Uhu Zigeuner
1994 setzen die Dreharbeiten zu Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief an, wieder zusammen mit Patrick Süskind. Die von Dietl als „Melodramödie“ bezeichnete Gesellschaftssatire, die sich im Münchner Szene-Lokal „Rossini“ mit seinem Wirt Paolo Rossini (gespielt von Maria Adorf) um den Regisseur Uhu Zigeuner (gespielt von Götz George) abspielt, gehört 1997 mit 3,2 Mio. Besuchern in Deutschland zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres.
„Der Film Rossini sollte [...] nicht die Geschichte von ein oder zwei Individuen in einer sie umgebenden Gesellschaft erzählen, sondern die Geschichte einer Gesellschaft selbst, oder sagen wir bescheidener: einer Gruppe, der Gruppe von Stammgästen eines Lokals nämlich“, so Süskind (Helmut Dietl; Patrick Süskind: Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief, S. 215). An der Schnittstelle von Komödie und Tragödie angesiedelt, erzählt Rossini von der Selbstsucht und Beziehungsunfähigkeit seiner Figuren, deren Eitelkeiten vor allem in Situationen der Schwäche zu komischen Szenen führen; die aus dem Gedicht „Carmen“ von Wolf Wondratschek stammende „mörderische Frage, wer mit wem schlief“, löst sich am Ende in Wohlgefallen auf.
Das Lokal wird dabei zum existentiellen Ort, in dem sich immer wieder die gleichen Leute treffen, die getrennt und doch vereint sind, jeder für sich und doch kommunizierend, „eine Art Theater, arrangiertes, vorgeführtes Leben“, wie Helmut Dietl in einem Interview mit Hellmuth Karasek es bezeichnet (S. 277):
Ein verregneter Abend im Sommer. Es ist zwischen neun und zehn Uhr. Die meisten Tische des Lokals sind besetzt. Geschäftig eilen die Kellner hin und her. Neu ankommende Gäste werden vom Wirt Paolo Rossini an ihre Tische geführt, wobei sie andere Gäste begrüßen. Die meisten kennen sich offenbar untereinander, immer wieder stehen welche auf, um sich kurz an einen anderen Tisch zu setzen und ein paar Worte zu wechseln. Die Atmosphäre ist laut, locker und familiär, beinahe so, als handle es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft.
(S. 9)
An dieser Stelle stand bis 2007 das Münchner Lokal „Romagna Antica“ in der Elisabethstraße 52, die Vorlage zum Film. (c) Peter Czoik
Über die Schwierigkeiten beim Drehbuchschreiben und Drehbuchverstehen hat Patrick Süskind in seinem Nachwort zu Rossini („Film ist Krieg, mein Freund!“) geschrieben. Die im Lokal spielende Eröffnungssequenz des Drehbuchs legt davon beredtes Zeugnis ab, da für den Leser aufgrund der fehlenden Beschreibung der Figuren nicht ersichtlich ist, wer in welcher Funktion/ Eigenschaft zu wem spricht. Anders sieht es dagegen im Film aus:
In der Eröffnungssequenz des Films Rossini treten, abgesehen von fünfundvierzig Komparsen, innerhalb von wenigen Minuten fünfzehn Schauspieler auf, die alle etwas mehr oder weniger Verständliches zu sagen und etwas mehr oder weniger Signifikantes zu tun haben. Für den Zuschauer wird und soll diese Szenerie laut, bewegt, turbulent wirken, seinem Verständnis aber trotz der Schnelligkeit des Ablaufs und der Fülle des Gezeigten keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Es wird ihm nicht viel anders gehen als einem Gast, der irgendein ihm bis dato unbekanntes Restaurant zum ersten Mal besucht und dabei zunächst einmal weniger das Detail als das Gesamtgetriebe und das Atmosphärische in sich aufnimmt. Erst auf den zweiten oder dritten Blick wird er einige differenziertere Wahrnehmungen machen, wird bemerken, daß sich hier offenbar manche Gäste mehr zu Hause fühlen als andere; wird sie als Stammgäste identifizieren, die alle untereinander in irgendwelchen geschäftlichen oder erotischen Beziehungen stehen und ihrem Wirt gehörig auf die Nerven fallen; und wird sie im Verlauf des Abends [...] immerhin so weit kennenlernen, daß er sie später – und sei es nur als Gesichter – wiedererkennt.
(S. 236)
Das Restaurant „Rossini“ hat das ehemalige Münchner Lokal „Romagna Antica“ in der Elisabethstraße 52 zur Vorlage, unweit des Filmverlags der Autoren. Ab den 1970er-Jahren wurde es von der deutschen Filmprominenz, u.a. von Rainer Werner Fassbinder, häufig frequentiert. Dietl und der Produzent Bernd Eichinger waren ebenfalls dort Stammgäste: „Es gehörte zu einem anständigen Leben, jeden Abend ins ‚Romagna Antica‘ essen zu gehen. Wie alles andere, hob Helmut Dietl auch sämtliche Rechnungen auf.“ („Der ewige Stenz“, S. 73)
In der Elisabethstraße 52 befindet sich inzwischen die Filiale einer Pizza-Kette, mit „Rossini“ als Schriftzug. Das heutige „Rossini“ befindet sich dagegen in der Türkenstraße 76 und trägt den geschützten Originalschriftzug aus dem Film. (c) Peter Czoik
Sekundärliteratur:
„Der ewige Stenz“. Helmut Dietl und sein München (Literaturhaus München HEFTE, 9). München 2016.
Helmut Dietl; Patrick Süskind: Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief. Vollständiges Drehbuch mit zahlreichen Fotos aus dem Film, mit einem Essay von Patrick Süskind sowie einem Gespräch zwischen Hellmuth Karasek und Helmut Dietl. Diogenes, Zürich 1997.
Externe Links:
1994 setzen die Dreharbeiten zu Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief an, wieder zusammen mit Patrick Süskind. Die von Dietl als „Melodramödie“ bezeichnete Gesellschaftssatire, die sich im Münchner Szene-Lokal „Rossini“ mit seinem Wirt Paolo Rossini (gespielt von Maria Adorf) um den Regisseur Uhu Zigeuner (gespielt von Götz George) abspielt, gehört 1997 mit 3,2 Mio. Besuchern in Deutschland zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres.
„Der Film Rossini sollte [...] nicht die Geschichte von ein oder zwei Individuen in einer sie umgebenden Gesellschaft erzählen, sondern die Geschichte einer Gesellschaft selbst, oder sagen wir bescheidener: einer Gruppe, der Gruppe von Stammgästen eines Lokals nämlich“, so Süskind (Helmut Dietl; Patrick Süskind: Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief, S. 215). An der Schnittstelle von Komödie und Tragödie angesiedelt, erzählt Rossini von der Selbstsucht und Beziehungsunfähigkeit seiner Figuren, deren Eitelkeiten vor allem in Situationen der Schwäche zu komischen Szenen führen; die aus dem Gedicht „Carmen“ von Wolf Wondratschek stammende „mörderische Frage, wer mit wem schlief“, löst sich am Ende in Wohlgefallen auf.
Das Lokal wird dabei zum existentiellen Ort, in dem sich immer wieder die gleichen Leute treffen, die getrennt und doch vereint sind, jeder für sich und doch kommunizierend, „eine Art Theater, arrangiertes, vorgeführtes Leben“, wie Helmut Dietl in einem Interview mit Hellmuth Karasek es bezeichnet (S. 277):
Ein verregneter Abend im Sommer. Es ist zwischen neun und zehn Uhr. Die meisten Tische des Lokals sind besetzt. Geschäftig eilen die Kellner hin und her. Neu ankommende Gäste werden vom Wirt Paolo Rossini an ihre Tische geführt, wobei sie andere Gäste begrüßen. Die meisten kennen sich offenbar untereinander, immer wieder stehen welche auf, um sich kurz an einen anderen Tisch zu setzen und ein paar Worte zu wechseln. Die Atmosphäre ist laut, locker und familiär, beinahe so, als handle es sich hier um eine geschlossene Gesellschaft.
(S. 9)
An dieser Stelle stand bis 2007 das Münchner Lokal „Romagna Antica“ in der Elisabethstraße 52, die Vorlage zum Film. (c) Peter Czoik
Über die Schwierigkeiten beim Drehbuchschreiben und Drehbuchverstehen hat Patrick Süskind in seinem Nachwort zu Rossini („Film ist Krieg, mein Freund!“) geschrieben. Die im Lokal spielende Eröffnungssequenz des Drehbuchs legt davon beredtes Zeugnis ab, da für den Leser aufgrund der fehlenden Beschreibung der Figuren nicht ersichtlich ist, wer in welcher Funktion/ Eigenschaft zu wem spricht. Anders sieht es dagegen im Film aus:
In der Eröffnungssequenz des Films Rossini treten, abgesehen von fünfundvierzig Komparsen, innerhalb von wenigen Minuten fünfzehn Schauspieler auf, die alle etwas mehr oder weniger Verständliches zu sagen und etwas mehr oder weniger Signifikantes zu tun haben. Für den Zuschauer wird und soll diese Szenerie laut, bewegt, turbulent wirken, seinem Verständnis aber trotz der Schnelligkeit des Ablaufs und der Fülle des Gezeigten keine besonderen Schwierigkeiten bieten. Es wird ihm nicht viel anders gehen als einem Gast, der irgendein ihm bis dato unbekanntes Restaurant zum ersten Mal besucht und dabei zunächst einmal weniger das Detail als das Gesamtgetriebe und das Atmosphärische in sich aufnimmt. Erst auf den zweiten oder dritten Blick wird er einige differenziertere Wahrnehmungen machen, wird bemerken, daß sich hier offenbar manche Gäste mehr zu Hause fühlen als andere; wird sie als Stammgäste identifizieren, die alle untereinander in irgendwelchen geschäftlichen oder erotischen Beziehungen stehen und ihrem Wirt gehörig auf die Nerven fallen; und wird sie im Verlauf des Abends [...] immerhin so weit kennenlernen, daß er sie später – und sei es nur als Gesichter – wiedererkennt.
(S. 236)
Das Restaurant „Rossini“ hat das ehemalige Münchner Lokal „Romagna Antica“ in der Elisabethstraße 52 zur Vorlage, unweit des Filmverlags der Autoren. Ab den 1970er-Jahren wurde es von der deutschen Filmprominenz, u.a. von Rainer Werner Fassbinder, häufig frequentiert. Dietl und der Produzent Bernd Eichinger waren ebenfalls dort Stammgäste: „Es gehörte zu einem anständigen Leben, jeden Abend ins ‚Romagna Antica‘ essen zu gehen. Wie alles andere, hob Helmut Dietl auch sämtliche Rechnungen auf.“ („Der ewige Stenz“, S. 73)
In der Elisabethstraße 52 befindet sich inzwischen die Filiale einer Pizza-Kette, mit „Rossini“ als Schriftzug. Das heutige „Rossini“ befindet sich dagegen in der Türkenstraße 76 und trägt den geschützten Originalschriftzug aus dem Film. (c) Peter Czoik
„Der ewige Stenz“. Helmut Dietl und sein München (Literaturhaus München HEFTE, 9). München 2016.
Helmut Dietl; Patrick Süskind: Rossini oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief. Vollständiges Drehbuch mit zahlreichen Fotos aus dem Film, mit einem Essay von Patrick Süskind sowie einem Gespräch zwischen Hellmuth Karasek und Helmut Dietl. Diogenes, Zürich 1997.