München, Königinstraße 10 (Haushofer / Merk)
In der Königinstraße 10, nur wenige Häuser von dem Fotoatelier Elvira und von Sophias Goudstikkers und Ika Freudenbergs Wohnhaus in der Königinstraße 3a entfernt, stand früher das Wohnhaus des Dichters Max Haushofer, der um 1900 einer der wichtigsten Förderer der modernen bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern ist. Seit 1886 lebt er indem herrschaftlichen Haus unmittelbar gegenüber dem Englischen Garten. Auch die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Emma Merk lebt nach ihrer Heirat seit 1902 bis zum Jahr 1925 in diesem Haus. Bis zum Jahr 1919 wohnt die Malerin und Dichterin Marie Haushofer in der Königinstraße 10. 1938 wird das Anwesen wegen der Verbreiterung der Königinstraße abgerissen. Auf einer alten Fotografie aus dem Stadtarchiv ist das Haus allerdings festgehalten.
Die Beteiligung von Männern ist ein Spezifikum der Münchner Frauenbewegung. Nicht nur um von ihren Netzwerken profitieren zu können, nimmt der 1894 gegründete Verein für geistige Interessen der Frau ganz gezielt Männer als Mitglieder auf: Künstler, Schriftsteller, Gelehrte, Professoren, Ärzte, Rechtsanwälte und Industrielle. Auch sie sollen die emanzipatorischen Ideen verbreiten. Die Münchner Frauenrechtlerinnen sind der Auffassung, dass eine Veränderung der Gesellschaft ohne die konstruktive Einbeziehung der Männer nicht funktionieren wird.
In der ersten überlieferten Mitgliederliste von 1896 finden sich sechs Männer, darunter an vorderster Front der später so berühmte Bildhauer und Jugendstilkünstler Herman Obrist. Auf der Mitgliederliste von 1897 stehen dann bereits 22 Männer, darunter viele bekannte Persönlichkeiten: der später so bekannte Architekt und Jugendstilkünstler August Endell, der Dichter Rainer Maria Rilke, Dr. Carl von Thieme, der Direktor der Münchner Rückversicherungsgesellschaft, der bekannte Literat Ernst Freiherr von Wolzogen und der Dichterphilosoph Max Haushofer, der seinerzeit in ganz Deutschland bekannte Professor für Volkswirtschaft. Er, einer der größten Unterstützer der modernen Frauenbewegung in Bayern, ist der Vater der Dichterin Marie Haushofer und langjährige Freund sowie spätere Ehemann von Emma Merk. Eng befreundet ist er zeitlebens mit der Schriftstellerin Carry Brachvogel und der Fotografin Sophia Goudstikker. Als engagiertes Mitglied hält er Vorträge im Verein für Fraueninteressen und leitet auch einen Kurs zu den Grundlagen der Volkswirtschaft. Als er 1907 stirbt, erfährt man in den Münchner Neuesten Nachrichten, welchen hohen Stellenwert er als Mitglied des Vereins und auch als Förderer der Frauenbewegung eingenommen hat:
Er war der erste Mann, der in diesem Frauenverein einen Vortag hielt („Über die Ehefrage im Deutschen Reich“). Auf dem ersten bayerischen Frauentag sprach er als einziger männlicher Redner „Über die Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben“. In einem warm empfundenen Nachruf, den die erste Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen. Frl. Ika Freudenberg im letzten Mitgliederabend hielt, betonte sie besonders, daß Professor Haushofer nicht nur offiziell für die Frauenfrage eingetreten ist, sondern, daß er den strebenden Frauen stets ein treuer Beistand war, bei dem man sich immer Rat holen konnte. Zum Zeichen der Trauer um den Dahingeschiedenen erhob sich die Versammlung von den Sitzen.
Noch 1933, in ihren Lebenserinnerungen, schreibt die Frauenrechtlerin und Politikerin 1933 Gertrud Bäumer rückblickend über Max Haushofers Leistungen für die Frauenbewegung in Bayern:
es gab in Bayern gar keine andere mögliche Verbindung (für die Frauenbewegung) als die zum Liberalismus, der für die ältere Generation in Haushofer einen kultivierten und verständnisvollen Vertreter – man kann beinahe sagen: Verbindungsmann – zur Frauenbewegung darstellte.
Nach Max Haushofers Tod lebt Emma Merk mit ihrer Stieftochter Marie Haushofer zusammen in der großen Jugendstilwohnung in dem herrschaftlichen Haus in der Königinstraße 10 gegenüber dem Englischen Garten. Jeden Sonntag versammelt sich hier an ihrem „Teetisch“ eine illustre Gesellschaft von Künstlern, Gelehrten, Schriftstellern beiderlei Geschlechts. Carry Brachvogel hat ihren Teetisch 1925 anlässlich des Todes von Emma Haushofer-Merk in den Münchner Neuesten Nachrichten so beschrieben:
Ihre Sonntagnachmittage. Die wird keiner von uns je vergessen, der daran teilnehmen durfte, und wenn wir in kommenden dämmrigen Winternachmittagen an dem Haus Königinstraße 10 vorübergehen, dann werden wir voll schmerzlicher Sehnsucht nach den Fenstern des zweiten Stockwerks spähen und einen Augenblick lang meinen, wir dürften, wie einst, hinaufgehen, und Ihren reizenden, lächelnden Willkomm hören: „Das ist schön, dass Sie kommen!“ [...] Ach, die Sonntagnachmittage bei Emma Haushofer, wie waren sie schön und gemütlich und immer anregend, ohne daß geistig am Trapez geturnt oder hohe Schule modernster Kultur geritten wurde! Wer noch nicht wußte, oder gewußt hätte, wes Geistes Kind und welch künstlerischer Herkunft Emma Haushofer war, der hätte es hier gemerkt, in diesem altväterlichen Zimmer mit dem schönen Familienbild von Edlinger über dem Sofa mit dem großen, ovalen Teetisch, auf dem auch im tiefen Winter stets ein paar blühende Blumen standen. Eine bunte Gesellschaft sammelte sich um diesen gastlichen Tisch: Schriftsteller, Künstler, gelehrte Herren und Damen, dazwischen wohl auch ein paar großindustrielle Elemente, doch der feine Takt, die erlesene Kultur der Hausfrau, verstand alle in Harmonie zu vereinen. Man wurde mit sogenannten „geistigen Genüssen“ verschont, es wurde nichts „geboten“, weder dilettantische Deklamation, noch Vorlesung von Pfuschwerken befreundeter Kollegen, noch musikalische Exekutionen. [...] Es gab für Emma Haushofer nichts Lieberes als geistig angeregte Geselligkeit, und eben darum verstand sie es meisterhaft, Menschen, die irgendwas zu geben hatten, um sich zu sammeln und aus ihnen einen innerlich verbundenen Kreis zu gestalten [...].
Zur Station 6 von 15 Stationen
Sekundärliteratur:
Bäumer, Gertrud (1933): Lebensweg durch eine Zeitenwende. München.
Emma Haushofer-Merk zum Andenken (1925). Nachruf von Carry Brachvogel 1925 anlässlich des Todes von Emma Haushofer-Merk. In: Münchner Neue Nachrichten, Nr. 198, 19. Juli.
Meldebögen Emma Merk, Marie Haushofer und Max Haushofer. Stadtarchiv München.
Richardsen, Ingvild (2018): Emma Haushofer-Merk und Max Haushofer. In: Evas Töchter. Volk Verlag, München.
In der Königinstraße 10, nur wenige Häuser von dem Fotoatelier Elvira und von Sophias Goudstikkers und Ika Freudenbergs Wohnhaus in der Königinstraße 3a entfernt, stand früher das Wohnhaus des Dichters Max Haushofer, der um 1900 einer der wichtigsten Förderer der modernen bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern ist. Seit 1886 lebt er indem herrschaftlichen Haus unmittelbar gegenüber dem Englischen Garten. Auch die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Emma Merk lebt nach ihrer Heirat seit 1902 bis zum Jahr 1925 in diesem Haus. Bis zum Jahr 1919 wohnt die Malerin und Dichterin Marie Haushofer in der Königinstraße 10. 1938 wird das Anwesen wegen der Verbreiterung der Königinstraße abgerissen. Auf einer alten Fotografie aus dem Stadtarchiv ist das Haus allerdings festgehalten.
Die Beteiligung von Männern ist ein Spezifikum der Münchner Frauenbewegung. Nicht nur um von ihren Netzwerken profitieren zu können, nimmt der 1894 gegründete Verein für geistige Interessen der Frau ganz gezielt Männer als Mitglieder auf: Künstler, Schriftsteller, Gelehrte, Professoren, Ärzte, Rechtsanwälte und Industrielle. Auch sie sollen die emanzipatorischen Ideen verbreiten. Die Münchner Frauenrechtlerinnen sind der Auffassung, dass eine Veränderung der Gesellschaft ohne die konstruktive Einbeziehung der Männer nicht funktionieren wird.
In der ersten überlieferten Mitgliederliste von 1896 finden sich sechs Männer, darunter an vorderster Front der später so berühmte Bildhauer und Jugendstilkünstler Herman Obrist. Auf der Mitgliederliste von 1897 stehen dann bereits 22 Männer, darunter viele bekannte Persönlichkeiten: der später so bekannte Architekt und Jugendstilkünstler August Endell, der Dichter Rainer Maria Rilke, Dr. Carl von Thieme, der Direktor der Münchner Rückversicherungsgesellschaft, der bekannte Literat Ernst Freiherr von Wolzogen und der Dichterphilosoph Max Haushofer, der seinerzeit in ganz Deutschland bekannte Professor für Volkswirtschaft. Er, einer der größten Unterstützer der modernen Frauenbewegung in Bayern, ist der Vater der Dichterin Marie Haushofer und langjährige Freund sowie spätere Ehemann von Emma Merk. Eng befreundet ist er zeitlebens mit der Schriftstellerin Carry Brachvogel und der Fotografin Sophia Goudstikker. Als engagiertes Mitglied hält er Vorträge im Verein für Fraueninteressen und leitet auch einen Kurs zu den Grundlagen der Volkswirtschaft. Als er 1907 stirbt, erfährt man in den Münchner Neuesten Nachrichten, welchen hohen Stellenwert er als Mitglied des Vereins und auch als Förderer der Frauenbewegung eingenommen hat:
Er war der erste Mann, der in diesem Frauenverein einen Vortag hielt („Über die Ehefrage im Deutschen Reich“). Auf dem ersten bayerischen Frauentag sprach er als einziger männlicher Redner „Über die Teilnahme der Frauen am Erwerbsleben“. In einem warm empfundenen Nachruf, den die erste Vorsitzende des Vereins für Fraueninteressen. Frl. Ika Freudenberg im letzten Mitgliederabend hielt, betonte sie besonders, daß Professor Haushofer nicht nur offiziell für die Frauenfrage eingetreten ist, sondern, daß er den strebenden Frauen stets ein treuer Beistand war, bei dem man sich immer Rat holen konnte. Zum Zeichen der Trauer um den Dahingeschiedenen erhob sich die Versammlung von den Sitzen.
Noch 1933, in ihren Lebenserinnerungen, schreibt die Frauenrechtlerin und Politikerin 1933 Gertrud Bäumer rückblickend über Max Haushofers Leistungen für die Frauenbewegung in Bayern:
es gab in Bayern gar keine andere mögliche Verbindung (für die Frauenbewegung) als die zum Liberalismus, der für die ältere Generation in Haushofer einen kultivierten und verständnisvollen Vertreter – man kann beinahe sagen: Verbindungsmann – zur Frauenbewegung darstellte.
Nach Max Haushofers Tod lebt Emma Merk mit ihrer Stieftochter Marie Haushofer zusammen in der großen Jugendstilwohnung in dem herrschaftlichen Haus in der Königinstraße 10 gegenüber dem Englischen Garten. Jeden Sonntag versammelt sich hier an ihrem „Teetisch“ eine illustre Gesellschaft von Künstlern, Gelehrten, Schriftstellern beiderlei Geschlechts. Carry Brachvogel hat ihren Teetisch 1925 anlässlich des Todes von Emma Haushofer-Merk in den Münchner Neuesten Nachrichten so beschrieben:
Ihre Sonntagnachmittage. Die wird keiner von uns je vergessen, der daran teilnehmen durfte, und wenn wir in kommenden dämmrigen Winternachmittagen an dem Haus Königinstraße 10 vorübergehen, dann werden wir voll schmerzlicher Sehnsucht nach den Fenstern des zweiten Stockwerks spähen und einen Augenblick lang meinen, wir dürften, wie einst, hinaufgehen, und Ihren reizenden, lächelnden Willkomm hören: „Das ist schön, dass Sie kommen!“ [...] Ach, die Sonntagnachmittage bei Emma Haushofer, wie waren sie schön und gemütlich und immer anregend, ohne daß geistig am Trapez geturnt oder hohe Schule modernster Kultur geritten wurde! Wer noch nicht wußte, oder gewußt hätte, wes Geistes Kind und welch künstlerischer Herkunft Emma Haushofer war, der hätte es hier gemerkt, in diesem altväterlichen Zimmer mit dem schönen Familienbild von Edlinger über dem Sofa mit dem großen, ovalen Teetisch, auf dem auch im tiefen Winter stets ein paar blühende Blumen standen. Eine bunte Gesellschaft sammelte sich um diesen gastlichen Tisch: Schriftsteller, Künstler, gelehrte Herren und Damen, dazwischen wohl auch ein paar großindustrielle Elemente, doch der feine Takt, die erlesene Kultur der Hausfrau, verstand alle in Harmonie zu vereinen. Man wurde mit sogenannten „geistigen Genüssen“ verschont, es wurde nichts „geboten“, weder dilettantische Deklamation, noch Vorlesung von Pfuschwerken befreundeter Kollegen, noch musikalische Exekutionen. [...] Es gab für Emma Haushofer nichts Lieberes als geistig angeregte Geselligkeit, und eben darum verstand sie es meisterhaft, Menschen, die irgendwas zu geben hatten, um sich zu sammeln und aus ihnen einen innerlich verbundenen Kreis zu gestalten [...].
Zur Station 6 von 15 Stationen
Bäumer, Gertrud (1933): Lebensweg durch eine Zeitenwende. München.
Emma Haushofer-Merk zum Andenken (1925). Nachruf von Carry Brachvogel 1925 anlässlich des Todes von Emma Haushofer-Merk. In: Münchner Neue Nachrichten, Nr. 198, 19. Juli.
Meldebögen Emma Merk, Marie Haushofer und Max Haushofer. Stadtarchiv München.
Richardsen, Ingvild (2018): Emma Haushofer-Merk und Max Haushofer. In: Evas Töchter. Volk Verlag, München.