München, „Bier-Athen“: Zwischen Dom und Königsplatz

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Heinrich Heine im Jahre 1829

Schon bald erkennt Heine ganz genau, was in München wirklich zählt: Bier und Spiele. An Cotta schreibt er am 14. März 1828, dass er das von König Ludwig I. und seinem Architekten Leo von Klenze geplante „Isar-Athen“ längst als das durchschaut hatte, was es in Wirklichkeit war: „Hier in unserem aufblühenden Bier-Athen giebt es nichts neues als daß nächstens der hohe Adel ein Tournier hält und der ehrsame Bürgersmann sich freut, daß er für 2 F [Gulden] 42 Kr[euzer] zusehen kann“.[11] Überhaupt das Bier; es hat bei Heine eine geradezu ortsvergällende Wirkung, wie er am 1. April Varnhagen in Berlin berichtet: „Ich werde hier sehr ernsthaft, fast deutsch; ich glaube das thut das Bier. Oft habe ich eine Sehnsucht nach der Hauptstadt, nemlich Berlin. Wenn ich mal gesund bin will ich suchen ob ich nicht dort leben kann. Ich bin in Bayern in Preuße geworden.“[12] Ein kühnes Wort. Heines Analyse ist aber keine Polemik, sondern ein trauriger Befund: „Es sieht hier schlecht aus; seichtes kümmerliches Leben. Kleingeistery.“[13] So in besagtem Brief an Varnhagen vom 1. April; und einen Monat später an Wolfgang Menzel: „Über München wär viel zu schreiben. Kleingeisterey von der großartigsten Art.“[14]

Als Autor lässt sich Heine dieses Thema selbstverständlich nicht entgehen. Gleich zu Beginn der Reisebilder / Dritter Teil (1830) mit der „Reise von München nach Genua“ widmet er in Kapitel II München allgemein eine ausführliche Darstellung in Form einer kuriosen Verteidigung, ausgerechnet gegen einen Berliner Philister! Ihm gegenüber nimmt Heine „das neue Athen sehr in Schutz“; er verteidigt die Altertümlichkeit der Stadt gegenüber Berlin, und stimmt dabei ein vermeintliches Loblied auf das neue München an:

München nämlich ist eine Stadt, gebaut von dem Volke selbst, und zwar von aufeinander folgenden Generationen, deren Geist noch immer in ihren Bauwerken sichtbar, so daß man dort, wie in der Hexenszene des Macbeth, eine chronologische Geisterreihe erblickt, von dem dunkelroten Geiste des Mittelalters, der geharnischt aus gotischen Kirchenpforten hervortritt, bis auf den gebildet lichten Geist unserer eignen Zeit, worin jeder sich selbst mit Vergnügen anschaut. [...] Wir sind ernst, aber nicht unmutig bei dem Anblick jenes barbarischen Doms, der sich noch immer, in stiefelknechtischer Gestalt, über die ganze Stadt erhebt und die Schatten und Gespenster des Mittelalters in seinem Schoße verbirgt. Mit eben so wenig Unmut, ja sogar mit spaßhafter Rührung betrachten wir die haarbeuteligen Schlösser der spätern Periode, die plump deutschen Nachäffungen der französischen Unnatur, die Prachtgebäude der Abgeschmacktheit [...] [aber] Wie gesagt, dieser Anblick verstimmt uns nicht [...] und wenn wir die neuen Werke betrachten, die sich neben den alten erheben, so ists, als würde uns eine schwere Perücke vom Haupte genommen und das Herz befreit von stählerner Fessel. Ich spreche hier von den heiteren Kunsttempeln und edlen Palästen, die in kühner Fülle hervorblühen aus dem Geiste Klenzes, des großen Meisters.[15]

König Ludwig I. von Bayern wurde zur Zielscheibe zahlreicher spöttischer Verse von Heine (Lithografie von Franz Hanfstaengl)

Gemeint sein könnten hier der Königsplatz, wo damals schon die Glyptothek (1818) stand, aber auch die Neurenaissance-Paläste an der Ludwigstraße, wo Thomas Manns München-Novelle Gladius Dei (1902) spielt, deren Anfang sich vielleicht sogar von dieser Heine-Stelle hat anregen lassen: „München leuchtete. Über den festlichen Plätzen und weißen Säulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Palästen und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide [...]“.[16] Heines spöttisches Lob, seine lächelnde Kritik schärfen den Blick für das, in seinen Augen, abgestandene Alte, die Verkennung des französischen Barock eines Francois Cuvilliés gibt es noch obendrein, aber der Blick für den neuen Stil des „deutschen Athen“ (Schaden)[17] mit der Glyptothek und ihren damals wohl schon geplanten Nachfolgebauten am Königsplatz entgeht ihm nicht.


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[11] Briefe (wie Anm. 2), S. 321.

[12] Briefe (wie Anm. 2), S. 323.

[13] Briefe (wie Anm. 2), S. 322.

[14] Briefe (wie Anm. 2), S. 331.

[15] Heinrich Heine: Sämtliche Schriften in zwölf Bänden. Hg. von Klaus Briegleb. Bd. 3. Schriften 1822-1831. München/Wien 1976 (hinfort zitiert: Heine, Band 3), S. 316-319.

[16] Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden. Bd. VIII. Erzählungen. Frankfurt a. M. 1990, S. 197.

[17] Adolph von Schaden: Münchner Vergissmeinnicht oder Erinnerung an den Aufenthalt im deutschen Athen. München 1838.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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