Gstadt: Unterwegs zur Fraueninsel auf dem Schiff
Mit dem Ziel über Frauenchiemsees Besonderheiten zu schreiben, reiste die bekannte Münchner Schriftstellerin und große Bayernkennerin Carry Brachvogel 1912 auf die Fraueninsel. In der Tasche die Aufträge zweier bekannter Zeitschriften, wollte sie, die sich schon seit Jahren immer wieder mit ihren Freundinnen Emma Merk und Marie Haushofer auf der Insel aufgehalten hatte, jetzt gezielt den Eigenarten der Fraueninsel nachspüren. Den Ertrag ihres Forschens bildeten zwei Essays: Bayerische Kleinodien und Die Bücher der Insel. Beide erschienen ein weiteres Mal 1924 in ihrem Buch Im weissblauen Land, das damals ein Beststeller war.
Sie, die sich an jedem Ort immer auf die Jagd nach den Besonderheiten eines Ortes begab, machte als erstes Faszinosum das alte Frauenchiemseer Klosterwappen aus: zwei anmutig ineinander verschlungene Seerosenblätter. Darüber sinnierend, wie es wohl einstmals zu dieser Heraldik gekommen war, fand sie den Schlüssel zum Verständnis dieses Zeichens in der Lage des Klosters auf der Insel mitten im Chiemsee. Einer Seerose gleich schien ihr die Fraueninsel auf dem Wasser des Sees schwimmen:
Zwei Seerosenblätter, deren Stiele sich anmutig kreuzen, bilden das Klosterwappen von Frauenchiemsee und wahrlich! nie hat Heraldik die Wirklichkeit poetischer und zugleich bestimmter versinnbildlicht als diese aus Stein gemeißelten Blätter einer Nymphae. Denn grün, zart und flach schwimmt die Fraueninsel auf den azurnen Wellen des Chiemsees, den in weitem Umkreis die blauende Alpenkette umzieht. Wenn man den Vergleich weiter fortsetzen wollte, könnte man sagen, daß die weißen Mauern des Klosters gleich dem Kelch einer Wasserrose aus dem Inselgrün hervorschimmern.
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Foto: Ingvild Richardsen.
Eingebettet in das Grün der Insel, erschien ihr das herausragende helle Mauerwerk des Klosters wie der weiße Kelch des eleganten Wassergewächses, der aus dem ihn umgebenden grünen Blattwerk herausschimmert. Und so vermutete die Schriftstellerin, dass sich hinter dem Klosterwappen nichts anderes als die poetische Versinnbildlichung der Lage des Klosters verbarg. Möglich, dass die Schriftstellerin zu dieser sehr poetischen Interpretation des Klosterwappens durch ein mit Der Frauen Wörth betiteltes Aquarell angeregt wurde, das vom Historienmaler Max Fürst (1846-1917) stammte und das man damals im heute verschollenen zweiten Band der Frauenwörther Künstlerchroniken bewundern konnte. Es zeigte die Fraueninsel malerisch im Chiemsee mit einem sich im Vordergrund aus dem See erhebenden Holzstab, an dem das Klosterwappen mit den zwei Seerosenblättern baumelte. Beigegebene Verse des Dichters Hartwig Peetz (1822-1892) untermauerten den Bezug der Fraueninsel zu Seerosen:
Du ewig jugendlich Eiland
vom Wogenkranze besaumt
Du traute Wiege, vom Weiland
den saligen Fraeuwlein geraeumt,
schwimmst in kristallner Schale
dahin – ein Lotusblatt –
vollwerth Kleinoden vom Grale
rotgolden und grünsatt.
Unter dem Pseudonym Siegmund von Marchthall erschien 1921 ein mit Holzschnitten illustriertes Büchlein Der Frauweninsul Chronika, in dem der Autor (Heinrich Wirth) in lustigen Versen von der alten Kultur des Klosters und der Frauenwörther Künstlerkolonie erzählt. Das Bemerkenswerte: Statt der Fraueninsel prangte auf dem Cover tatsächlich eine Seerose als Platzhalter.
Zu sehen ist, dass Dichter und Maler im 19. und 20. Jahrhundert tatsächlich eine Verbindung zwischen dem Klosterwappen und der Lage und dem Erscheinungsbild der Fraueninsel sahen. Möglicherweise haben sie sich damals schlicht von der Natur inspirieren lassen und Klosterwappen, Fraueninsel, Seerosen und Seeblätter deswegen in so engen Bezug gesetzt, weil es damals im von der Massenschifffahrt noch verschonten Chiemsee tatsächlich ganze Meere von Seerosen gab. Heute findet man Ansammlungen von Seerosen nur noch an wenigen Ecken im Chiemsee.
Doch, nähert man sich der Fraueninsel auf dem Schiff, so mag ihr Anblick dem von den Dichtern und Malern inspirierten Besucher auch heute noch wie eine Seerose im Wasser erscheinen.
Zur Station 2 von 18 Stationen
Sekundärliteratur:
Raupp, Karl; Wolter, Franz (Hg.) (1918/24): Die Künstlerchronik von Frauenchiemsee. München, S. 86.
Richardsen, Ingvild (2017): Auf den Spuren des Klosterwappens von Frauenwörth und des Wappens der Gemeinde Chiemsee – ein Ausflug in die Welt der Heraldik. In: Dies.: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 297-304.
Quellen:
Bibliothek der Benediktinerinnenabtei Frauenchiemsee; Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner. Hg. von Bernhard Fabian. Olms Neue Medien, Hildesheim 2003.
Carry Brachvogel: Drei Bayerische Kleinodien (1912). In: Ingvild Richardsen: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1), S. 282-291, hier S. 282.
Siegmund von Marchthall: Der Frauweninsul Chronika. St. Ottilien 1921.
Mit dem Ziel über Frauenchiemsees Besonderheiten zu schreiben, reiste die bekannte Münchner Schriftstellerin und große Bayernkennerin Carry Brachvogel 1912 auf die Fraueninsel. In der Tasche die Aufträge zweier bekannter Zeitschriften, wollte sie, die sich schon seit Jahren immer wieder mit ihren Freundinnen Emma Merk und Marie Haushofer auf der Insel aufgehalten hatte, jetzt gezielt den Eigenarten der Fraueninsel nachspüren. Den Ertrag ihres Forschens bildeten zwei Essays: Bayerische Kleinodien und Die Bücher der Insel. Beide erschienen ein weiteres Mal 1924 in ihrem Buch Im weissblauen Land, das damals ein Beststeller war.
Sie, die sich an jedem Ort immer auf die Jagd nach den Besonderheiten eines Ortes begab, machte als erstes Faszinosum das alte Frauenchiemseer Klosterwappen aus: zwei anmutig ineinander verschlungene Seerosenblätter. Darüber sinnierend, wie es wohl einstmals zu dieser Heraldik gekommen war, fand sie den Schlüssel zum Verständnis dieses Zeichens in der Lage des Klosters auf der Insel mitten im Chiemsee. Einer Seerose gleich schien ihr die Fraueninsel auf dem Wasser des Sees schwimmen:
Zwei Seerosenblätter, deren Stiele sich anmutig kreuzen, bilden das Klosterwappen von Frauenchiemsee und wahrlich! nie hat Heraldik die Wirklichkeit poetischer und zugleich bestimmter versinnbildlicht als diese aus Stein gemeißelten Blätter einer Nymphae. Denn grün, zart und flach schwimmt die Fraueninsel auf den azurnen Wellen des Chiemsees, den in weitem Umkreis die blauende Alpenkette umzieht. Wenn man den Vergleich weiter fortsetzen wollte, könnte man sagen, daß die weißen Mauern des Klosters gleich dem Kelch einer Wasserrose aus dem Inselgrün hervorschimmern.
(Carry Brachvogel: Bayerische Kleinodien, 1912)
Foto: Ingvild Richardsen.
Eingebettet in das Grün der Insel, erschien ihr das herausragende helle Mauerwerk des Klosters wie der weiße Kelch des eleganten Wassergewächses, der aus dem ihn umgebenden grünen Blattwerk herausschimmert. Und so vermutete die Schriftstellerin, dass sich hinter dem Klosterwappen nichts anderes als die poetische Versinnbildlichung der Lage des Klosters verbarg. Möglich, dass die Schriftstellerin zu dieser sehr poetischen Interpretation des Klosterwappens durch ein mit Der Frauen Wörth betiteltes Aquarell angeregt wurde, das vom Historienmaler Max Fürst (1846-1917) stammte und das man damals im heute verschollenen zweiten Band der Frauenwörther Künstlerchroniken bewundern konnte. Es zeigte die Fraueninsel malerisch im Chiemsee mit einem sich im Vordergrund aus dem See erhebenden Holzstab, an dem das Klosterwappen mit den zwei Seerosenblättern baumelte. Beigegebene Verse des Dichters Hartwig Peetz (1822-1892) untermauerten den Bezug der Fraueninsel zu Seerosen:
Du ewig jugendlich Eiland
vom Wogenkranze besaumt
Du traute Wiege, vom Weiland
den saligen Fraeuwlein geraeumt,
schwimmst in kristallner Schale
dahin – ein Lotusblatt –
vollwerth Kleinoden vom Grale
rotgolden und grünsatt.
Unter dem Pseudonym Siegmund von Marchthall erschien 1921 ein mit Holzschnitten illustriertes Büchlein Der Frauweninsul Chronika, in dem der Autor (Heinrich Wirth) in lustigen Versen von der alten Kultur des Klosters und der Frauenwörther Künstlerkolonie erzählt. Das Bemerkenswerte: Statt der Fraueninsel prangte auf dem Cover tatsächlich eine Seerose als Platzhalter.
Zu sehen ist, dass Dichter und Maler im 19. und 20. Jahrhundert tatsächlich eine Verbindung zwischen dem Klosterwappen und der Lage und dem Erscheinungsbild der Fraueninsel sahen. Möglicherweise haben sie sich damals schlicht von der Natur inspirieren lassen und Klosterwappen, Fraueninsel, Seerosen und Seeblätter deswegen in so engen Bezug gesetzt, weil es damals im von der Massenschifffahrt noch verschonten Chiemsee tatsächlich ganze Meere von Seerosen gab. Heute findet man Ansammlungen von Seerosen nur noch an wenigen Ecken im Chiemsee.
Doch, nähert man sich der Fraueninsel auf dem Schiff, so mag ihr Anblick dem von den Dichtern und Malern inspirierten Besucher auch heute noch wie eine Seerose im Wasser erscheinen.
Zur Station 2 von 18 Stationen
Raupp, Karl; Wolter, Franz (Hg.) (1918/24): Die Künstlerchronik von Frauenchiemsee. München, S. 86.
Richardsen, Ingvild (2017): Auf den Spuren des Klosterwappens von Frauenwörth und des Wappens der Gemeinde Chiemsee – ein Ausflug in die Welt der Heraldik. In: Dies.: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1). München, S. 297-304.
Quellen:
Bibliothek der Benediktinerinnenabtei Frauenchiemsee; Quelle: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner. Hg. von Bernhard Fabian. Olms Neue Medien, Hildesheim 2003.
Carry Brachvogel: Drei Bayerische Kleinodien (1912). In: Ingvild Richardsen: Die Fraueninsel. Auf den Spuren der vergessenen Künstlerinnen von Frauenchiemsee (Reihe Vergessenes Bayern, 1), S. 282-291, hier S. 282.
Siegmund von Marchthall: Der Frauweninsul Chronika. St. Ottilien 1921.