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Carry Brachvogel. Foto: Theodor Hilsdorf, G 28/1382 (Münchner Stadtmuseum)

München, Ainmillerstraße 11 (Carry Brachvogel)

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Ainmillerstraße (1906), DE-1992-FS-NL-PETT!-0100 (c) Stadtarchiv München

In dem Haus in der Ainmillerstraße 11, das noch heute steht, hat Carry Brachvogel von 1903 bis 1910 gelebt. Der Einzug in das Haus geht einher mit einer neuen schriftstellerischen Phase in ihrem Leben. Rückblickend aus dem Jahr 1924 hat sie diese so beschrieben:

Ich konnte aber nur etliche Bücher lang bei Fischer bleiben, denn meine ganze Richtung paßte nicht in seinen Verlag, dieweil ich mich schon ans Historische heranschlängelte. Als ich dann mit meinem altbyzanntinischen Roman Der Nachfolger antrat, war's aus. Fischer setzte mich in höflicher, aber unverkennbarer Form vor die Türe seines Verlags. Von diesem Irrweg ab stapfte ich auf etlichen kleineren herum, bis mich Dr. Kanner von der Wiener Zeit als Feuilletonistin entdeckte und mich in den Spalten der Zeit schreiben ließ, was ich nur wollte. Da wurden denn auf dem Umweg über Wien auch reichsdeutsche Blätter auf mich aufmerksam. Das war mein zweiter Weg in die Literatur. Den dritten führte mich Hanns von Zobeltitz, der leider so früh verstorbene Herausgeber von Velhagen und Klasings Monatshefte. Durch eine ihm eingesandte Novelle war er auf mich aufmerksam geworden, suchte mich auf, und nun durfte ich für ihn nach Herzenslust Romane, historische Essays und historische Monographien schreiben. Wer aber bei Zobeltitz gelandet war, der brauchte sich nicht weiter zu sorgen. Da war man sozusagen „gemacht“. Da kamen ganz von selbst Redaktionen und Verlage, von denen man bisher immer nur den Bescheid erhalten hatte: „Unsere Mappen sind leider überfüllt“ oder „wir sind leider durch abgeschlossene Verträge auf Jahre hinaus festgelegt“. Das war mein dritter Weg in die Literatur.

Seit 1903 gibt es noch eine weitere Neuerung im Leben Carry Brachvogels. Fortan tritt sie auch als Frauenrechtlerin in Erscheinung und engagiert sich aktiv in der modernen bürgerlichen Frauenbewegung Bayerns: Sie wird Mitglied im 1894 in München gegründeten Verein für Fraueninteressen. Mit seinen Mitgliedern steht sie schon lange in engstem Kontakt, hatte aber zuvor keine Zeit sich zu engagieren. Seit 1894 war sie als Fischer-Autorin jedes Jahr völlig damit absorbiert ein Buch zu schreiben. Auch arbeitet sie zwischendurch immer wieder als Schauspielerin in Berlin.

Seit 1903 wird Carry Brachvogel nun zu einem wichtigen Sprachrohr des Vereins und der modernen Frauenbewegung. Sie verstärkt nun ihre künstlerische Durchleuchtung der Frauenwelt: Carry Brachvogel untersucht die Rollen, die die Frau im privaten und öffentlichen Leben einnimmt, und präsentiert ihre Ergebnisse in Romanen, Essays und Erzählungen. Sie beschreibt Gewohnheiten und Verhaltensweisen ihrer Zeitgenossinnen und legt verschiedenste Frauen-Typologien vor. So macht sie unter den Münchnerinnen die „große Dame“, das „Münchner Mädel“, das „Malweibchen“, „Kellnerinnen“ und „Trambahnschienenputzerinnen“ als spezifische Erscheinungen aus. Immer wieder propagiert sie die arbeitende Frau, Schauspielerinnen und Opernsängerinnen ebenso wie Kellnerinnen oder Hutmacherinnen. Auf den hohen Wert der Arbeit als Lebenssinn für die Frau zu verweisen, ist ihr ein wichtiges Anliegen. Die Selbstverwirklichung durch Beruf und Arbeit wird zu einem ihrer zentralen Themen. 1910 erscheint ihr zweibändiger Roman Der Kampf um den Mann. Verschiedene Wege, auf denen moderne Frauen ihr Glück suchen, werden hier geschildert, Generationen und Weltanschauungen treten einander gegenüber. Das zeitgenössische Münchner bürgerliche Gesellschafts- und Ateliersleben bildet den Hintergrund der Handlung, in der drei Schwestern auf den ersten Blick alle perfekte Partien machen. Tatsächlich erweisen sich diese aber als Reinfall. Im zweiten Band rückt das Ziel Mann dann in den Hintergrund gegenüber einem neuen, erfolgversprechenderen Lebenssinn – der Arbeit: „Es gibt gar nichts Schöneres, als den ganzen Tag zu arbeiten; wir haben das früher nur nie gewußt.“

Mit ihrem Eintritt in den Verein für Fraueninteressen beginnt Brachvogel damit, historische Biografien über einflussreiche Frauen zu schreiben, und schildert, wie diese zu Macht gekommen sind und diese wiederum aufrechterhalten haben. Mätressen erwecken dabei ebenso ihr Interesse wie Herrscherinnen. 1905 erscheint Marquise der Pompadour, 1909 Madame Mère, 1911 Maria Theresia und 1913 Katharina die Große; für ihre Frauenbiographien erhält sie immer wieder höchstes Lob.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Richardsen, Ingvild (2018): Die Schriftstellerin Carry Brachvogel. In: Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Volk Verlag, München.