München, Katholisches Casino, Barer Straße 7
Den krönenden Abschluss des Ersten Allgemeinen bayerischen Frauentages 1899 bildet ein Festabend, der am 21. Oktober 1899 im großen Saal des damals so bekannten Katholischen Kasino in der Barer Straße 7 stattfindet.
Erbaut wurde das Katholische Casino im Jahr 1866 von dem Politiker Ludwig von Arco-Zinneberg. Ziel der Gründung war die Mobilisierung des katholischen Lagers und die Vertretung von katholischen Positionen in politischen und sozialen Tagesfragen. Nach diesem Vorbild entstehen damals in Süddeutschland und Österreich viele ähnliche Institutionen, so z.B. auch die Gründung eines Katholischen Casinos 1868 in Rosenheim und 1871 in Aibling. Das Katholische Casino in München wird von dem Medizinprofessor Johann Nepomuk Ringseis von 1866 bis 1867 geleitet. Von 1867 bis 1882 ist Zinneberg Vorstand. Sein Nachfolger ist von 1882 bis 1899 Konrad Graf von Preysing.
Das überlieferte Programm des Festabends dokumentiert noch heute, was für eine große Rolle Literatur und Dichtung damals für die moderne Frauenbewegung in München spielten, um mittels ihnen die neuen Bilder der Frau zu propagieren und unters Volk zu bringen.
Den ersten Teil des Festabends bildet die Aufführung eines beeindruckenden Festspiels: Culturbilder aus dem Frauenleben. Zwölf Gruppendarstellungen. Es ist die Malerin und Dichterin Marie Haushofer, die es extra für den Bayerischen Frauentag geschrieben hat. Regie führt Sophia Goudstikker. Nicht nur sie selbst spielt auch mit, sondern auch viele weitere Protagonisten und Protagonistinnen der Münchner Frauenbewegung. Wenige Tage später hält Sophia Goudstikker die zwölf Gruppendarstellungen auch im Fotoatelier Elvira fotografisch fest. Die Fotografien oder auch Abzüge klebt sie in ein Leder-Album mit dem Titel Marie Haushofer‘s Festspiel zum I. allgemeinen bayrischen Frauentag in München. 18-21 Oktober 1899. Heute hat es seinen Platz im Stadtarchiv München.
In ihrem Festspiel führt Marie Haushofer Rollen der Frau vor, die sie in verschiedenen Epochen und Jahrhunderten eingenommen hat. Zugleich zeichnet sie auch den Weg der Frau in ihrer kulturhistorischen Entwicklung nach – von der Knechtschaft und Unkultur, unterbrochen vom kurzen Aufblitzen weiblicher Herrschaft im Reich der Amazonen, zu aufkeimendem Wissen, zu Arbeit, Freiheit und schließlich dem Zusammenschluss der Frauen, die fortan ihren mühe-, aber auch kraftvoll errungenen neuen gesellschaftlichen Stand durch Einheit behaupten müssen. Die Gegenwart repräsentiert die letzte Gruppe, in der „moderne Frauen“ in „modernen Berufen“ auftreten: Telefonistinnen, Buchhalterinnen, Gelehrte, Malerinnen etc. Die allegorischen Figuren Glaube, Liebe, Hoffnung und der Geist der Arbeit, der alle Frauen befreit, begleiten diese werktätigen Frauen. Das weibliche Publikum wird abschließend zur Arbeit aufgerufen, zur aktiven Gestaltung der Gegenwart und zur Zusammenarbeit.
Klio
(in die Mitte tretend. Die Hand der Arbeit fassend).
So habt ihr endlich Euch gefunden
Von ernster Arbeit treu verbunden!
So mög` es bleiben und ein festes Band
Schling sich um alle Frau`n aus jedem Stand.
Ihr braucht es! Denn der Daseinskampf ist hart,
Und wird kaum einer Einzigen erspart!
Ihr legt die Arbeitshände voll Vertrauen
Hier in die Freundeshände all` der Frauen,
Die ihre volle Kraft, ihr ganzes Leben
Gewidmet einem ernsten, großem Streben,
Der Kunst, der Wissenschaft, dem Lehrberuf,
Dem regen Treiben, das die Neuzeit schuf!
(Zum Publikum)
Ihr alle, deren Herzen flammen
Begeistert für ein Ziel, steht treu zusammen!
Laßt Euch in treuer Menschenliebe einen,
Und gebt im Großen und im Kleinen
Stets Euer Bestes! Jede, wer sie sei
Trag` heut nach ihrer Kraft und Weise bei,
Daß künftighin des Menschenvolks Geschichte,
Von Frauenmut und Frauengeist berichte,
Daß Güte, Geist und Herzen sich erheben,
Daß auch die Frauen stolz der Menschheit leben!
Daß, bis zum nächsten kommenden Jahrtausend
Der rasche Schritt der Zeit nicht sausend
An Euch vorbei geht! Daß in hundert Jahren
Die Welt das Beste von der Frau erfahren,
Das fördert nun mit mir, ihr Frau`n von heut`!
Seid mir gegrüßt, Ihr Kinder unsrer Zeit
Mit offenen Armen seid mir aufgenommen –
Ihr Schwestern Alle, seid mir heut willkommen!
Die Aufführung ruft große Anerkennung in der Tagespresse hervor und wird breit kommentiert. Weitere Inszenierungen finden 1900 in Nürnberg und am 28. und 30. November 1902 in der Oper in Bayreuth statt. Die Literaturwissenschaftlerin Helen Watanabe-O'Kelly, eine Expertin für Festspiele der englischen Frauenbewegung um 1900, stellt 2014 auf einem Kongress in Bayreuth fest, dass Marie Haushofers Festspiel für die aufkeimende Frauenbewegung in Deutschland eine erste und zaghafte Möglichkeit bot, ihre Forderungen zu formulieren und als ein bedeutendes Zeugnis der deutschen Emanzipationsbewegung anzusehen ist. Deutsche und englische Festspiele seien seinerzeit als ein politisches Instrument genutzt worden, um die traditionelle Rolle der Frau mit theatralen Strategien zu hinterfragen.
Der Festabend des Bayerischen Frauentags ist mit der Aufführung des Festspiels allerdings noch nicht abgeschlossen. Im zweiten Teil des Abends kommen „Gedichte moderner Dichterinnen“ zum Vortrag. Die Werke stammen von Ada Negri, Lou Andreas-Salomé, Alberta von Puttkammer, Anna Ritter, Ricarda Huch und Maria Janitschek. Auch der kurze Prosatext Nordische Birke der Jugendstilkünstlerin und Schriftstellerin Emmy von Egidy wird vorgetragen.
Der Abend wird musikalisch beschlossen mit der Aufführung von Mailied des Münchner Komponisten Josef Rheinberger, damals ein in ganz Europa bekannter Musiker. Den Text – die Grundlage der Komposition, insgesamt fünf Lieder – hat seine spätere Frau Fanny Hoffnaas 1873 geschrieben.
Zur Station 21 von 26 Stationen
Sekundärliteratur:
Die Vorstände des Katholischen Kasinos München 1866-1924 (1926). In: Katholisches Kasino München (a.B.) Barerstraße 7. Jubiläumsjahr 1926. Mit Anhang: Mitglieder-Verzeichnis nach dem Stande von Ende Dezember 1926. Druck der Buchdrucker-Lehrwerkstätte der Salesianer, München, S. 13 u. 21.
Haushofer, Marie (1899): Culturbilder aus dem Frauenleben. Zwölf Gruppendarstellungen. München.
Richardsen, Ingvild (2018): Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne 1894-1933. Volk Verlag, München.
Watanabe-O'Kelly, Helen (2010): Transgressivität oder Konformität? Die Figur der Kriegerin in Festspielen der deutschen und englischen Frauenbewegung um 1900. In: Remmert, Heiner; Risi, Clemens; Sollich, Robert u.a. (Hg.): Theater als Fest, Fest als Theater. Bayreuth.
Den krönenden Abschluss des Ersten Allgemeinen bayerischen Frauentages 1899 bildet ein Festabend, der am 21. Oktober 1899 im großen Saal des damals so bekannten Katholischen Kasino in der Barer Straße 7 stattfindet.
Erbaut wurde das Katholische Casino im Jahr 1866 von dem Politiker Ludwig von Arco-Zinneberg. Ziel der Gründung war die Mobilisierung des katholischen Lagers und die Vertretung von katholischen Positionen in politischen und sozialen Tagesfragen. Nach diesem Vorbild entstehen damals in Süddeutschland und Österreich viele ähnliche Institutionen, so z.B. auch die Gründung eines Katholischen Casinos 1868 in Rosenheim und 1871 in Aibling. Das Katholische Casino in München wird von dem Medizinprofessor Johann Nepomuk Ringseis von 1866 bis 1867 geleitet. Von 1867 bis 1882 ist Zinneberg Vorstand. Sein Nachfolger ist von 1882 bis 1899 Konrad Graf von Preysing.
Das überlieferte Programm des Festabends dokumentiert noch heute, was für eine große Rolle Literatur und Dichtung damals für die moderne Frauenbewegung in München spielten, um mittels ihnen die neuen Bilder der Frau zu propagieren und unters Volk zu bringen.
Den ersten Teil des Festabends bildet die Aufführung eines beeindruckenden Festspiels: Culturbilder aus dem Frauenleben. Zwölf Gruppendarstellungen. Es ist die Malerin und Dichterin Marie Haushofer, die es extra für den Bayerischen Frauentag geschrieben hat. Regie führt Sophia Goudstikker. Nicht nur sie selbst spielt auch mit, sondern auch viele weitere Protagonisten und Protagonistinnen der Münchner Frauenbewegung. Wenige Tage später hält Sophia Goudstikker die zwölf Gruppendarstellungen auch im Fotoatelier Elvira fotografisch fest. Die Fotografien oder auch Abzüge klebt sie in ein Leder-Album mit dem Titel Marie Haushofer‘s Festspiel zum I. allgemeinen bayrischen Frauentag in München. 18-21 Oktober 1899. Heute hat es seinen Platz im Stadtarchiv München.
In ihrem Festspiel führt Marie Haushofer Rollen der Frau vor, die sie in verschiedenen Epochen und Jahrhunderten eingenommen hat. Zugleich zeichnet sie auch den Weg der Frau in ihrer kulturhistorischen Entwicklung nach – von der Knechtschaft und Unkultur, unterbrochen vom kurzen Aufblitzen weiblicher Herrschaft im Reich der Amazonen, zu aufkeimendem Wissen, zu Arbeit, Freiheit und schließlich dem Zusammenschluss der Frauen, die fortan ihren mühe-, aber auch kraftvoll errungenen neuen gesellschaftlichen Stand durch Einheit behaupten müssen. Die Gegenwart repräsentiert die letzte Gruppe, in der „moderne Frauen“ in „modernen Berufen“ auftreten: Telefonistinnen, Buchhalterinnen, Gelehrte, Malerinnen etc. Die allegorischen Figuren Glaube, Liebe, Hoffnung und der Geist der Arbeit, der alle Frauen befreit, begleiten diese werktätigen Frauen. Das weibliche Publikum wird abschließend zur Arbeit aufgerufen, zur aktiven Gestaltung der Gegenwart und zur Zusammenarbeit.
Klio
(in die Mitte tretend. Die Hand der Arbeit fassend).
So habt ihr endlich Euch gefunden
Von ernster Arbeit treu verbunden!
So mög` es bleiben und ein festes Band
Schling sich um alle Frau`n aus jedem Stand.
Ihr braucht es! Denn der Daseinskampf ist hart,
Und wird kaum einer Einzigen erspart!
Ihr legt die Arbeitshände voll Vertrauen
Hier in die Freundeshände all` der Frauen,
Die ihre volle Kraft, ihr ganzes Leben
Gewidmet einem ernsten, großem Streben,
Der Kunst, der Wissenschaft, dem Lehrberuf,
Dem regen Treiben, das die Neuzeit schuf!
(Zum Publikum)
Ihr alle, deren Herzen flammen
Begeistert für ein Ziel, steht treu zusammen!
Laßt Euch in treuer Menschenliebe einen,
Und gebt im Großen und im Kleinen
Stets Euer Bestes! Jede, wer sie sei
Trag` heut nach ihrer Kraft und Weise bei,
Daß künftighin des Menschenvolks Geschichte,
Von Frauenmut und Frauengeist berichte,
Daß Güte, Geist und Herzen sich erheben,
Daß auch die Frauen stolz der Menschheit leben!
Daß, bis zum nächsten kommenden Jahrtausend
Der rasche Schritt der Zeit nicht sausend
An Euch vorbei geht! Daß in hundert Jahren
Die Welt das Beste von der Frau erfahren,
Das fördert nun mit mir, ihr Frau`n von heut`!
Seid mir gegrüßt, Ihr Kinder unsrer Zeit
Mit offenen Armen seid mir aufgenommen –
Ihr Schwestern Alle, seid mir heut willkommen!
Die Aufführung ruft große Anerkennung in der Tagespresse hervor und wird breit kommentiert. Weitere Inszenierungen finden 1900 in Nürnberg und am 28. und 30. November 1902 in der Oper in Bayreuth statt. Die Literaturwissenschaftlerin Helen Watanabe-O'Kelly, eine Expertin für Festspiele der englischen Frauenbewegung um 1900, stellt 2014 auf einem Kongress in Bayreuth fest, dass Marie Haushofers Festspiel für die aufkeimende Frauenbewegung in Deutschland eine erste und zaghafte Möglichkeit bot, ihre Forderungen zu formulieren und als ein bedeutendes Zeugnis der deutschen Emanzipationsbewegung anzusehen ist. Deutsche und englische Festspiele seien seinerzeit als ein politisches Instrument genutzt worden, um die traditionelle Rolle der Frau mit theatralen Strategien zu hinterfragen.
Der Festabend des Bayerischen Frauentags ist mit der Aufführung des Festspiels allerdings noch nicht abgeschlossen. Im zweiten Teil des Abends kommen „Gedichte moderner Dichterinnen“ zum Vortrag. Die Werke stammen von Ada Negri, Lou Andreas-Salomé, Alberta von Puttkammer, Anna Ritter, Ricarda Huch und Maria Janitschek. Auch der kurze Prosatext Nordische Birke der Jugendstilkünstlerin und Schriftstellerin Emmy von Egidy wird vorgetragen.
Der Abend wird musikalisch beschlossen mit der Aufführung von Mailied des Münchner Komponisten Josef Rheinberger, damals ein in ganz Europa bekannter Musiker. Den Text – die Grundlage der Komposition, insgesamt fünf Lieder – hat seine spätere Frau Fanny Hoffnaas 1873 geschrieben.
Zur Station 21 von 26 Stationen
Die Vorstände des Katholischen Kasinos München 1866-1924 (1926). In: Katholisches Kasino München (a.B.) Barerstraße 7. Jubiläumsjahr 1926. Mit Anhang: Mitglieder-Verzeichnis nach dem Stande von Ende Dezember 1926. Druck der Buchdrucker-Lehrwerkstätte der Salesianer, München, S. 13 u. 21.
Haushofer, Marie (1899): Culturbilder aus dem Frauenleben. Zwölf Gruppendarstellungen. München.
Richardsen, Ingvild (2018): Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne 1894-1933. Volk Verlag, München.
Watanabe-O'Kelly, Helen (2010): Transgressivität oder Konformität? Die Figur der Kriegerin in Festspielen der deutschen und englischen Frauenbewegung um 1900. In: Remmert, Heiner; Risi, Clemens; Sollich, Robert u.a. (Hg.): Theater als Fest, Fest als Theater. Bayreuth.