Murnau, Schloßbergstraße 1: Horváths Lieblingslokal
Das Gast & Weinhaus Gg. Kirchmeir ist Horváths Lieblingslokal: Am Stammtisch trifft er sich mit den Honoratioren des Marktes, darunter Lehrer, Pensionisten, Pfarrer, Handwerker. Sie erzählen ihm Details aus dem Schulalltag, die Horváth später für den Roman Jugend ohne Gott gut brauchen kann. Den Romanentwurf Hannes, das Arbeiterkind schreibt er am 11. Juni 1930 auf das Briefpapier der Weinwirtschaft Kirchmeir. Am 18. Juli 1929 übernimmt Ignaz Kirchmeir, von 1904 bis 1926 Besitzer des Hotel Seerose am Staffelsee, diese traditionsreiche Murnauer Weinwirtschaft. Zum Frühstück gibt es „jeden Tag selbstgemachte feine Brat-, Weiß- und Schweinswürste, sowie große Auswahl von vorzügl. reinen Weinen – Frisches Murnauer Lagerbier.“
Außenansicht und Innenräume der Weinwirtschaft Kirchmeir © Schloßmuseum Murnau/Bildarchiv
Die Wirtschaft wird 1930, anlässlich der Passion in Oberammergau, aufwändig umgebaut. Der Ruin des Familienbetriebs wird nicht zuletzt durch eine Brand und die legendäre Saalschlacht 1931 verursacht. Im März 1933 muss die Gastwirtschaft zwangsversteigert werden. Meistbietender Käufer ist das Kloster Ettal, das die Gaststätte für 52.500 RM erwirbt und im August 1934 an den Hotelier Paul Behrendt weiterverkauft. Ignaz Kirchmeir zieht mit seiner Familie nach München und verstirbt wenige Jahre später. Paul Behrendt führt die Gastwirtschaft unter dem Namen „Traube“ bis in die Nachkriegszeit weiter. Heute befindet sich in den Räumen der ehemaligen Gastwirtschaft eine Bank.
Am 1. Februar 1931 sprengen Nationalsozialisten, die zum Teil mit Bussen und mit der Bahn aus der näheren Umgebung angereist sind, eine öffentliche Parteiveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei, Ortsgruppe Murnau. Für die Versammlung standen zwei Räume der Gastwirtschaft Kirchmeir zur Verfügung: der Speisesaal und die Weinstube. Die zwischen beiden Zimmern befindliche Holzwand wird für die Parteiversammlung entfernt. Ödön von Horváth hat Freunde zur Bahn gebracht und folgt den vielen jungen Leuten, die am Bahnhof ausgestiegen sind, in den Kirchmeiersaal. Dort wird er Zeuge einer Schlägerei zwischen Reichsbanner und SA-Leuten, in deren Verlauf 26 Personen zum Teil schwer verletzt werden.
Der angerichtete Sachschaden beläuft sich auf 2800 Reichsmark. Die „Saalschlacht“ hat ein gerichtliches Nachspiel. Am 20. Juli 1931 findet vor dem Amtsgericht Weilheim ein Prozeß gegen 33 Versammlungsteilnehmer wegen Landfriedensbruchs statt. Unter den Angeklagten: 26 Nationalsozialisten, darunter mehrere alteingesessene Murnauer Bürger, die Horváth vom Stammtisch her kennt. Ödön von Horváth belastet mit seiner beeidigten Zeugenaussage die Nationalsozialisten sowie ihren Parteivorsitzenden Otto Engelbrecht schwer:
Die Rede des Herrn Engelbrecht war nach meinem Empfinden sehr provozierend. (...) Seine Rede klang mit einem „Heil Hitler“ aus. Dann fingen die Leute das Singen an. Ich kannte das Horst-Wessellied nicht, und als ich hörte, wie einige riefen: „Hände hoch“, erhob ich auch momentan die Hand. An der Fensterseite und an der Seite, an der das Klavier stand, waren die meisten Nationalsozialisten. Ich konnte sie daran erkennen, weil sie beim Singen des Horst-Wesselliedes die Hände erhoben hatten. Engelbrecht hatte auch mit erhobener Hand gesungen. (...) Nach meiner Ansicht wurden die Biergläser von den Nationalsozialisten geworfen. Ein Nationalsozialist wollte mich mit einem Stuhl schlagen, er wendete sich dann wieder von mir ab und schlug den Stuhl einem anderen auf den Kopf. (...) Im Saal war nach der Schlägerei alles zertrümmert. Sollten, wie mir soeben vorgehalten wird, im hinteren Teil des Saales etwa 200 Mann gewesen sein, was ich nicht schätzte, dann waren etwa 150 Nationalsozialisten darunter. (Gerichtsprotokoll im Saalschlachtprozeß, Revisionsverfahren, 31. Oktober 1931, LRA w 824-873/32.)
Gasthof Traube im Jahr 1933 © Schloßmuseum Murnau
Zur Station 10 von 14 Stationen
Das Gast & Weinhaus Gg. Kirchmeir ist Horváths Lieblingslokal: Am Stammtisch trifft er sich mit den Honoratioren des Marktes, darunter Lehrer, Pensionisten, Pfarrer, Handwerker. Sie erzählen ihm Details aus dem Schulalltag, die Horváth später für den Roman Jugend ohne Gott gut brauchen kann. Den Romanentwurf Hannes, das Arbeiterkind schreibt er am 11. Juni 1930 auf das Briefpapier der Weinwirtschaft Kirchmeir. Am 18. Juli 1929 übernimmt Ignaz Kirchmeir, von 1904 bis 1926 Besitzer des Hotel Seerose am Staffelsee, diese traditionsreiche Murnauer Weinwirtschaft. Zum Frühstück gibt es „jeden Tag selbstgemachte feine Brat-, Weiß- und Schweinswürste, sowie große Auswahl von vorzügl. reinen Weinen – Frisches Murnauer Lagerbier.“
Außenansicht und Innenräume der Weinwirtschaft Kirchmeir © Schloßmuseum Murnau/Bildarchiv
Die Wirtschaft wird 1930, anlässlich der Passion in Oberammergau, aufwändig umgebaut. Der Ruin des Familienbetriebs wird nicht zuletzt durch eine Brand und die legendäre Saalschlacht 1931 verursacht. Im März 1933 muss die Gastwirtschaft zwangsversteigert werden. Meistbietender Käufer ist das Kloster Ettal, das die Gaststätte für 52.500 RM erwirbt und im August 1934 an den Hotelier Paul Behrendt weiterverkauft. Ignaz Kirchmeir zieht mit seiner Familie nach München und verstirbt wenige Jahre später. Paul Behrendt führt die Gastwirtschaft unter dem Namen „Traube“ bis in die Nachkriegszeit weiter. Heute befindet sich in den Räumen der ehemaligen Gastwirtschaft eine Bank.
Am 1. Februar 1931 sprengen Nationalsozialisten, die zum Teil mit Bussen und mit der Bahn aus der näheren Umgebung angereist sind, eine öffentliche Parteiveranstaltung der Sozialdemokratischen Partei, Ortsgruppe Murnau. Für die Versammlung standen zwei Räume der Gastwirtschaft Kirchmeir zur Verfügung: der Speisesaal und die Weinstube. Die zwischen beiden Zimmern befindliche Holzwand wird für die Parteiversammlung entfernt. Ödön von Horváth hat Freunde zur Bahn gebracht und folgt den vielen jungen Leuten, die am Bahnhof ausgestiegen sind, in den Kirchmeiersaal. Dort wird er Zeuge einer Schlägerei zwischen Reichsbanner und SA-Leuten, in deren Verlauf 26 Personen zum Teil schwer verletzt werden.
Der angerichtete Sachschaden beläuft sich auf 2800 Reichsmark. Die „Saalschlacht“ hat ein gerichtliches Nachspiel. Am 20. Juli 1931 findet vor dem Amtsgericht Weilheim ein Prozeß gegen 33 Versammlungsteilnehmer wegen Landfriedensbruchs statt. Unter den Angeklagten: 26 Nationalsozialisten, darunter mehrere alteingesessene Murnauer Bürger, die Horváth vom Stammtisch her kennt. Ödön von Horváth belastet mit seiner beeidigten Zeugenaussage die Nationalsozialisten sowie ihren Parteivorsitzenden Otto Engelbrecht schwer:
Die Rede des Herrn Engelbrecht war nach meinem Empfinden sehr provozierend. (...) Seine Rede klang mit einem „Heil Hitler“ aus. Dann fingen die Leute das Singen an. Ich kannte das Horst-Wessellied nicht, und als ich hörte, wie einige riefen: „Hände hoch“, erhob ich auch momentan die Hand. An der Fensterseite und an der Seite, an der das Klavier stand, waren die meisten Nationalsozialisten. Ich konnte sie daran erkennen, weil sie beim Singen des Horst-Wesselliedes die Hände erhoben hatten. Engelbrecht hatte auch mit erhobener Hand gesungen. (...) Nach meiner Ansicht wurden die Biergläser von den Nationalsozialisten geworfen. Ein Nationalsozialist wollte mich mit einem Stuhl schlagen, er wendete sich dann wieder von mir ab und schlug den Stuhl einem anderen auf den Kopf. (...) Im Saal war nach der Schlägerei alles zertrümmert. Sollten, wie mir soeben vorgehalten wird, im hinteren Teil des Saales etwa 200 Mann gewesen sein, was ich nicht schätzte, dann waren etwa 150 Nationalsozialisten darunter. (Gerichtsprotokoll im Saalschlachtprozeß, Revisionsverfahren, 31. Oktober 1931, LRA w 824-873/32.)
Gasthof Traube im Jahr 1933 © Schloßmuseum Murnau
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