Friedhofsausgang: Blick auf den Gasthof zur Linde
Wenn unzählige Gäste heute den Zauber des Chiemsees und der Fraueninsel zu schätzen wissen, so ist es das Verdienst der Künstler gewesen, ihnen im 19. Jahrhundert den Weg dorthin geebnet zu haben. Die Entdeckung der Insel als Ort der künstlerischen Inspiration und Sommerfrische fand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts statt, zu dem Zeitpunkt, als das Frauenkloster 1803 geschlossen worden war.
Für Kunst und Tourismus erkundet hat die Fraueninsel zuerst Maximilian Haushofer (1811-1866). Alles begann im Jahr 1828, als er mit 17 Jahren mit seinen beiden Cousins Josef und Karl Boshart und seinem Freund Franz Trautmann – alle vier waren Schüler am privaten königlichen Erziehungsinstitut in München – in den Schulferien zu einer ersten Fußreise in die Alpen aufbrach. Als sie am zweiten Tag ihrer Reise ein schweres Gewitter in Rosenheim erlebten, landeten sie schließlich nach einem Umweg am Westufer des Chiemsees in Prien. Fasziniert von dem Anblick, der sich ihnen auf Wasser und Berge bot, liehen sie sich ein Boot und fuhren damit auf die Fraueninsel. Hier verlebten sie einige vergnügte Tage, setzen dann aber ihre Reise fort. Diese hinterließ bei Maximilian Haushofer bleibenden Eindruck: Als er im Herbst 1828 mit seinen Freunden wieder in München weilte, erzählte er im Stubenvoll, einer Wirtschaft am Anger, in der seinerzeit viele Künstler verkehrten, von den Erlebnissen auf Frauenchiemsee. Er pries die Schönheit, den Reiz des Chiemsees und der alten Klosterinsel. 1830, nunmehr als Student der Rechtsgeschichte, reiste Haushofer erneut an den Chiemsee und begegnete jetzt als 19-Jähriger erstmals der 15-jährigen Wirtstochter Anna Dumbser. Es war auch seine Verliebtheit, die dazu führte, dass er in den nächsten Jahren immer wieder auf der Fraueninsel anzutreffen war. Als er 1831 damit begann, Unterricht in der Ölmalerei zu nehmen, dauerte es nicht lange und schon verkaufte er erste Bilder. 1832, während einer Wanderung nach Berchtesgaden und überwältigt von der ihn umgebenden Naturschönheit, traf er dann den Entschluss, Landschaftsmaler zu werden. Bei seinen folgenden Reisen an den Chiemsee zog der junge Künstler immer mehr Freunde aus München mit ins Schlepptau, darunter Maler wie Daniel Fohr (1801-1862), Peter von Hess (1892-1871), Karl Adolf Mende (1807-1857), Leopold Rottmann (1812-1881), Eduard Merk (1816-1888) und Christian Ruben (1805-1875). Der Künstlerzuzug auf die Fraueninsel mehrte sich von Jahr zu Jahr. Nach der 1803 erfolgten Säkularisation waren die Inselbewohner froh, dass nun so viele Münchner Künstler auf die Insel kamen und mit dem Wunsch nach Unterkunft und Verpflegung neue Einkommensquellen schufen, nachdem das Kloster als Arbeitgeber und Abnehmer der regional erzeugten Produkte ja ausgefallen war. Bis zur Wiedereröffnung im Jahr 1838 nutzten die Maler sogar die leer stehenden Räume der geschlossenen Klosteranlage als Ateliers. Quartier nahm man meist im Gasthof Zur Linde beim Wirt Daniel Dumbser, aber auch im Mesnerhaus, Tuchmacherhaus oder in Privathäusern, bei Fischern und Handwerkern. Im Oktober 1836 führte Daniel Dumbsers Gastwirtsliste 26 Künstler, die sich auf der Insel aufgehalten hatten. Die Familie Dumbser, insbesondere der Wirt Daniel Dumbser, ist vom Schriftsteller Felix Dahn so beschrieben worden:
Er war das Muster eines oberbayerischen Wirthes: nicht sehr gesprächig, ruhig aber merksam auf alles und, verlangte es also der Gang der Gestirne oder die Ordnung in seinem Wirthszimmer, von einer Grobheit und Stärke, wie Asa Thorr. Ich sah es mit Augen, wie er den rothen Fritz, den einzigen Branntweinsäufer auf der Insel und einen der häufigsten hinausgeworfenen Menschen, die ich kenne, dem er längst sein Wirtshaus verboten hatte [...], bei abermaligem Eindringen wagerecht auf seine beiden riesenstarke Arme legte und ihn, Kopf voraus, durch das schmale und niedrige Fenster schoß wie der Bäcker einen Laib Brot in den Ofen schießt: da der Schießer sich aber vor her nicht Zeit genommen, das Fenster zu schließen, gab es klirrende Scheiben und blutige Backen.
Maximilian Haushofer und Anna Dumbser, Tochter von Daniel Dumbser. Gemälde von Engelbert Seibertz (1813-1905). Foto: Ingvild Richardsen.
Als Anna Dumbser und Maximilian Haushofer schließlich am 3. Oktober 1838 im Münster von Frauenchiemsee heirateten, entstand damit ein festes Band zwischen Künstlern und Einheimischen, die Haushofer'sche Künstlerkolonie wurde sozusagen zementiert. Die Liebesgeschichte zwischen Anna Dumbser und Max Haushofer ist auch in die Literatur eingegangen. In einigen damaligen Literaturgeschichten findet sich der Hinweis, dass die Heirat Haushofers mit Anna Dumbser den Schriftsteller Berthold Auerbach (1812-1882) zu seiner Frau Professorin angeregt haben soll. Doch auch der Schriftsteller Ludwig Steub (1812-1888) ist durch die Liebesgeschichte zwischen Maximilian Haushofer und Anna Dumbser zu einer Dichtung inspiriert worden. Seine Novelle Das Seefräulein von 1849 geht auf eine alte Sage und zudem auf die romantische Begegnung seines Freundes Maximilian Haushofer mit Anna zurück. Umgearbeitet zu einem Lustspiel reichte er diese 1851 dem Intendanten Dingelstedt (1814-1881) für das Königliche Hoftheater zu München ein. Aufgeführt wurde es am 5. Mai 1868. In dem Lustspiel erscheinen zwei Hauptakteure: das Fräulein und der Maler, während der Wirt und die Wirtin im Hintergrund bleiben. Steub verlegte das Handlungsgeschehen an den „Tumsee“ „im „Landgericht Reichenhall“, in welchem man aber dennoch den Chiemsee erkennt, denn schon im 1. Akt ließ Steub die alte Chiemsee-Sage von dem Riesenwaller am Grund des Chiemsees anklingen.
Die Entwicklung Frauenchiemsees zum künstlerischen Brennpunkt war unaufhaltsam. Daniel Dumbsers Gastwirtschaft entwickelte sich zum Mittelpunkt allen künstlerischen Treibens auf der Insel: Nicht nur Maler, auch viele Dichter waren hier nun Gast, arbeiteten, tauschten sich untereinander aus und schwelgten in der besonderen Atmosphäre der Insel. Und so war es denn auch nicht verwunderlich, wenn es in den 1840er-Jahren seitens des Klosters Beschwerden über Daniel Dumbser und seine Gäste gab. Der Klosterchronik zufolge hatte er wegen ungebührlichen Verhaltens – „beständiges Hereinsehen“ in den Klosterhof und „unsittliches Baden“ vor den Fenstern der Klosterzelle durch seine Familie und Gäste in der Vergangenheit – zu vielen Irritationen Anlass gegeben.
Zur Station 9 von 18 Stationen
Sekundärliteratur:
Haushofer, Heinz (1979): Max Haushofer, Landschaftsmaler (1811-1866). In: Haushofer-Traditionen. München, S. 57-87. (Ms.)
Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 152-192.
Schütz, M. Magdalena OSB (1982): Geschichte der Abtei Frauenwörth. 782-1982. Hg. v. der Benediktinnerinnen-Abtei Frauenwörth/Chiemsee. St. Ottilien.
Quellen:
Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten. 1843, 2. Kap.: Das war ein Sonntagsleben.
Felix Dahn: Erinnerungen. Zweites Buch. Leipzig 1891, S. 221-253 (617-625), hier S. 222f.
Ludwig Steub: Das Seefräulein. Novelle. In: Fliegende Blätter 1849, Nr. 193-195.
Ders.: Lustspiele von Ludwig Steub. Stuttgart 1873.
Wenn unzählige Gäste heute den Zauber des Chiemsees und der Fraueninsel zu schätzen wissen, so ist es das Verdienst der Künstler gewesen, ihnen im 19. Jahrhundert den Weg dorthin geebnet zu haben. Die Entdeckung der Insel als Ort der künstlerischen Inspiration und Sommerfrische fand im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts statt, zu dem Zeitpunkt, als das Frauenkloster 1803 geschlossen worden war.
Für Kunst und Tourismus erkundet hat die Fraueninsel zuerst Maximilian Haushofer (1811-1866). Alles begann im Jahr 1828, als er mit 17 Jahren mit seinen beiden Cousins Josef und Karl Boshart und seinem Freund Franz Trautmann – alle vier waren Schüler am privaten königlichen Erziehungsinstitut in München – in den Schulferien zu einer ersten Fußreise in die Alpen aufbrach. Als sie am zweiten Tag ihrer Reise ein schweres Gewitter in Rosenheim erlebten, landeten sie schließlich nach einem Umweg am Westufer des Chiemsees in Prien. Fasziniert von dem Anblick, der sich ihnen auf Wasser und Berge bot, liehen sie sich ein Boot und fuhren damit auf die Fraueninsel. Hier verlebten sie einige vergnügte Tage, setzen dann aber ihre Reise fort. Diese hinterließ bei Maximilian Haushofer bleibenden Eindruck: Als er im Herbst 1828 mit seinen Freunden wieder in München weilte, erzählte er im Stubenvoll, einer Wirtschaft am Anger, in der seinerzeit viele Künstler verkehrten, von den Erlebnissen auf Frauenchiemsee. Er pries die Schönheit, den Reiz des Chiemsees und der alten Klosterinsel. 1830, nunmehr als Student der Rechtsgeschichte, reiste Haushofer erneut an den Chiemsee und begegnete jetzt als 19-Jähriger erstmals der 15-jährigen Wirtstochter Anna Dumbser. Es war auch seine Verliebtheit, die dazu führte, dass er in den nächsten Jahren immer wieder auf der Fraueninsel anzutreffen war. Als er 1831 damit begann, Unterricht in der Ölmalerei zu nehmen, dauerte es nicht lange und schon verkaufte er erste Bilder. 1832, während einer Wanderung nach Berchtesgaden und überwältigt von der ihn umgebenden Naturschönheit, traf er dann den Entschluss, Landschaftsmaler zu werden. Bei seinen folgenden Reisen an den Chiemsee zog der junge Künstler immer mehr Freunde aus München mit ins Schlepptau, darunter Maler wie Daniel Fohr (1801-1862), Peter von Hess (1892-1871), Karl Adolf Mende (1807-1857), Leopold Rottmann (1812-1881), Eduard Merk (1816-1888) und Christian Ruben (1805-1875). Der Künstlerzuzug auf die Fraueninsel mehrte sich von Jahr zu Jahr. Nach der 1803 erfolgten Säkularisation waren die Inselbewohner froh, dass nun so viele Münchner Künstler auf die Insel kamen und mit dem Wunsch nach Unterkunft und Verpflegung neue Einkommensquellen schufen, nachdem das Kloster als Arbeitgeber und Abnehmer der regional erzeugten Produkte ja ausgefallen war. Bis zur Wiedereröffnung im Jahr 1838 nutzten die Maler sogar die leer stehenden Räume der geschlossenen Klosteranlage als Ateliers. Quartier nahm man meist im Gasthof Zur Linde beim Wirt Daniel Dumbser, aber auch im Mesnerhaus, Tuchmacherhaus oder in Privathäusern, bei Fischern und Handwerkern. Im Oktober 1836 führte Daniel Dumbsers Gastwirtsliste 26 Künstler, die sich auf der Insel aufgehalten hatten. Die Familie Dumbser, insbesondere der Wirt Daniel Dumbser, ist vom Schriftsteller Felix Dahn so beschrieben worden:
Er war das Muster eines oberbayerischen Wirthes: nicht sehr gesprächig, ruhig aber merksam auf alles und, verlangte es also der Gang der Gestirne oder die Ordnung in seinem Wirthszimmer, von einer Grobheit und Stärke, wie Asa Thorr. Ich sah es mit Augen, wie er den rothen Fritz, den einzigen Branntweinsäufer auf der Insel und einen der häufigsten hinausgeworfenen Menschen, die ich kenne, dem er längst sein Wirtshaus verboten hatte [...], bei abermaligem Eindringen wagerecht auf seine beiden riesenstarke Arme legte und ihn, Kopf voraus, durch das schmale und niedrige Fenster schoß wie der Bäcker einen Laib Brot in den Ofen schießt: da der Schießer sich aber vor her nicht Zeit genommen, das Fenster zu schließen, gab es klirrende Scheiben und blutige Backen.
Maximilian Haushofer und Anna Dumbser, Tochter von Daniel Dumbser. Gemälde von Engelbert Seibertz (1813-1905). Foto: Ingvild Richardsen.
Als Anna Dumbser und Maximilian Haushofer schließlich am 3. Oktober 1838 im Münster von Frauenchiemsee heirateten, entstand damit ein festes Band zwischen Künstlern und Einheimischen, die Haushofer'sche Künstlerkolonie wurde sozusagen zementiert. Die Liebesgeschichte zwischen Anna Dumbser und Max Haushofer ist auch in die Literatur eingegangen. In einigen damaligen Literaturgeschichten findet sich der Hinweis, dass die Heirat Haushofers mit Anna Dumbser den Schriftsteller Berthold Auerbach (1812-1882) zu seiner Frau Professorin angeregt haben soll. Doch auch der Schriftsteller Ludwig Steub (1812-1888) ist durch die Liebesgeschichte zwischen Maximilian Haushofer und Anna Dumbser zu einer Dichtung inspiriert worden. Seine Novelle Das Seefräulein von 1849 geht auf eine alte Sage und zudem auf die romantische Begegnung seines Freundes Maximilian Haushofer mit Anna zurück. Umgearbeitet zu einem Lustspiel reichte er diese 1851 dem Intendanten Dingelstedt (1814-1881) für das Königliche Hoftheater zu München ein. Aufgeführt wurde es am 5. Mai 1868. In dem Lustspiel erscheinen zwei Hauptakteure: das Fräulein und der Maler, während der Wirt und die Wirtin im Hintergrund bleiben. Steub verlegte das Handlungsgeschehen an den „Tumsee“ „im „Landgericht Reichenhall“, in welchem man aber dennoch den Chiemsee erkennt, denn schon im 1. Akt ließ Steub die alte Chiemsee-Sage von dem Riesenwaller am Grund des Chiemsees anklingen.
Die Entwicklung Frauenchiemsees zum künstlerischen Brennpunkt war unaufhaltsam. Daniel Dumbsers Gastwirtschaft entwickelte sich zum Mittelpunkt allen künstlerischen Treibens auf der Insel: Nicht nur Maler, auch viele Dichter waren hier nun Gast, arbeiteten, tauschten sich untereinander aus und schwelgten in der besonderen Atmosphäre der Insel. Und so war es denn auch nicht verwunderlich, wenn es in den 1840er-Jahren seitens des Klosters Beschwerden über Daniel Dumbser und seine Gäste gab. Der Klosterchronik zufolge hatte er wegen ungebührlichen Verhaltens – „beständiges Hereinsehen“ in den Klosterhof und „unsittliches Baden“ vor den Fenstern der Klosterzelle durch seine Familie und Gäste in der Vergangenheit – zu vielen Irritationen Anlass gegeben.
Zur Station 9 von 18 Stationen
Haushofer, Heinz (1979): Max Haushofer, Landschaftsmaler (1811-1866). In: Haushofer-Traditionen. München, S. 57-87. (Ms.)
Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 152-192.
Schütz, M. Magdalena OSB (1982): Geschichte der Abtei Frauenwörth. 782-1982. Hg. v. der Benediktinnerinnen-Abtei Frauenwörth/Chiemsee. St. Ottilien.
Quellen:
Berthold Auerbach: Schwarzwälder Dorfgeschichten. 1843, 2. Kap.: Das war ein Sonntagsleben.
Felix Dahn: Erinnerungen. Zweites Buch. Leipzig 1891, S. 221-253 (617-625), hier S. 222f.
Ludwig Steub: Das Seefräulein. Novelle. In: Fliegende Blätter 1849, Nr. 193-195.
Ders.: Lustspiele von Ludwig Steub. Stuttgart 1873.