München, Sondermeierstraße 1: Gastwirtschaft Aumeister
Die Au im nördlichen Teil des Englischen Gartens war ein beliebtes Jagdrevier der Wittelsbacher. Sie war hinter dem Schwabinger Tor gelegen, das sich in der zweiten Stadtmauer des mittelalterlichen Münchens nördlich der Feldherrnhalle befand. Die heutige Aumeister-Gastwirtschaft diente als Sitz des Aujägermeisters, der das Wild in den Isarauen hegte. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dort auch die Teilnehmer der Hofjagden bewirtet. Der Englische Garten entwickelte sich als beliebtes Naherholungsziel und immer mehr Ausflügler besuchten den Aumeister. Heute zählt der Aumeister zu den beliebtesten Münchner Biergärten.
Der aus Hannover stammende Philosoph Theodor Lessing schildert in seinen 1935 postum erschienen Erinnerungen Einmal und nie wieder ein Erlebnis mit dem Schwabinger Bohemien Ernst Reinhold von Stobäus, der in einer Sommernacht „eine Schar junger Burschen und Mädchen“ einlud, mit ihm in den Wiesen am Aumeister zu feiern. Sie veranstalteten Laufspiele und entzündeten ein Holzfeuer, „als der Mond über den Büschen hing“.
Plötzlich begann Stobäus sich zu entkleiden, nackt über die Wiese zu jagen und das Feuer zu umspringen als ausgelassener Faun, und alsbald folgte dieser und jene, bis Busch und Tannicht wiederhallten vom Gelächter und Geschrei nackter Nymphen und Satyrn. Bei solchen Anlässen fühlte ich zutiefst meine Fremdheit, die Fremdheit des Geistes unter den Weltkindern. Und doch hätte ich alles tiefere Wissen gern hingegeben, um so froh und schön zu sein, wie das geliebte Sorgenkind. Zu der Schar tanzender Weltkinder gehörten auch Franziska Reventlow und Frieda Uhl, geschiedene Frau August Strindbergs, die von Strindberg ein Kind hatte und ein zweites von Wedekind. Diese beiden schwebten stets in Geldverlegenheiten.
(Theodor Lessing: Einmal und nie wieder, zit. nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München. Dichter sehen eine Stadt. Metzler Verlag, Stuttgart 1990, S. 179)
Das tat Franziska zu Reventlow ein Leben lang. Wir werden sie und ihre Stammcafés und -lokale auf unseren beiden Spaziergängen häufiger treffen. Doch sie war nicht nur eine leidenschaftliche Nachtschwärmerin, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit empfänglich für die Schönheit der Natur, „Wald, Wiesen und Sümpfe“, in die es sie immer wieder – am liebsten mit ihrem Sohn Rolf, genannt Bubi – zog: „Ich die Strümpfe aus und in den Sumpf hinein, um Dotterblumen und schwarzes Schilf zu sammeln.“
Im April 1909 schreibt sie in ihr Tagebuch:
Leider Gottes eine Übersetzung zu machen aber daneben viel mit Bubi froh, vor allem Sonntag Morgens u. jeden Sonntag ist der Frühling wieder ein Stück weiter. Man möchte gar nicht mehr im Hause sein, nur immer draußen mit seinem guten Tierchen, das sich über jede Vogelstimme freut.
Und ich auch. [...] Morgenstimmungen am Sendlinger Tor, einmal Fahrt zum Aumeister u. dort saß Höper und trank Schnaps u. man war unvernünftig vergnügt. Nur ist man manchmal auch unvernünftig nervös. Übersetzung unter Ach und Weh fertig. Gott ist das greulich. Könnte ich leben ohne zu arbeiten – ich wäre das glücklichste Wesen unter der Sonne.
(F. Gräfin zu Reventlow: „Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich“. Tagebücher 1895-1910. Hg. von Irene Weiser und Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz, Passau 2006, S. 501)
Ihre Zeitgenossin Lena Christ war keine Kaffeehausgängerin. In den wenigen Jahren des literarischen Erfolgs lud sie gern Freunde zu sich nach Haus ein, wie ihren Lektor Korfiz Holm. Doch sowohl ihr eigenes Leben als auch das ihrer Protagonistin aus dem Roman Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) war eng mit Gasthäusern verbunden: Schon als kleines Mädchen musste sie im Wirtshaus der Eltern mitarbeiten. Ihre Protagonistin entscheidet sich nach einer der vielen Misshandlungen, die ihr die Mutter zugefügt hat, die elterliche Gastwirtschaft zu verlassen und sich eine Stelle außerhalb von München zu suchen. Ihr Weg führt sie nach Norden. „Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister vorbei und stand mit einem Male, vor einem kleinen Dörflein.“ (Lena Christ: Werke. Süddeutscher Verlag, München 1970, S. 113)
Zur Station 2 von 17 Stationen
Verfasser: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt
Die Au im nördlichen Teil des Englischen Gartens war ein beliebtes Jagdrevier der Wittelsbacher. Sie war hinter dem Schwabinger Tor gelegen, das sich in der zweiten Stadtmauer des mittelalterlichen Münchens nördlich der Feldherrnhalle befand. Die heutige Aumeister-Gastwirtschaft diente als Sitz des Aujägermeisters, der das Wild in den Isarauen hegte. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dort auch die Teilnehmer der Hofjagden bewirtet. Der Englische Garten entwickelte sich als beliebtes Naherholungsziel und immer mehr Ausflügler besuchten den Aumeister. Heute zählt der Aumeister zu den beliebtesten Münchner Biergärten.
Der aus Hannover stammende Philosoph Theodor Lessing schildert in seinen 1935 postum erschienen Erinnerungen Einmal und nie wieder ein Erlebnis mit dem Schwabinger Bohemien Ernst Reinhold von Stobäus, der in einer Sommernacht „eine Schar junger Burschen und Mädchen“ einlud, mit ihm in den Wiesen am Aumeister zu feiern. Sie veranstalteten Laufspiele und entzündeten ein Holzfeuer, „als der Mond über den Büschen hing“.
Plötzlich begann Stobäus sich zu entkleiden, nackt über die Wiese zu jagen und das Feuer zu umspringen als ausgelassener Faun, und alsbald folgte dieser und jene, bis Busch und Tannicht wiederhallten vom Gelächter und Geschrei nackter Nymphen und Satyrn. Bei solchen Anlässen fühlte ich zutiefst meine Fremdheit, die Fremdheit des Geistes unter den Weltkindern. Und doch hätte ich alles tiefere Wissen gern hingegeben, um so froh und schön zu sein, wie das geliebte Sorgenkind. Zu der Schar tanzender Weltkinder gehörten auch Franziska Reventlow und Frieda Uhl, geschiedene Frau August Strindbergs, die von Strindberg ein Kind hatte und ein zweites von Wedekind. Diese beiden schwebten stets in Geldverlegenheiten.
(Theodor Lessing: Einmal und nie wieder, zit. nach Schwab, Hans-Rüdiger [Hg.]: München. Dichter sehen eine Stadt. Metzler Verlag, Stuttgart 1990, S. 179)
Das tat Franziska zu Reventlow ein Leben lang. Wir werden sie und ihre Stammcafés und -lokale auf unseren beiden Spaziergängen häufiger treffen. Doch sie war nicht nur eine leidenschaftliche Nachtschwärmerin, sondern zu jeder Tages- und Nachtzeit empfänglich für die Schönheit der Natur, „Wald, Wiesen und Sümpfe“, in die es sie immer wieder – am liebsten mit ihrem Sohn Rolf, genannt Bubi – zog: „Ich die Strümpfe aus und in den Sumpf hinein, um Dotterblumen und schwarzes Schilf zu sammeln.“
Im April 1909 schreibt sie in ihr Tagebuch:
Leider Gottes eine Übersetzung zu machen aber daneben viel mit Bubi froh, vor allem Sonntag Morgens u. jeden Sonntag ist der Frühling wieder ein Stück weiter. Man möchte gar nicht mehr im Hause sein, nur immer draußen mit seinem guten Tierchen, das sich über jede Vogelstimme freut.
Und ich auch. [...] Morgenstimmungen am Sendlinger Tor, einmal Fahrt zum Aumeister u. dort saß Höper und trank Schnaps u. man war unvernünftig vergnügt. Nur ist man manchmal auch unvernünftig nervös. Übersetzung unter Ach und Weh fertig. Gott ist das greulich. Könnte ich leben ohne zu arbeiten – ich wäre das glücklichste Wesen unter der Sonne.
(F. Gräfin zu Reventlow: „Wir sehen uns ins Auge, das Leben und ich“. Tagebücher 1895-1910. Hg. von Irene Weiser und Jürgen Gutsch. Verlag Karl Stutz, Passau 2006, S. 501)
Ihre Zeitgenossin Lena Christ war keine Kaffeehausgängerin. In den wenigen Jahren des literarischen Erfolgs lud sie gern Freunde zu sich nach Haus ein, wie ihren Lektor Korfiz Holm. Doch sowohl ihr eigenes Leben als auch das ihrer Protagonistin aus dem Roman Erinnerungen einer Überflüssigen (1912) war eng mit Gasthäusern verbunden: Schon als kleines Mädchen musste sie im Wirtshaus der Eltern mitarbeiten. Ihre Protagonistin entscheidet sich nach einer der vielen Misshandlungen, die ihr die Mutter zugefügt hat, die elterliche Gastwirtschaft zu verlassen und sich eine Stelle außerhalb von München zu suchen. Ihr Weg führt sie nach Norden. „Ich ging die Isar entlang durch den Englischen Garten, am Aumeister vorbei und stand mit einem Male, vor einem kleinen Dörflein.“ (Lena Christ: Werke. Süddeutscher Verlag, München 1970, S. 113)
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Verfasser: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt