es geschafft haben, ihr erstes Ziel, den Zusammenschluss und die wechselseitige Anregung und Förderung umzusetzen, setzt man sich höhere Ziele und überlegt, wie man der weiblichen Künstlerschaft ihr Recht auf Hochschule und Akademie verschaffen kann. 1884 wird der Künstlerinnen-Verein dann gegründet. Im Rückgebäude eines Hauses an der Türkenstraße 89a mieten die Künstlerinnen einige Räume an.

Hier richtet man nun Lehrateliers ein und etliche Schulklassen, denen man gute Lehrkräfte voranstellt. Die Mitgliederzahl des Vereins schießt schnell in die Höhe, und nur wenige Jahre später tritt der Verein bereits mit einer Kunstausstellung in der Öffentlichkeit in Erscheinung, die fortan alljährlich stattfindet. All dies führt dazu, dass der Staat das Wirken der Künstlerinnen nun nicht mehr völlig ignorieren kann. Nachdem der Vorstand unter der neuen Vorsitzenden Sophie Dahn-Freis (1835-1898) dann ein Gesuch stellt, bewilligt der Landtag 1894 dem Verein jetzt eine jährliche Subvention, die ihm die Vergrößerung seiner Institution und den Ausbau seiner Lehrfächer erlaubt.

Doch noch immer öffnet der Staat den Frauen nicht die Türen in die Akademie. Diese bleiben nach wie vor den Männern vorbehalten. Die „Damenakademie“ des Vereins beginnt mit zehn Schülerinnen – bald sind es ihrer hunderte – und allererste Namen lehren hier (Ludwig Herterich, Tina Blau-Lang, Carola Behr-Mathes, Ludwig Schmidt-Reutte, Angelo Jank, Emilie von Hallavanna) bzw. gehen aus ihr hervor. An der Damenakademie gelehrt oder studiert zu haben, gilt bald bei allen deutschen Kunstinstituten als besondere Empfehlung. Die neue Institution wächst immer weiter und mit ihr der Wunsch des Künstlerinnenvereins, ein eigenes Haus zu besitzen.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Brachvogel, Carry (1924/2013): Münchner Frauen. In: Im Weiß-Blauen Land. Bayerische Bilder. Text der Erstausgabe von 1923. Hg. und mit einem Vor- und Nachwort versehen von Ingvild Richardsen (edition monacensia). Allitera Verlag, München, S. 73-76.

Dies. (1932): Künstlerinnen-Verein München 1882-1932. In: Münchner Neueste Nachrichten, „Die Frau“, Nr. 275, 9. Oktober.

Richardsen, Ingvild (2017): Auf den Spuren der vergessenen Dichterinnen von Frauenchiemsee. Volk Verlag, München.

Wolf, Georg Jacob (1924): Die Münchnerin. Kultur- und Sittenbilder aus dem alten und neuen München. München, S. 220.