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Eva Baudissin (c) Münchner Stadtmuseum

München, Ohmstraße 14 (Eva von Baudissin)

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Ohmstraße 14 (1910): Ansicht Mietshaus, DE-1992-FS-PK-STR-03677 (c) Stadtarchiv München

Im Haus in der Ohmstraße 14, das noch heute steht, hat von 1908 bis 1935 die deutschlandweit bekannte Schriftstellerin und Feuilletonistin Eva Gräfin von Baudissin gewohnt. Sie, die 1908 nach Schwabing zieht, gründet 1912 den Münchner Frauenklub. Seit 1927 leitet sie auch zusammen mit der Schriftstellerin Carry Brachvogel den Münchner Schriftstellerinnenverein. 1933 ist sie diejenige, die ihn auflösen muss.

1912 wird Eva von Baudissin Mitglied im Münchner Verein für Fraueninteressen und damit Teil der bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns. 1913 tritt auch sie in den Münchner Schriftstellerinnen-Verein ein, der in diesem Jahr gegründet wird. Mit Carry Brachvogel und Emma Haushofer-Merk ist sie eng befreundet. Anfang 1914, wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges, gründet Eva von Baudissin den Münchner Frauenclub, einen Zusammenschluss von Schriftstellerinnen, Kunstmalerinnen, Bildhauerinnen und künstlerisch interessierten Frauen. Sein vorrangiges Ziel ist es, den geistig schaffenden Frauen eine Plattform zu einem internationalen Austausch geben.

Als Emma Haushofer-Merk, die erste Vorsitzende des Münchner Schriftstellerinnenvereins, 1925 stirbt und Carry Brachvogel Vorsitzende wird, wird Eva von Baudissin zur zweiten Vorsitzenden gewählt. Bis zum Mai 1933 leiten die beiden Münchner Schriftstellerinnen und Freundinnen gemeinsam den Ersten bayerischen Schriftstellerinnen-Verein. Als Carry Brachvogel 1929 in den Münchner Neuesten Nachrichten eine Würdigung zu Eva Gräfin von Baudissins Sechzigsten verfasst, beschreibt sie die Kollegin so:

Ja liebe Gräfin, nun ist auch für Sie der Tag gekommen, der uns (angeblich oder wahr) in die Nähe der Greisenschwelle bringt. Schon ist in illustrierten Blättern Ihr Bild erschienen, und ehestens werden ordnungsliebende Berichterstatter melden, daß Sie am 8. Oktober 1869 zu Lübeck, als Tochter des Arztes Dr. Türk das Licht der Welt erblickten, daß Sie in einem hochkultivierten Elternhause heranwuchsen, sich mit dem einst vielgelesenen Freiherrn von Schlicht (Graf Baudissin) vermählten und mit dem Umweg über Ehe, norddeutsche Garnisonen, Hamburg und Dresden, in unsere Stadt kamen, in der Sie seit Jahrzehnten leben und die Sie liebgewonnen haben, als wären Sie ein echtes Münchner Kind. Und ferner werden die Berichterstatter erzählen, daß sie dank Ihren Romanen und Novellen nicht nur eine bekannte Schriftstellerin sind, sondern, sondern auch für große deutsche und ausländische Blätter, journalistisch arbeiten, daß weite Reisen Sie durch vier Erdteile führten, daß Sie (wie schon ihr Bergsteigerinnenbuch mit dem flotten Titel Sie am Seil beweist“) zu den kühnen Hochalpinistinnen  zählen, erste Vorsitzende im „Münchner Frauenklub“, zweite Vorsitzende im „Münchner Schriftstellerinnenverein“ sind und nebenbei noch in mannigfachen sozialen Unternehmungen tätig... Für jeden einigermaßen federgewandten Menschen ist es leicht, am Jubiläumstag eines Schriftstellers dessen sämtliche Werke aufzuzählen (wozu wäre Kürschners Literaturkalender auf der Welt?!) und sich anzustellen, als ob er sie allesamt gelesen, vielleicht sogar verschlungen hätte. [...] Aber wahrheitsgemäß darf ich sagen, daß ich Ihrem autobiographischen, heiter-rührenden  Buch Im Laufgraben ebensoviele Leser wünsche wie dem erschütternden Aus Liebe zu Russland, wie der köstlich-humoristischen Laterne über der Türe, nicht zu vergessen Kleinstadtrausch und den Münchner Roman Einer von dreien. [...]

Als die Nationalsozialisten 1933 die Herrschaft übernehmen, erhält Carry Brachvogel wegen ihrer jüdischen Herkunft Berufs- und Publikationsverbot. Auch der Münchner Schriftstellerinnenverein wird Ende 1933 aufgelöst. Eva Gräfin von Baudissin kommt dabei die Rolle der Liquidatorin zu. Unklar ist bis heute, wie sie unter Druck gesetzt wurde, den Verein aufzulösen. Tatsache ist, dass der österreichische Rassentheoretiker Otto Hauser (1876-1944) 1934 versucht, auch Baudissin eine jüdische Herkunft nachzuweisen um sie als Schriftstellerin zu vernichten. Von den damaligen Abläufen zeugt ein Zeitungsbericht, der sich im Februar 1934 im Völkischen Beobachter unter Mitteilungen aus dem Münchener Kunstleben findet. Sein Inhalt führt die ganze Tragweite vor Augen, was die Reduzierung Carry Brachvogels auf ihre jüdische Herkunft bedeutete: die komplette Vernichtung ihrer Person und ihres Daseins als Schriftstellerin. Über Eva Gräfin von Baudissin konnte man 1934 im Völkischen Beobachter Folgendes lesen:

Wie wir erfahren haben, wurde die in München aufs beste bekannte Schriftstellerin Eva Gräfin von Baudissin in einer kürzlich erschienenen Broschüre Die Juden und Halbjuden der deutschen Literatur von Otto Hauser, Wien, als judenstämmig bezeichnet. Der Wunsch Eva Gräfin von Baudissins, die durch diese Behauptung als deutsche Schriftstellerin schwer geschädigt wird, kommen wir gerne nach, indem wir unseren Lesern mitteilen, daß Eva Gräfin Baudissin ihre rein arische Abstammung bei den einschlägigen Stellen nachgewiesen hat und Otto Hauser ihrer Rechtsvertretung bereits sein Bedauern über den Irrtum zum Ausdruck brachte.

Noch 1934 übergibt Eva Gräfin von Baudissin alle Akten des Schriftstellerinnenvereins 1934 dem Stadtarchiv München, um deren Erhaltung und spätere Aufarbeitung zu sichern.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Richardsen, Ingvild (2017): Modernsein 1894-1933. In: Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Volk Verlag, München, S. 220-267.

Dies. (2018): Modernsein 1894-1933. In: Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Volk Verlag, München, S. 220-267.