Hauptsteg: Auf der Wiese vor dem Klosterwirt
1912 unterwegs auf den Spuren der Eigenarten Frauenchiemsees machte Carry Brachvogel auch eine vom Kloster ausgehenden „Geistigkeit“ der Insel aus. Vor allem sah sie die Fraueninsel im Banne der Gestalt der Königstochter stehen:
die Insel, die ohne das Kloster nur das Idyll eines in Lindenblüte und Rosenduft eingebetteten Fischerdorfes böte, erhält durch das ehrwürdige Haus des heiligen Benedikt ein besonderes Gepräge von Geistigkeit und vornehmer Gewöhnung. Frauenwörth ward die Insel genannt im Gegensatz zu dem benachbarten Herrenwörth, das ein Männerkloster trug, und Reiz und Nameneiner Frau scheinen immer noch um die Ufer der Insel zu schweben, wenngleich diese Frau seit mehr als tausend Jahren in der Klosterkirche schläft und im Leben vielleicht nie die war, als die sie den Dichtern und den nachdenklichen Gemütern der Fraueninsel erschien. Irmingard hieß sie.
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Heute ist Irmingard die Patronin des Chiemgaus. Jedes Jahr wallfahren Tausende zu ihrem Grab in der Klosterkirche, tragen ihre Anliegen vor und vertrauen auf ihre Fürsprache.
Als halb historische, halb legendäre Figur hat Irmingard immer wieder die Fantasie der Inselgäste beschäftigt, allen voran die der Dichter und Maler im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Einfluss, den die teils historisch verbürgte, teils legendär überzeichnete Gestalt auf die Fantasie der Künstler ausübte, ist immens. Das Irrlichtern der Künstler zwischen der Äbtissin aus Fleisch und Blut und einer Figur, die zu einer Projektionsfläche ihrer romantischen Vorstellungen von Schönheit, Einsamkeit und Sehnsucht wurde, inspirierte zahlreiche Künstler zu Werken, in denen sie der schwer zu fassenden Gestalt der Irmingard nachspürten. Auch die Prominenz von Irmingards Herkunft wirkte dabei verlockend. Gerade weil man so wenig über die eigentliche Irmingard wusste, schlug die Fantasie der Dichter und Maler hohe Wellen. Davon legen die Frauenwörther Künstlerchroniken und andere Dichtungen der Zeit noch heute Zeugnis ab.
Insbesondere Karl Stielers dichterischer Geist fühlte sich angeregt von der Erinnerung an Irmingard. Für ihn war sie eine unglückliche Prinzessin, die auf der Insel von Heimweh und Liebesschmerz geplagt wurde. Er sah sie mit der Krone auf dem Haupt an der Abtei stehen und den einfachen Fährmann beneiden, der frei war, die Insel zu verlassen und jederzeit zurückzukehren, um sein häusliches Glück zu genießen. 1886 verfasste er den romantisch stimmungsvollen Gedichtzyklus Eliland. Ein Sang vom Chiemsee. In ihm blickt er zurück ins 9. Jahrhundert und erzählt in zehn Liedern von der unglücklichen Liebe des Mönches Eliland, der in Liebe zu Irmingard entbrannt war. In zwei den Liedern vorausgehenden Gedichten wird imaginiert, wie bei Rodungsarbeiten auf Herrenchiemsee ein eiserner Sarg von Fischern gefunden wird, in denen die auf Pergament geschriebenen Lieder Elilands entdeckt worden waren, die er von seinem Abt verwarnt, in einer eisernen Truhe im See versenkt hatte. Viele Musiker setzten Stielers Eliland-Zyklus auch musikalisch um, meist für Singstimme und Klavier, unter ihnen auch Carl Orff.
Gedicht von Max Haushofer, Frauenwörther Künstlerchroniken 1888. Foto: Thomas Groß; Gedicht zu Irmingard von Karl Stieler, Frauenwörther Künstlerchroniken 1888. Zeichnung von Hermann Kaulbach. Foto: Ingvild Richardsen.
Auch der mit Stieler befreundete Dichter und Chronist der Frauenwörther Künstlerchroniken Max Haushofer ließ sich durch Irmingard inspirieren. 1892 hinterließ er neben einer Tuschzeichnung, die der Maler Rudolf Seitz 1888 in den Künstlerchroniken hinterlassen hatte, ein Gedicht. Die Zeichnung zeigte die auf dem Kelch einer Seerose stehende Irmingard, in der rechten Hand den Äbtissinnenstab, in der linken den Glockenturm, das Wahrzeichen der Insel. Daneben hatte der Maler geschrieben: „Hier mach einer einen Vers drauf.“ Max Haushofer kam Jahre später der Aufforderung nach und schrieb von einer stolzen und schönen Frau, deren Gegenwart und Geist er selbst Jahrhunderte nach ihrer Verbannung auf die Fraueninsel noch wahrzunehmen glaubte:
Das war die heilge Irmingard,
Ein Weltkind einst von stolzer Art.
Wol auch ein wenig Sünderin,
Dann Frömmigkeits-Verkünderin,
In’s stille Inselstift verbannt,
Als edle Büsserin bekannt.
Jetzt schläft sie lang in kühler Gruft
Doch heut noch durch den Lindenduft
Umweht das Eiland süss und zart
Der Gruß der schönen Irmingard.
(Max Haushofer: Frauenwörther Künstlerchroniken, 1892)
Carry Brachvogel erzählte auch, dass die männlichen Dichter immer wieder gegrübelt hätten, warum Irmingard einstmals überhaupt auf die Insel gekommen sei. Meist hätten sie dies dann immer auf eine verbotene Liebe seitens Irmingards zurückgeführt und sie tatsächlich immer am liebsten als eine „verliebte Frau“ dargestellt.
Die politisch engagierte Carry Brachvogel, die sich an vorderster Front in der modernen Frauenbewegung Bayern für die Selbstbestimmung der Frau einsetzte und bereits mehrere Biographien über bedeutende Frauen und Politikerinnen geschrieben hatte (Katharina die Große, Maria Theresia u.a.), sah das völlig anders: Sie stellte sich Irmingard als politisch engagiert vor, glaubte, sie sei wegen ihres politischen Engagements einst von ihrer Verwandtschaft auf die Insel verbannt worden.
Sippen drängten sie von der Heimat fort, auf die einsame Insel. Taten's aber nicht etwa, weil sie einen unerwünschten Freier im Herzen trug, sondern weil sie sich mehr mit politischen Angelegenheiten und Intrigen beschäftigte, als den Männern ihrer Familie wünschenswert schien. Das Bild der politischen Frau im Nonnenschleier ist nun freilich weniger rührend als das der verliebten, aber die halb-historische, halb-legendäre Gestalt wird darum nicht uninteressanter, nur pikanter und moderner. In einem Zeitalter, das den Frauen eigentlich eine Art Haremsleben anwies, nimmt sich die Gestalt dieser gebieterischen und geistig begabten Frau gar tröstlich aus
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Bevor wir uns nun weiter den Dichterinnen und Dichter und der Zeit der Künstlerkolonie zuwenden, befassen wir uns zuerst mit der literarischen Vorgeschichte der Insel, nämlich mit dem Kloster Frauenchiemsee als einem literarischen Ort, zumal die Dichterinnen und Dichter selbst auch immer wieder über das Kloster und Irmingard geschrieben haben.
Zur Station 3 von 18 Stationen
Sekundärliteratur:
Raupp, Karl; Wolter, Franz (Hg.) (1918/24): Die Künstlerchronik von Frauenchiemsee. München.
Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel im Bann der seligen Irmingard. In: Dies.: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München.
Quellen:
Carry Brachvogel: Drei bayerische Kleinodien. Westermanns Monatshefte 57. Jg. Bd. 113. I. Teil: September bis November 1912, H. 673, S. 37-50.
Karl Stieler: Eliland. In: Hochland-Lieder. Stuttgart 1879, S. 119-132.
1912 unterwegs auf den Spuren der Eigenarten Frauenchiemsees machte Carry Brachvogel auch eine vom Kloster ausgehenden „Geistigkeit“ der Insel aus. Vor allem sah sie die Fraueninsel im Banne der Gestalt der Königstochter stehen:
die Insel, die ohne das Kloster nur das Idyll eines in Lindenblüte und Rosenduft eingebetteten Fischerdorfes böte, erhält durch das ehrwürdige Haus des heiligen Benedikt ein besonderes Gepräge von Geistigkeit und vornehmer Gewöhnung. Frauenwörth ward die Insel genannt im Gegensatz zu dem benachbarten Herrenwörth, das ein Männerkloster trug, und Reiz und Nameneiner Frau scheinen immer noch um die Ufer der Insel zu schweben, wenngleich diese Frau seit mehr als tausend Jahren in der Klosterkirche schläft und im Leben vielleicht nie die war, als die sie den Dichtern und den nachdenklichen Gemütern der Fraueninsel erschien. Irmingard hieß sie.
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Heute ist Irmingard die Patronin des Chiemgaus. Jedes Jahr wallfahren Tausende zu ihrem Grab in der Klosterkirche, tragen ihre Anliegen vor und vertrauen auf ihre Fürsprache.
Als halb historische, halb legendäre Figur hat Irmingard immer wieder die Fantasie der Inselgäste beschäftigt, allen voran die der Dichter und Maler im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Der Einfluss, den die teils historisch verbürgte, teils legendär überzeichnete Gestalt auf die Fantasie der Künstler ausübte, ist immens. Das Irrlichtern der Künstler zwischen der Äbtissin aus Fleisch und Blut und einer Figur, die zu einer Projektionsfläche ihrer romantischen Vorstellungen von Schönheit, Einsamkeit und Sehnsucht wurde, inspirierte zahlreiche Künstler zu Werken, in denen sie der schwer zu fassenden Gestalt der Irmingard nachspürten. Auch die Prominenz von Irmingards Herkunft wirkte dabei verlockend. Gerade weil man so wenig über die eigentliche Irmingard wusste, schlug die Fantasie der Dichter und Maler hohe Wellen. Davon legen die Frauenwörther Künstlerchroniken und andere Dichtungen der Zeit noch heute Zeugnis ab.
Insbesondere Karl Stielers dichterischer Geist fühlte sich angeregt von der Erinnerung an Irmingard. Für ihn war sie eine unglückliche Prinzessin, die auf der Insel von Heimweh und Liebesschmerz geplagt wurde. Er sah sie mit der Krone auf dem Haupt an der Abtei stehen und den einfachen Fährmann beneiden, der frei war, die Insel zu verlassen und jederzeit zurückzukehren, um sein häusliches Glück zu genießen. 1886 verfasste er den romantisch stimmungsvollen Gedichtzyklus Eliland. Ein Sang vom Chiemsee. In ihm blickt er zurück ins 9. Jahrhundert und erzählt in zehn Liedern von der unglücklichen Liebe des Mönches Eliland, der in Liebe zu Irmingard entbrannt war. In zwei den Liedern vorausgehenden Gedichten wird imaginiert, wie bei Rodungsarbeiten auf Herrenchiemsee ein eiserner Sarg von Fischern gefunden wird, in denen die auf Pergament geschriebenen Lieder Elilands entdeckt worden waren, die er von seinem Abt verwarnt, in einer eisernen Truhe im See versenkt hatte. Viele Musiker setzten Stielers Eliland-Zyklus auch musikalisch um, meist für Singstimme und Klavier, unter ihnen auch Carl Orff.
Gedicht von Max Haushofer, Frauenwörther Künstlerchroniken 1888. Foto: Thomas Groß; Gedicht zu Irmingard von Karl Stieler, Frauenwörther Künstlerchroniken 1888. Zeichnung von Hermann Kaulbach. Foto: Ingvild Richardsen.
Auch der mit Stieler befreundete Dichter und Chronist der Frauenwörther Künstlerchroniken Max Haushofer ließ sich durch Irmingard inspirieren. 1892 hinterließ er neben einer Tuschzeichnung, die der Maler Rudolf Seitz 1888 in den Künstlerchroniken hinterlassen hatte, ein Gedicht. Die Zeichnung zeigte die auf dem Kelch einer Seerose stehende Irmingard, in der rechten Hand den Äbtissinnenstab, in der linken den Glockenturm, das Wahrzeichen der Insel. Daneben hatte der Maler geschrieben: „Hier mach einer einen Vers drauf.“ Max Haushofer kam Jahre später der Aufforderung nach und schrieb von einer stolzen und schönen Frau, deren Gegenwart und Geist er selbst Jahrhunderte nach ihrer Verbannung auf die Fraueninsel noch wahrzunehmen glaubte:
Das war die heilge Irmingard,
Ein Weltkind einst von stolzer Art.
Wol auch ein wenig Sünderin,
Dann Frömmigkeits-Verkünderin,
In’s stille Inselstift verbannt,
Als edle Büsserin bekannt.
Jetzt schläft sie lang in kühler Gruft
Doch heut noch durch den Lindenduft
Umweht das Eiland süss und zart
Der Gruß der schönen Irmingard.
(Max Haushofer: Frauenwörther Künstlerchroniken, 1892)
Carry Brachvogel erzählte auch, dass die männlichen Dichter immer wieder gegrübelt hätten, warum Irmingard einstmals überhaupt auf die Insel gekommen sei. Meist hätten sie dies dann immer auf eine verbotene Liebe seitens Irmingards zurückgeführt und sie tatsächlich immer am liebsten als eine „verliebte Frau“ dargestellt.
Die politisch engagierte Carry Brachvogel, die sich an vorderster Front in der modernen Frauenbewegung Bayern für die Selbstbestimmung der Frau einsetzte und bereits mehrere Biographien über bedeutende Frauen und Politikerinnen geschrieben hatte (Katharina die Große, Maria Theresia u.a.), sah das völlig anders: Sie stellte sich Irmingard als politisch engagiert vor, glaubte, sie sei wegen ihres politischen Engagements einst von ihrer Verwandtschaft auf die Insel verbannt worden.
Sippen drängten sie von der Heimat fort, auf die einsame Insel. Taten's aber nicht etwa, weil sie einen unerwünschten Freier im Herzen trug, sondern weil sie sich mehr mit politischen Angelegenheiten und Intrigen beschäftigte, als den Männern ihrer Familie wünschenswert schien. Das Bild der politischen Frau im Nonnenschleier ist nun freilich weniger rührend als das der verliebten, aber die halb-historische, halb-legendäre Gestalt wird darum nicht uninteressanter, nur pikanter und moderner. In einem Zeitalter, das den Frauen eigentlich eine Art Haremsleben anwies, nimmt sich die Gestalt dieser gebieterischen und geistig begabten Frau gar tröstlich aus
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Bevor wir uns nun weiter den Dichterinnen und Dichter und der Zeit der Künstlerkolonie zuwenden, befassen wir uns zuerst mit der literarischen Vorgeschichte der Insel, nämlich mit dem Kloster Frauenchiemsee als einem literarischen Ort, zumal die Dichterinnen und Dichter selbst auch immer wieder über das Kloster und Irmingard geschrieben haben.
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Raupp, Karl; Wolter, Franz (Hg.) (1918/24): Die Künstlerchronik von Frauenchiemsee. München.
Richardsen, Ingvild (2017): Die Fraueninsel im Bann der seligen Irmingard. In: Dies.: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München.
Quellen:
Carry Brachvogel: Drei bayerische Kleinodien. Westermanns Monatshefte 57. Jg. Bd. 113. I. Teil: September bis November 1912, H. 673, S. 37-50.
Karl Stieler: Eliland. In: Hochland-Lieder. Stuttgart 1879, S. 119-132.