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Ödön von Horváth (c) Monacensia - Stadtbibliothek und Literaturarchiv

Murnau, Bahnhofstraße: Zur schönen Aussicht

Im Café-Restaurant Fröhler ist die Familie Horváth 1920 und 1921 zu Gast in der Sommerfrische. Von dort aus unternehmen die beiden Söhne zahlreiche Ausflüge und Bergtouren ins Wettersteingebirge und auf die Zugspitze (2964 m), Deutschlands höchsten Berg. Von der Höllentalhütte schicken die beiden eine Karte „an das Hotel Fröhler“:

J. Hochw. Herrn und Frau Dr. von Horváth, den 14. Juli 1920 von unserer schönen Tour senden wir Euch die besten Grüsse und Küsse Ödön Grüsse mit Küssen Luci

Der mehrstöckige Fachwerkbau, von Münchner Kaufleuten um die Jahrhundertwende errichtet, ist anfangs ein erstklassiges Hotel. Otto Steigers Wein- und Kaffee-Restaurant wirbt mit herrlicher Aussicht auf See und Gebirge und ist berühmt für anerkannt vorzügliche Verpflegung und gute Weine. Das Hotel verfügt damals schon über Telefon, elektrisches Licht und Bäder im Haus.

Hotel Schönblick um 1925 © Schloßmuseum Murnau/Bildarchiv

Doch dann verkommt das Etablissement zunehmend. 1923 übernimmt der Hotelier Georg Ertl das „Hotel zur schönen Aussicht“ bzw. das „Hotel Schönblick“, wie er es umtauft. Durch außergewöhnliche Werbeaktionen versucht Ertl, in schlechten wirtschaftlichen Zeiten das Hotel zu beleben. Er führt Armenspeisungen durch und richtet 1924 im Hotelfoyer Murnaus erste Radiostation ein. Doch der Niedergang ist nicht aufzuhalten: Anfang 1927 verkauft Georg Ertl das stattliche Anwesen an die Stuttgarter Geschäftsfrau Stoeß, die es in den folgenden Jahrzehnten als Wohn- und Geschäftshaus nutzt. 1980 wird das Fachwerkhaus abgerissen und ein Neubau errichtet.

Das Theaterstück Zur schönen Aussicht entsteht 1927 als eine Art Abgesang auf das Ende der Murnauer Hotel-Pension gleichen Namens. In einer Regie-Anweisung heißt es:

Dies Hotel zur schönen Aussicht liegt am Rande eines mitteleuropäischen Dorfes, das dank seiner geographischen Lage einigen Fremdenverkehr hat. Saison Juli-August. Zimmer mit voller Verpflegung sechs Mark. Die übrige Zeit sieht nur durch Zufall einen Gast. (Ödön von Horváth, Zur schönen Aussicht. In: Horváth, GW1, 135)

Szene der gallenbitteren Komödie ist ein abgewirtschaftetes, dem Bankrott preisgegebenes Hotel, in dem sich Gäste und Personal gegenseitig zugrunde richten. Vor der Kulisse eines idyllischen Alpenpanoramas zeigt Horváth den trostlosen Alltag einer dem Untergang geweihten Gesellschaft. Nach der Saison sollte das Stück ursprünglich heißen, in dessen ersten Entwurf Horváth viele Murnauer bei ihren richtigen Namen nennt. Offensichtlich fließen in die Komödie Beobachtungen und Erfahrungen ein, die Ödön von Horváth als Stammgast des Strand-Hotels und des Café Seerose gemacht hatte.

 


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Verfasst von: Dr. Elisabeth Tworek