https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2018/klein/ingv_Marie-Haushofer_164.jpg
Marie Haushofer (c) Stadtarchiv München

München, Liebigstraße 17 (Marie Haushofer)

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2018/klein/ingv_DSC_0421_500.jpg
Liebigstraße 17 heute (c) Ingvild Richardsen

Von 1919 bis 1940 lebt die Dichterin und Malerin Marie Haushofer, die Dichterin des Festspiels Zwölf Culturbilder aus dem Frauenleben, das auf dem Ersten bayerischen Frauentag 1899 in München als abschließender Höhepunkt aufgeführt wurde, im großbürgerlichen Haus der Familie Eberth im Lehel. Das Haus existiert noch heute.

1919 zieht Marie Haushofer, die schon lange ihr Brot als Malerin und herausragende Kopistin von Gemälden aus der Alten Pinakothek verdient hat, von der Königinstraße 10 in eine Atelierswohnung in der Liebigstraße 19 (heute 17). Aufzeichnungen ihres Neffen Heinz Haushofers zufolge partizipiert an ihrem „genialischen Haushalt“ ihr langjähriger Freund, der damals sehr bekannte Münchner Pianist und Professor Wolfgang Ruoff (1882-1964). Trotzdem er verheiratet ist und Kinder hat, sucht der Musiker Marie täglich in ihrer Atelierswohnung auf. Dies bestätigt die frühere Rechtsanwältin Gertrud Eberth-Heldrich (*1929), die als kleines Mädchen Marie Haushofer bis zu ihrem Tod täglich erlebte. Sie erinnert diese als hochgebildet, sehr aufgeschlossen, die viel mit den Kindern im Haus gesprochen und oft extra für sie die Tür zu ihrem Atelier habe offen stehen lassen. Und so habe denn auch der Geruch von Farben oft das ganze Treppenhaus erfüllt. Sehr elegant sei sie gewesen und habe tagsüber oft einen eleganten lila Nachtrock getragen.

Zeitlebens hat Marie Haushofer ein sehr enges Verhältnis zur Schriftstellerin Carry Brachvogel und zu Emma Merk, ihrer späteren Stiefmutter. Als Emma Haushofer-Merk im Sommer 1925 stirbt, ist Marie Haushofer diejenige, die mit ihr die letzten Stunden im Krankenhaus verbringt. Aufgewühlt schildert sie noch in der gleichen Nacht in einem Brief an Christine Mayer-Doss, eine enge Freundin Emmas, ihre Eindrücke und Gedanken:

Denke Dir, ich kann nicht glauben, dass die Natur so verschwenderisch sein sollte, das Beste im Menschen, was mir heisst, Begabung, Güte, Seele nennen, ganz zu vernichten, trotzdem doch chemisch nichts verloren geht. Ich glaube also nun; dieses Seelische ist vielleicht eine Art Ausstrahlung vom Menschen wie das Radio oder drahtlose Telegrafie; daher die plötzlichen Sympathien etc. und verlässt den Körper des Menschen bei seinem Tod etwa nach und nach, wie in Wellen, um sich irgendwie als geistige Kraft ins All zu ergiessen und aufzulösen. Du wirst sehen, einmal wird man das entdecken und dann werden sich viele Phänomene wie Telepathie, Ansagen Sterbender, Fernsehen etc. so einfach erklären, wie jetzt das Telephon und die drahtlose Telegraphie, geschweige Radio. Auch liesse sich der rätselhafte, heilende Einfluss mancher Menschen auf andere so erklären, – sogar die sonderbare Tradition vom Heiligenschein, denn es kann Menschen gegeben haben, bei denen diese Ausstrahlung, so stark gewesen wäre, dass die Stirne leuchtete. Woher die geheimnisvolle Verklärung nach dem Tode? – Ich habe diesen Gedankengang [...] auch Carry Brachvogel und Fred [Alfred Haushofer] und manchen anderen unterbreitet und niemand schien ihm abgeneigt.

Seit 1933 geht es mit allen Frauen, die sich in der modernen bürgerlichen Frauenbewegung engagiert, für Selbstbestimmung und finanzielle Unabhängigkeit gekämpft haben, steil abwärts auch wegen der anhaltenden Inflation. Marie Haushofer erlebt, wie ihre Freundin Carry Brachvogel Berufs- und Publikationsverbot erhält und auch der Münchner Schriftstellerinnenverein aufgelöst wird, den ihre Stiefmutter Emma Haushofer-Merk 1913 mit Carry Brachvogel zusammen gegründet hat.

Auch Mitglieder der Familie Haushofer werden seit 1933 mehr und mehr überwacht. 1942, während der Zweite Weltkrieg in vollem Gange ist, endet Maries Leben tragisch. Sie ist jetzt 69 Jahre alt und leidet an Geldmangel. Nicht nur die Auftragslage ist während des Krieges eine Katastrophe, sie hat auch gesundheitliche Probleme. In Briefen an ihre Schwägerin Martha Haushofer berichtet sie ab September 1940 von einer akuten Erkrankung, von ihrer Angst vor dauerndem Siechtum, auch wenn behandelnde Ärzte, die sie ins Krankenhaus bringen wollen, das nicht so sehen.

Tatsächlich entscheidet sich Marie Haushofer im Ablauf von nur wenigen Wochen für einen Freitod. Ihr Freund Wolfgang Ruoff ist der letzte, der sie sieht: Mittwoch, den 10. Oktober, verbringt er noch den Abend mit ihr, liest ihr einen Roman vor und verlässt sie dann in der Nacht. Als er am nächsten Morgen das Atelier betritt, ist sie verschwunden. Ohne Worte des Abschieds. In einer Schublade findet er eine Verfügung über ein offenes Depot und eine von ihr verfasste „Krankheitsgeschichte“. Hier berichtet sie von Lähmungserscheinungen im Rücken, Sehstörungen und von ihrer Überzeugung, eine schwere Nervenkrankheit zu haben, verrückt, blind und arbeitsunfähig zu werden, ihren Geschwistern finanziell zur Last zu fallen, und auch von ihren Plänen sich umzubringen.

Ruoff ist völlig verzweifelt und informiert ihre Brüder. Erst am 2. November 1940 wird Marie Haushofers Leiche in Neufinsing in der Isar am Kraftwerk aufgefunden. Nach der Einäscherung in München erteilt die Gemeinde Chiemsee die Erlaubnis, die Asche im Familiengrab auf dem Friedhof der Fraueninsel beizusetzen. Nach ihrem Tod zieht Wolfgang Ruoff ins Hildebrandhaus, wo er bereits seit 1934 Wohn- und Atelierräume angemietet hat. Er lebt noch bis 1965 und ist ein bekannter Pianist seiner Zeit.

 


Zur Station 7 von 15 Stationen


 

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Richardsen, Ingvild (2017): Marie Haushofer. In: Auf den Spuren der vergessenen Dichterinnen von Frauenchiemsee. Volk Verlag, München.

Dies. (Hg.) (2018): Evas Töchter. Münchner Schriftstellerinnen und die moderne Frauenbewegung. 1894-1933. Volk Verlag, München.