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Plakat zur Ausstellung "Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung 1894-1933" (2018)

München, Brienner Straße 37

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Brienner Straße 37 (c) Archiv Verein für Fraueninteressen e.V.

Mitte März 1910 bezieht der Verein für Fraueninteressen, das Flaggschiff der modernen Frauenbewegung in Bayern, ein Haus in der Brienner Straße 37 (nahe Ecke zur Augustenstraße). 25 Jahre lang liegt hier fortan sein Domizil und seine Geschäftsstelle. Das kleine zweistöckige Haus steht heute nicht mehr. Auf einer alten Fotografie ist es allerdings noch zu sehen.

Der Verein mietet damals das gesamte Parterre. Drei Räume liegen zur Straßenseite, drei zur Hofseite; dazwischen erstreckt sich ein schmaler, dunkler Flur mit gestrichenen Fußböden und Ofenheizung. Aus dem Vereinsarchiv ist eine Beschreibung über die damalige Organisation im Haus überliefert:

Eine Wirtschafterin, die zugleich die Bedienung für unseren Verein übernommen hat, befindet sich ständig in der Wohnung. Das Bureau ist regelmässig vormittags 10-12 und nachmittags 3-6 geöffnet, so dass es nun auch eine richtige Zentrale für den ganzen Geschäftsbetrieb bilden kann. Einige Mitglieder der Jugendgruppe [...] tun freiwillig Dienst als Sekretärinnen; eine Schreibmaschine, die zufällig billig erworben werden konnte, und das Telefon, das wir der Güte unseres Vorstandsmitgliedes Frau von Belli verdanken, sind ausserordentlich begrüssenswerte Verbesserungen.

Abgesehen von den großen öffentlichen Veranstaltungen, den Mitgliederabenden und der Generalversammlung konzentriert sich das gesamte Vereinsleben seit 1910 in der Brienner Straße 37, wie auch aus dem Vereinsarchiv überliefert ist:

Vorstandssitzungen und die Zusammenkünfte der Arbeitskomissionen; die Treffen der Jugendgruppe; und die Sprechstunden der „Auskunftsstelle für Frauenberufe“.

Die „Abteilung für soziale Arbeit“ hielt hier ihre Sprechstunden und Schulungskurse ab und hatte hier ihre Vermittlungsstelle für soziale Arbeit. 1920 kamen die Sprechstunden der Mittelstandshilfe und die Verwaltung der Kinderheime hinzu, später die Geschäftsführung für die vier Milchkioske. Sieben Büroangestellte arbeiteten hier. Allein Buchhaltung und Schreibstube mit Kopierapparat und Registratur brauchten zwei Räume.

Der Verein, der 1894 gegründet worden war, hatte sich seither zu einer sehr umfangreichen Organisation entwickelt, die mittlerweile in ganz Bayern ihre Dependancen hatte. 1913/14 hatte er um die 800 Mitglieder. Dem Verein korporativ angeschlossen waren zu diesem Zeitpunkt folgende Organisationen: Institut für soziale Arbeit, Verein studierender Frauen, Verein der Privatlehrerinnen, Verein der Bayerischen Turnlehrerinnen, Verein für Kranken- und Kinderpflege a.d.L., Verein für wirtschaftliche Frauenschulen a.d.L., Verein für neue Frauenkleidung, Vereinigung akademisch gebildeter Frauen, Verein der Münchener Schriftstellerinnen.

Im Herbst 1913 werden dann unter Mithilfe und Unterstützung des Vereins für Fraueninteressen zuletzt der Verein Münchner Schriftstellerinnen und die Vereinigung akademisch gebildeter Frauen gegründet. Letztere lässt sich in den Verein für Fraueninteressen sogar als ganze Abteilung aufnehmen, wodurch dem Verein ein wertvoller Zuwachs an bedeutenden Mitgliedern und eine weitere sachverständige Unterstützung zur Lösung seiner Aufgaben zukommt.

Doch der Verein gibt in diesem Jahr noch zu einer weiteren wichtigen Gründung die Initiative. Neugegründet wird jetzt der Stadtbund Münchener Frauenvereine, der sich am 28. Januar 1914 im Vereinslokal des Vereins für Fraueninteressen konstituiert. Mit der Geschäftsleitung betraut wird die nunmehrige Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen Luise Kiesselbach.

Beschrieben wird der damalige Charakter des Stadtbundes im Jahresbericht des Vereins über die Jahre 1913/1914 rückblickend selbst so:

Es gehören ihm bis jetzt 23 Frauenvereine und gemischte Vereine an, darunter die wichtigsten unserer Berufsorganisationen. Wie in anderen grossen Städten, die vielfach schon mit solchen Gründungen vorangegangen sind, hielten sich auch hier die konfessionellen Vereine zurück; der Stadtbund trägt also den Charakter eines Zusammenschlusses  interkonfessioneller Frauenorganisationen, der deren gemeinsame Interessen einheitlich vertreten kann, aber keineswegs im Gegensatz zu den konfessionellen Vereinigungen steht, sondern bei besonderen Gelegenheiten und von Fall zu Fall mit ihnen zusammengehen wird. Durch Beratung über die Arbeit, durch gemeinsame Veranstaltungen usw., hoffen die Vereine, durch gemeinsame Veranstaltungen usw. hoffen die Vereine des Stadtbundes künftig eine Zersplitterung der Kräfte künftig vermeiden und einzelne Frauenforderungen mit grösserem Nachdruck vertreten zu können.

Nach dem Tod Ika Freudenbergs im Januar 1912 wählte man 1913 Luise Kiesselbach zur ersten Vorsitzenden des Vereins für Fraueninteressen, nachdem Emma Haushofer-Merk vorübergehend für ein Jahr den Vorsitz übernommen hatte.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1914): 20. Jahresbericht, S. 8f.

Verein für Fraueninteressen (Hg.) (1994): Renate Lindemann: 100 Jahre Verein für Fraueninteressen. München.