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Felix Schlagintweit mit Gattin Centa Glier am Klavier © Foto: privat

Urfahrn: Wohnort von Schlagintweit, Landeplatz von König Ludwig II.

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Eugen Croissant (1898-1976), "In Urfahrn", Aquarell um 1965 © Museum Prien - Historische Galerie der Chiemseemaler

Als ich auf der äußersten Spitze der Halbinsel Urfahrn den herrlichen Rundblick vom Schafberg im Salzkammergut bis zum Wendelstein über den Chiemsee hin mit Herren-, Frauen- und Krautinsel mit den Augen einfing – der Maler Strathmann nannte das meinen „viel zu zackigen Horizont“ –, konnte ich mich vor Seligkeit nicht halten und kaufte den alten, großen Hof auf der Stelle, unter der Bedingung, dass der Bauer Stöffl sofort mit mir zum Notar nach Prien fahre...

1905 erwirbt der in München und Bad Brückenau tätige Urologe und Schriftsteller Felix Schlagintweit das Bäckengut (Königstraße 63) auf  der schmalen Landzunge Urfahrn, die heute Teil der Gemeinde Breitbrunn am Chiemsee ist. Felix Schlagintweit baut den alten Bauernhof in eine Sommerfrische um, „ohne ihn der Landschaft zu entfremden“ und mit dem Ansinnen, „daß es meinen Künstlerfreunden genügte“. Denn er empfängt gerne Gäste. Zu ihnen zählen der Maler und Karikaturist Olaf Gulbransson, der Architekt Emanuel von Seidl, der Komponist Hermann Zilcher, die Maler Ludwig von Herterich, Adolf Hengeler und Hermann Pampel. Das in seinen Memoiren erwähnte Gästebuch, in dem sich „Olaf [Gulbransson] als Seehund zeichnete, der in meinem Schilf einen Bürstling geschnappt hat“, ist leider verschollen.

Gäste, die mit dem Dampfschiff anreisen, begrüßt Felix Schlagintweit mit einem Kanonensalut. Denn „ein Bayer kennt nichts Schöneres als das Schießen“, wie der stets zu Späßen aufgelegte Schlagintweit anmerkt. 1912 ersteht er die gußeiserne Kanone der Firma Krupp von 1881 bei Oberst Emil von Pfülf in der Königlich Bayerischen Feldzeugmeisterei. Der erste Schießversuch erfolgt mit grünen Birnen.

Alles schüttelte meine Bäume, und wir stopften wie besessen das Rohr voll. Endlich war es soweit. Wir sperrten die Mäuler auf. Furchtbar krachte der Schuß über den See hin, sein Echo rollte vom Traunstein bis zum Wendelstein, die Kanone machte sogar einen kleinen Hupf nach hinten, drei Fensterscheiben zersprangen im Hause, und ringsum war alles mit von Pulver geschwärztem Birnenkompott gesprenkelt.

Blick auf Herrenchiemsee mit Dampfer, Postkarte um 1935, Fotograf: Fritz Zierer (c) Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv

Später lässt er Holzkugeln für sein Geschütz anfertigen. Es steht heute noch im Garten des Anwesens, das von einer ausladenden Thujenhecke umgeben ist. Die Ära, in der mit Birnen oder Holzkugeln geschossen wird, ist von kurzer Dauer. Zwei Weltkriege fallen in die Lebenszeit von Felix Schlagintweit. Seine Wohnung und Klinik in München werden 1944 bei einem Bombenangriff total zerstört. Der weitgereiste Mann, der in Deutschland der Urologie zum Durchbruch verholfen und mit seinen Memoiren Ein verliebtes Leben (1943) einen Bestseller hinterlassen hat, zieht sich ganz nach Urfahrn zurück. Dort lebt er mit seiner zweiten Frau Centa Glier bis 1950.

Von der Spitze der Halbinsel Urfahrn bis zur Herreninsel sind es nur 300 Meter. „Urfar“ – „der Landeplatz (portus) zu jeder Seite des Wassers; das Ufer“ heißt es im Bayerischen Wörterbuch von Johann Andreas Schmeller (München, 1872). Es ist die kürzeste und ungefährlichste Strecke über den Chiemsee. Dies weiß auch König Ludwig II. zu schätzen. Er lässt sich zwischen den Jahren 1882 und 1887 von hier nach Herrenchiemsee hinüber rudern, um den Baufortschritt seines Schlosses zu begutachten. Mit dem Zug fährt er bis Rimsting. Dann steigt er in die Kutsche um und erreicht so die Ablegestelle für das Ruderboot. Die Rösser werden beim Simongütl (Königstraße 72) eingestellt. Der Fährmann Johann Baptist Förg ist von einem königlichen Kurier vorab informiert worden. Diskret, im Dunkel der Nacht finden die Überfahrten für den menschenscheuen König statt. Ein Gedenkstein erinnert daran.

Auch Felix Schlagintweit weiß durch den vorherigen Hauseigentümer von diesen Überfahrten: „Dicht an meiner Haustür sind König Ludwig und Richard Wagner in den Kahn gestiegen, wenn sie hinüber in das neue Schloß wollten. Mein alter Bauer Stöffl hat das immer genau und heimlich beobachtet.“ Wenige Jahre nach Felix Schlagintweit lässt sich der Maler Friedrich Lauer (1874-1935) in Urfahrn nieder. Der vermögende Sohn eines badischen Industriellen erwirbt von September bis November 1909 gleich drei Anwesen in Urfahrn: den Löxenhof (Königstraße 66), den Schwarzhof und die später so genannte Villa Söhnges (beide Königstaße 58).

Schloss Herrenchiemsee, kolorierte Photolithographie, Leporello um 1890 (c) Bayerische Staatsbibliothek/Bildarchiv; Gedenkstein in Urfahrn für König Ludwig II. (c) Chiemsee-Alpenland Tourismus

Er ist ein Studienfreund von Franz Marc und finanziert im Jahr 1903 eine gemeinsame Frankreichreise. Als Maler ist Friedrich Lauer jedoch wenig Erfolg beschieden. Er richtet daher in seiner Villa in München-Bogenhausen, Neuherbergstraße 11, die sogenannte „Edelmesse“ ein und verkauft „deutsche Kunst und Wertarbeit“ (Metallwaren, Küchen- und Einrichtungsgegenstände). Die Inflationsjahre 1922-1924 zwingen ihn dazu, dieses Geschäft wieder aufzugeben und die Bogenhausener Villa zu veräußern. Wie Felix Schlagintweit verlagert er seinen Lebensschwerpunkt nach Urfahrn. Aus wirtschaftlichen Gründen muss er sich 1932 auch von dem Besitz am Chiemsee trennen. 1939 wird der Schwarzhof an die „Ahnenerbestiftung“, eine nationalsozialistische Forschungseinrichtung, verkauft. Sie führt tödliche Menschenversuche (Unterdruck- und Kälteexperimente) an KZ-Häftlingen im Konzentrationslager Dachau durch.

Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich ein Malerehepaar in Urfahrn nieder, dessen Werk eng mit dem Chiemgau verbunden ist. Im Löxenhof (Königstraße 66) beziehen Elisabeth und Eugen Croissant 1945 eine kleine Mietwohnung. Der aus der Pfalz stammende Künstler Eugen Croissant (1898-1976), Schwager von Anna Croissant-Rust, fängt in kühlen, pastelligen Tönen die wechselnden Stimmungen des Chiemsees ein. Die dargestellten Sujets entnimmt er seiner unmittelbaren Umgebung. Menschen sucht man vergebens in seinen Aquarellen. „Ich habe beruflich so viele Menschen karikieren müssen, da lasse ich sie auf Landschaften lieber weg.“ Er meidet das Plakative, überlässt die Sommermotive und die idyllische Fraueninsel lieber den anderen. Blasses Licht, Wassernebel, Schneefelder, kahle Bäume, verpallte Boote, stille Häuser kennzeichnen seine kontemplativen Winterbilder. Er malt im Freien mit fingerlosen Wollhandschuhen oder auf dem Wasser, in seiner blauen Plätte sitzend.

Elisabeth Croissant (1903-1997) widmet sich der volkstümlichen Hinterglasmalerei. Leuchtende Farben, starke Kontraste und flächige Darstellung, gerahmt von dunklen Umrisslinien, charakterisieren ihre Bilder. Ihre bevorzugten Motive sind Stillleben und Tiere, in ihren Kinderbuchillustrationen das Alltagsleben. Nach dem Tod ihres Mannes zieht sie 1976 nach Prien. Heute leben einige Prominente in der Königstraße. Ruhe und Abgeschiedenheit sind geblieben.

Der Maler Friedrich Lauer in Frankreich, Fotografie um 1903 (c) Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum (DKA_NLMarcFranz_IA1-0044); Eugen Croissant am Chiemsee, Fotografie um 1950 (c) Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum (DKA_NLCroissantEugen_IA3-0002); Elisabeth Croissant, Fotografie um 1930 (c) Deutsches Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum (DKA_NLCroissantEugen_IC138-0002)

 


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Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Dr. Birgit Ziegler-Stryczek

Sekundärliteratur:

Felix Schlagintweit: Ein verliebtes Leben. Erinnerungen eines Münchner Arztes. Knorr & Hirth, München 1943.

Breit, Stefan (Hg.) (2008): Die Geschichte der Gemeinde Breitbrunn a. Chiemsee. Bd. 1: Haus- und Hofgeschichten. Gemeinde Breitbrunn am Chiemsee, Breitbrunn am Chiemsee.

Breitbrunn am Chiemsee, Gemeinde (Hg.) (1999): Eugen Croissant. Breitbrunn – eine Malerliebe. 1943-1976. Eine Gemeinde erinnert sich. Katalog der Gedächtnisausstellung zum 101. Geburtstag des Malers und Zeichners Eugen Croissant. Breitbrunn am Chiemsee.


Externe Links:

Wanderung zum König-Ludwig-Gedenkstein

Gemeinde Breitbrunn am Chiemsee