Salvatorplatz 1
Zu einer gewissen Berühmtheit ist in München ein ausgestopfter Braunbär gelangt, der im dritten Stock des Literaturhauses unter einem Glassturz eine hölzerne Schale mit einem verzierten Messingteller trägt. Dieser Bär, einst das Hochzeitgeschenk für die Eltern Thomas Manns, für Viktor Mann „ein Familienstück par excellence“[42], wird im Roman Buddenbrooks zum Taufgeschenk für den kleinen Hanno. Der Bär erlebt die Seelenkrise des Senators Thomas Buddenbrook, der seine Frau Gerda und den Leutnant von Throta beim gemeinsamen Musizieren weiß und nervös wird, als er länger keine Musik mehr hört. Der Bär nimmt zuletzt in seiner Holzschale die Bücher des erleichterten Schülers Hanno auf, der sich dann ans Klavier setzt und sich in einer musikalischen Phantasie von der rauen Wirklichkeit verabschiedet. Der Bär ist somit eine Nebenfigur, die freilich sowohl in der Realität als auch im Roman eine gleichbleibend drohende Gutmütigkeit zeigt.
Nach vielen Umzügen stand der Bär zuletzt im Haus Thomas Manns in der Poschingerstraße 1 (heute Neubau: Thomas-Mann-Allee 10) und wurde dort nach der endgültigen Enteignung im Oktober 1937 mit dem restlichen Hausrat der Manns versteigert. Das ramponierte Tier füllte danach bis 1999 das Schaufenster eines Ladens an der Münchener Kreuzstraße (Ecke Eingang zum Asamhof) und trug auf tatzenlosen Armen Geschirrtücher sowie ein Schild: „Billige, aber echte Fenster- und Autoleder“. Alle Versuche, den Bären für das Buddenbrookhaus in Lübeck oder die Münchener Stadtbibliothek zu bekommen oder auch nur kurzfristig für den Film Die Manns (2001) auszuleihen, scheiterten. Nach dem Tod seiner langjährigen Besitzerin wanderte der Bär – dank der Initiative des damaligen Interims-Kulturreferenten OB Christian Ude – mit neuen Tatzen und einer neuen Holzschale im Herbst 2001 als Dauerleihgabe ins Münchener Literaturhaus unter eine Vitrine.
Der „Silberteller“ des Bären (im Literaturhaus gestohlen 2014). Foto: Wolfgang Pulfer.
Seit Juni 2002 trug der Bär einen „Silberteller“ (aus Messing), den er wohl tatsächlich einst besessen hatte. Thomas Manns jüngste Tochter Elisabeth Mann Borgese erinnert sich in dem Dokumentar-Spielfilm Die Manns (2001) angesichts des Bären im Schaufenster an „eine Schale, einen Silberteller, auf dem Visitenkarten abgeben wurden“.[43] Daraufhin meldete sich im Januar 2002 eine Dame beim Thomas-Mann-Förderkreis (seit 2012: Forum) München und gab an, der Teller sei bei ihr. Bei der Vorbesichtigung zur Versteigerung 1937 sei auch ihr Vater, ein Maler, mit einem Freund dabei gewesen, der Freund habe den losen Teller kurzerhand stibitzt und unter seinem Mantel versteckt. Wieder draußen auf der Straße, außer Reichweite, habe er dann den Teller triumphierend hervorgezogen und sich darüber gefreut, dass ihm dieses Gaunerstück gegen die Nazis gelungen sei. Er habe dem verdutzten Maler den Teller geschenkt, und so konnte das gute Stück über Jahrzehnte in einer Atelierecke überdauern. Doch der Vater habe immer gesagt: „Der Teller hat eine Geschichte!“
Dieser „Silberteller“ war aber nicht aus Silber, sondern aus Messing; vielleicht hatte er, blank poliert, für Kinderaugen einmal wie Silber geglänzt. Seine arabischen Schriftzeichen sowie eine Bildleiste mit menschlichen und tierischen Figuren sowie dämonischen Mischwesen ließen ihn als ein Souvenirstück aus dem Vorderen Orient, vermutlich aus Ägypten, zwischen 1870 und 1930 erkennen. Er war allem Anschein nach ein Mitbringsel von der ersten Ägyptenreise, die Thomas Mann mit seiner Frau im März 1925 unternommen hatte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der Teller dem Bären auf die bereits vorhandene Holzschale gelegt wurde. Wie auch immer – der Teller wurde im Herbst 2014 aus der Vitrine im Literaturhaus gestohlen. „München leuchtet“ – doch was man sieht, das glaubt man nicht!
[42] Viktor Mann: Herzogstraße 3. In: Ders.: Wir waren fünf. Bildnis der Familie Mann. Konstanz 1949, S. 80. Zum Bären ausführlich vgl. Heißerer, Zaubergarten, S. 45-49.
[43] Vgl. München – Besuch beim Bären (27. April 1998). In: Breloer, Heinrich (2001): Unterwegs zur Familie Mann. Begegnungen, Gespräche, Interviews. Frankfurt a.M., S. 66.
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Zu einer gewissen Berühmtheit ist in München ein ausgestopfter Braunbär gelangt, der im dritten Stock des Literaturhauses unter einem Glassturz eine hölzerne Schale mit einem verzierten Messingteller trägt. Dieser Bär, einst das Hochzeitgeschenk für die Eltern Thomas Manns, für Viktor Mann „ein Familienstück par excellence“[42], wird im Roman Buddenbrooks zum Taufgeschenk für den kleinen Hanno. Der Bär erlebt die Seelenkrise des Senators Thomas Buddenbrook, der seine Frau Gerda und den Leutnant von Throta beim gemeinsamen Musizieren weiß und nervös wird, als er länger keine Musik mehr hört. Der Bär nimmt zuletzt in seiner Holzschale die Bücher des erleichterten Schülers Hanno auf, der sich dann ans Klavier setzt und sich in einer musikalischen Phantasie von der rauen Wirklichkeit verabschiedet. Der Bär ist somit eine Nebenfigur, die freilich sowohl in der Realität als auch im Roman eine gleichbleibend drohende Gutmütigkeit zeigt.
Nach vielen Umzügen stand der Bär zuletzt im Haus Thomas Manns in der Poschingerstraße 1 (heute Neubau: Thomas-Mann-Allee 10) und wurde dort nach der endgültigen Enteignung im Oktober 1937 mit dem restlichen Hausrat der Manns versteigert. Das ramponierte Tier füllte danach bis 1999 das Schaufenster eines Ladens an der Münchener Kreuzstraße (Ecke Eingang zum Asamhof) und trug auf tatzenlosen Armen Geschirrtücher sowie ein Schild: „Billige, aber echte Fenster- und Autoleder“. Alle Versuche, den Bären für das Buddenbrookhaus in Lübeck oder die Münchener Stadtbibliothek zu bekommen oder auch nur kurzfristig für den Film Die Manns (2001) auszuleihen, scheiterten. Nach dem Tod seiner langjährigen Besitzerin wanderte der Bär – dank der Initiative des damaligen Interims-Kulturreferenten OB Christian Ude – mit neuen Tatzen und einer neuen Holzschale im Herbst 2001 als Dauerleihgabe ins Münchener Literaturhaus unter eine Vitrine.
Der „Silberteller“ des Bären (im Literaturhaus gestohlen 2014). Foto: Wolfgang Pulfer.
Seit Juni 2002 trug der Bär einen „Silberteller“ (aus Messing), den er wohl tatsächlich einst besessen hatte. Thomas Manns jüngste Tochter Elisabeth Mann Borgese erinnert sich in dem Dokumentar-Spielfilm Die Manns (2001) angesichts des Bären im Schaufenster an „eine Schale, einen Silberteller, auf dem Visitenkarten abgeben wurden“.[43] Daraufhin meldete sich im Januar 2002 eine Dame beim Thomas-Mann-Förderkreis (seit 2012: Forum) München und gab an, der Teller sei bei ihr. Bei der Vorbesichtigung zur Versteigerung 1937 sei auch ihr Vater, ein Maler, mit einem Freund dabei gewesen, der Freund habe den losen Teller kurzerhand stibitzt und unter seinem Mantel versteckt. Wieder draußen auf der Straße, außer Reichweite, habe er dann den Teller triumphierend hervorgezogen und sich darüber gefreut, dass ihm dieses Gaunerstück gegen die Nazis gelungen sei. Er habe dem verdutzten Maler den Teller geschenkt, und so konnte das gute Stück über Jahrzehnte in einer Atelierecke überdauern. Doch der Vater habe immer gesagt: „Der Teller hat eine Geschichte!“
Dieser „Silberteller“ war aber nicht aus Silber, sondern aus Messing; vielleicht hatte er, blank poliert, für Kinderaugen einmal wie Silber geglänzt. Seine arabischen Schriftzeichen sowie eine Bildleiste mit menschlichen und tierischen Figuren sowie dämonischen Mischwesen ließen ihn als ein Souvenirstück aus dem Vorderen Orient, vermutlich aus Ägypten, zwischen 1870 und 1930 erkennen. Er war allem Anschein nach ein Mitbringsel von der ersten Ägyptenreise, die Thomas Mann mit seiner Frau im März 1925 unternommen hatte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass der Teller dem Bären auf die bereits vorhandene Holzschale gelegt wurde. Wie auch immer – der Teller wurde im Herbst 2014 aus der Vitrine im Literaturhaus gestohlen. „München leuchtet“ – doch was man sieht, das glaubt man nicht!
[42] Viktor Mann: Herzogstraße 3. In: Ders.: Wir waren fünf. Bildnis der Familie Mann. Konstanz 1949, S. 80. Zum Bären ausführlich vgl. Heißerer, Zaubergarten, S. 45-49.
[43] Vgl. München – Besuch beim Bären (27. April 1998). In: Breloer, Heinrich (2001): Unterwegs zur Familie Mann. Begegnungen, Gespräche, Interviews. Frankfurt a.M., S. 66.
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