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Wirtin Julia Huber im Malerwinkel des Gasthofs zur Linde (1870-1881). Foto: Ingvild Richardsen.

Im Gasthof zur Linde an der Tür

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Foto: Ingvild Richardsen.

Noch heute kann sich der Besucher der Fraueninsel auf die Spuren der Künstler und Schriftsteller im Gasthof Zur Linde begeben. Das Haus hat eine lange Geschichte hinter sich: Nachdem ein Sturm 1395 den Turmhelm des Glockenturms auf die Klostertaverne warf und diese zerstörte, ließ die Äbtissin, Elisabeth I. die Torerin, 1396 an dem Platz, wo heute der Gasthof Zur Linde steht, eine neue Taverne aus Holz errichten. 1579 wurde diese durch einen Steinbau ersetzt. Die Äbtissin Magdalena Haidenbucher ordnete 1609 dann die Erneuerung des Dachstuhles an. 1630, während der Dreißigjährige Krieg durch Europa tobte, ließ sie die Hoftaverne noch aufstocken, wodurch der Gasthof nun ein herrschaftliches Aussehen erhielt. Im Zuge der Erweiterungen des Hauses um weitere Bauten und Hotelflügel im 18. und 19. Jahrhundert, wurden die Räume der alten Hoftaverne völlig verändert. Vom alten Bestand am besten erhalten ist heute noch die untere Wirtsstube im Hotel-Gasthof Zur Linde, der frühere Künstlertreff:

Nachdem sich Dumbsers Gasthof seit den 1830ern-Jahren zur „Künstlerherberge“ entwickelt hatte, wurde dieser Status Anfang der 1840er-Jahre noch untermauert. Man zählte das Jahr 1841, als im Gasthof Zur Linde der „Künstlerstammtisch“ ins Leben gerufen wurde. Ein viereckiger Holztisch in der unteren Wirtsstube mit einem darüber hängenden Wappenschild bildete fortan das Zentrum der Künstlerkolonie auf der Fraueninsel. Dieser „Malerwinkel“ mit seinem Künstlertisch hat einige Berühmtheit erlangt. Über ihn ist im 19. und 20. Jahrhundert viel geschrieben worden. Immer wieder haben ihn die Künstler auch im Bild festgehalten, auf Gemälden, in den Frauenwörter Künstlerchroniken und später auch in Fotografien. In einem Zeitungsartikel konnte man um 1895 über ihn lesen:

Und jetzt zieht es uns hinein in das „historische“ Wirthshausstübchen, wo die Künstler so fröhlich beisammen waren und Gottlob noch heute sind [...]. Wir treten ein. Ringsum stehen weiße, sauber gescheuerte Tische und Bänke; da und dort ein epheuumwundenes Künstlerwappen, dann ein Chiemseeboot en miniature, ein mächtiges Trinkhorn, ein wunderlich groß und greuliches Fischungetüm, dessen Maul – aus einem alten, klaffenden Schuh gefertigt ist; die glotzenden Fischausgen bestehn bei näherer Besichtigung aus ganz gewöhnlichen Knöpfen, aber das Ganze ist so der Natur nachgeahmt, daß man genau hinsehen muss, um nicht getäuscht zu werden.

Die Schriftstellerin Emma Merk ließ sogar die Liebesgeschichte zwischen dem Münchner Maler Gerau und der Münchnerin Elisabeth, die sie in ihrer Novelle Treulos in ihrem Buch Chiemseenovellen (1897) erzählt, im „Malerwinkel“ beginnen:

Es waren nur wenige Menschen mit ihnen ausgestiegen; sie konnten das Echo ihrer Schritte hören, als sie nun an dem ummauerten Klostergarten entlang gingen, bis zu dem Gasthaus, wo etliche Bänke unter prächtigen alten Lindenbäumen standen. Die Berge, über die man von hier aus sonst wohl einen wunderschönen Ausblick genoß, waren nun freilich in Wolken gehüllt. Aber diese Schleier, die noch die Schönheit verdeckten, das Rauschen in den Lindenwipfeln, die einsame Ruhe, in der man das Tropfenfallen hörte, erhöhten nur die Stimmung des Märchenhaften, des Ungewöhnlichen, die sich bei Elisabeth mit jedem neuen Schritt steigerte. Auch in die niedere Gaststube mit dem Epheu an den Fenstern wollte sie hineinschauen, ehe sie nur Schirm und Reisemantel abgelegt hatte. Dort in der Ecke war wohl der Künstlertisch mit dem Malerwappen an der weissgetünchten Wand, mit den verschiedenen Festerinnerungen und lustigen Emblemen, die von der Decke herabbaumelten. Sie hielt die Lorgnette vor die etwas kurzsichtigen Augen und trat lächelnd herzu. Dann aber zuckte ihr ein jäher Schrecken bis in die Fingerspitzen. Fast hätte sie das Reisetäschchen, das sie noch trug, aus den Händen gleiten lassen. Von seinem Platz, neben der Thüre, hatte sich mit lebhaftem Gruß ein junger Mann erhoben. Er! Er selber! Ihr Reisebekannter vom Comersee, der ihnen so viel von diesem idyllischen Inselfleckchen erzählt hatte, daß sie seit mehr als einem Jahre danach brannte, es endlich zu sehen!

Altes Wappen der Künstlerkneipe im Gasthof zur Linde von 1841, Vorder- und Rückseite. Foto: Thomas Gross.

Für den Malerpoeten Karl Raupp und Franz Wolter, die 1918 und 1924 die Frauenwörther Künstlerchroniken in Auszügen herausbrachten, war dieser Malerwinkel mit dem viereckigen Tisch das Signum der Frauenwörther Künstlerkolonie, und so machten sie ihn denn auch 1918, nach einem Gemälde von Karl Raupp, zum Cover ihres Buches. Sie, die selbst unzählige Male an diesem Tisch saßen, haben den Malerwinkel mit seinem Malerwappen, das man noch heute in der Wirtsstube bestaunen kann, so beschrieben:

Im alten Teil des Gasthauses [...] steht im ebenerdigen Wirtszimmer in traulicher Ecke ein viereckiger, von alten Holzbänken umstellter Tisch, an dem von jeher der Maler saß, seit er auf Frauenchiemsee sich Heimatrecht erwarb. Die Wände zieren Wappen und Pokale, im Fenster sind Butzenscheiben mit farbigen Wappen, meist von der Künstlerhand Ferdinand Barths entworfen, eingelassen, und von der Decke hängt über dem Tisch ein Wappenschild, an dessen unterm Ende eine kleine Palette baumelt als Wahrzeichen derer, die hier in fröhlicher Kameradschaft gelebt, gemalt und gezecht. Das Wappen zeigt auf der einen Seite ein blaues Feld mit drei silbernen Schildchen, das Künstlerwappen, das bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Maler (die Schilder-Tarschenmacher) als Wappen führten. Die andere Seite des Wappens zeigt im Bild die Giebelseite des gastlichen Hauses. Ein schmaler dürrer Maler, mit spitzem, breitrandigem Hut, eine große Mappe unterm Arm, schreitet links hinein und kommt rechts wohlgenährt, mit rundem Bäuchlein wieder heraus; darüber auf fliegendem Blatt steht folgende Inschrift: „Wenn d' wissen willst, wie d' lebst in diesem Haus, So kommst herein, so geht's hinaus!“

(Raupp; Wolter 1918, S. 23)

Es war der Porträtmaler Engelbert Seibertz, der 1841 das heute noch vorhandene Herbergsschild für die künftige Malerkneipe im Gasthof zur Linde entworfen hatte. Während die eine Seite des Wappens unmittelbar verständlich ist, sind die symbolischen Zeichen auf der anderen Wappenseite für heutige Besucher unverständlich. Fündig wird man wieder bei dem Dichter Ludwig Steub (1812-1888). Er, der seinerzeit selbst häufiger Gast an diesem Tisch war, hat den Malerwinkel und alle Symbole des Herbergsschildes bereits 1860 in seinem Buch Das bayerische Hochland erläutert:

Wer nun hier zu einem Trunke niedersitzt in der weiten Stube und dabei ein wenig um sich schaut, dem kann ein schönes Handwerkschild nicht entgehen, das über einem jener Tische hängt und einer ehrsamen Zunft der Maler angehörig ist. Darauf sind zu sehen die drei weißen Schilde im blauen Felde, das Wappen, das einst »unser lieber, besonders theurer und fürtrefflicher Kaiser Max I. dem Erzvater deutscher Kunst, Albrecht Dürerern« verliehen, umgeben von drei andern Wappenschilden, nämlich unten von einem Bockglas im rothen Felde, so das Kneipzeichen der Münchner Maler, rechts von dem Münchner Mönche, (leider auch im blauen Felde, wie ihn jetzt fälschlich die Münchner malen, statt im goldenen, wie es nach altem Herkommen sein muß), und links von den Seerosenblättern, dem Wappen von Frauenchiemsee; alles dieß umringt von gelb und schwarzem, wie weiß und grünem Laubwerk, was nach einer exegetischen Quelle [...] das Bündniß und freundschaftliche Betragen bedeutet, so in alle Ewigkeit zwischen der Kneipe dieser Insel und der besonders fürnehmen und belobten Mutterkneipe zu München in der Stadt bestehen soll.

(Ludwig Steub: Das bayerische Hochland. München 1860, S. 283-286)

Noch heute kann der Besucher den alten Malerwinkel sehen, an dem berühmten Künstlertisch unter dem alten Herbergsschild speisen und seine kunstvolle Ausführung bewundern.


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen