Sankt-Anna-Platz 2
Geboren wurde der Schriftsteller in der Thierschstraße 9. Im Haus am St.-Anna-Platz 2 verbrachte er allerdings seine Kindheit von 1889 bis 1900. Dort ist eine Gedenktafel angebracht, die 1966 vom Bildhauer Karl Oppenrieder geschaffen wurde. Die Familie Feuchtwanger war angesehen und wohlhabend, der Vater betrieb eine Margarine-Fabrik in Haidhausen. Heike Sprecht beschreibt in ihrem Buch „Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis“ eine funktionierende Symbiose von ausgeprägtem jüdischen Selbstverständnis und bayerischem Patriotismus: „Sie [die Feuchtwangers] waren Stammgäste im Hofbräuhaus, fühlten sich in den Alpen wie zu Hause, liebten die Theater und Museen der Stadt, pflegten die landesübliche Feindschaft gegenüber Preußen und in ‚unserem München‘ galt ihnen auch der Berliner Jude als Zugereister.“
Heike Specht schreibt über die Familie der Feuchtwangers, Andreas Heusler legt 2014 eine neue Feuchtwanger-Biographie vor.
Sein Abitur machte Lion Feuchtwanger am Wilhelmsgymnasium. Über seine Ausbildung schreibt er in Der Autor über sich selbst (1935):
Der Schriftsteller L.F. wurde geboren im vorletzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in einer Stadt des Landes Bayern, genannt München, die damals 437 112 Einwohner zählte. Er wurde von insgesamt 98 Lehrern in 211 Disziplinen unterrichtet, darunter waren Hebräisch, angewandte Psychologie, Geschichte der oberbayerischen Fürsten, Sanskrit, Zinseszinsrechnung, Gotisch und Turnen, nicht aber waren darunter englische Sprache, Nationalökonomie oder amerikanische Geschichte. Der Schriftsteller L.F. brauchte 19 Jahre, um von diesen 211 Disziplinen 172 vollständig in seinem Gedächtnis auszurotten. Es wurde im Laufe seines Unterrichts der Name Plato 14 203 mal, der Name Friedrich der Große 22 641 mal, der Name Karl Marx keinmal genannt.
Und über seine Geburtsstadt:
Was die Stadt München anlangt, in der der Schriftsteller L.F. viele Jahre seines Lebens verbrachte, so wurde in ihr die Feuerwehr von allen Städten der Welt am relativ häufigsten aus bloßem Unfug herbeigerufen. Auch produzierte und konsumierte die Stadt von allen Städten der Welt das relativ meiste Bier. Die Zeitschrift Friedrich von Schillers Die Horen hatte in ihr 3 Subskribenten gefunden, der Roman König Ludwig II. oder Der Märtyrer im Purpurhermelin 109 853. Die Stadt zählte im letzten Jahr, das der Schriftsteller L.F. in ihr verbrachte, 137 Begabte, 1012 über Mittelmaß, 9002 normal, 537 284 unternormal Veranlagte und 122 963 Voll-Antisemiten. Es beweist die ungewöhnliche Vitalität des Schriftstellers L.F., daß er in der Luft dieser Stadt 407 263 054 Atemzüge tun konnte, ohne an seiner geistigen Gesundheit erkennbaren Schaden zu nehmen.
Obwohl also Feuchtwanger ein echtes Münchner Kindl ist, tat man sich lange schwer mit dem international vielleicht bedeutendsten Münchner Literaten. Keine Straße ist nach Feuchtwanger benannt, kein Literaturpreis wird in seinem Namen vergeben. Er wurde zwar 1957 mit dem Literaturpreis der Stadt München geehrt, dieser wäre ihm aber nach seinem Glückwunschtelegramm an Moskau zum 40. Jahrestag der bolschewistischen Oktober-Revolution beinahe wieder aberkannt worden. Feuchtwanger ist nach dem Krieg nie wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Ihm wurde übelgenommen, dass er seiner Heimatstadt München in Erfolg kein stadtmarketingtaugliches Label à la „München leuchtet“ verpasste, sondern ihr mit dem Motto „Bauen, brauen, sauen“ ganz andere Qualitäten attestierte. Mit seinem schonungslos gemalten Bild der Hauptstadt der Bewegung und ihrer Bewohner, mit seiner messerscharfen Analyse des bayerischen Charakters und der Zustände in den Jahren vor der Machtergreifung Hitlers setzte man sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg ungern auseinander.
Diese Reaktion hatte Feuchtwanger vielleicht schon beim Schreiben nicht anders erwartet. Dem Komiker Balthasar Hierl alias Karl Valentin legt er die passenden Worte über Jaques Tüverlin alias Lion Feuchtwanger in den Mund:
Auch er, Hierl, hatte viel auszusetzen an seiner Vaterstadt München, er grantelte an ihr herum, seine Produktion war eine einzige Kritik. Das war ihm erlaubt, er durfte von seiner Mutter sagen, sie sei eine alte Sau: sagte es ein anderer, dann haute er ihm eine Watschen herunter. Der Tüverlin sagte es klar und deutlich, und er haute ihm doch keine herunter. Das ärgerte ihn. (Erfolg, S. 392)
In den letzten Jahren erfährt Feuchtwanger mehr Aufmerksamkeit, der Feuchtwanger-Biograph Andeas Heusler spricht sogar von einer „Feuchtwanger-Renaissance in homöopathischen Dosen“. Ausdruck dieser Renaissance war beispielsweise eine erfolgreiche Ausstellung im Literaturhaus München Anfang 2015 und einige wichtige Neuerscheinungen zu Feuchtwanger, vor allem Heuslers Buch Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger, das 2014 im Residenz Verlag erschien, und die Neuausgabe der Biographie von Wilhelm von Sternburg (Aufbau Verlag, 2014).
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Geboren wurde der Schriftsteller in der Thierschstraße 9. Im Haus am St.-Anna-Platz 2 verbrachte er allerdings seine Kindheit von 1889 bis 1900. Dort ist eine Gedenktafel angebracht, die 1966 vom Bildhauer Karl Oppenrieder geschaffen wurde. Die Familie Feuchtwanger war angesehen und wohlhabend, der Vater betrieb eine Margarine-Fabrik in Haidhausen. Heike Sprecht beschreibt in ihrem Buch „Die Feuchtwangers. Familie, Tradition und jüdisches Selbstverständnis“ eine funktionierende Symbiose von ausgeprägtem jüdischen Selbstverständnis und bayerischem Patriotismus: „Sie [die Feuchtwangers] waren Stammgäste im Hofbräuhaus, fühlten sich in den Alpen wie zu Hause, liebten die Theater und Museen der Stadt, pflegten die landesübliche Feindschaft gegenüber Preußen und in ‚unserem München‘ galt ihnen auch der Berliner Jude als Zugereister.“
Heike Specht schreibt über die Familie der Feuchtwangers, Andreas Heusler legt 2014 eine neue Feuchtwanger-Biographie vor.
Sein Abitur machte Lion Feuchtwanger am Wilhelmsgymnasium. Über seine Ausbildung schreibt er in Der Autor über sich selbst (1935):
Der Schriftsteller L.F. wurde geboren im vorletzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts in einer Stadt des Landes Bayern, genannt München, die damals 437 112 Einwohner zählte. Er wurde von insgesamt 98 Lehrern in 211 Disziplinen unterrichtet, darunter waren Hebräisch, angewandte Psychologie, Geschichte der oberbayerischen Fürsten, Sanskrit, Zinseszinsrechnung, Gotisch und Turnen, nicht aber waren darunter englische Sprache, Nationalökonomie oder amerikanische Geschichte. Der Schriftsteller L.F. brauchte 19 Jahre, um von diesen 211 Disziplinen 172 vollständig in seinem Gedächtnis auszurotten. Es wurde im Laufe seines Unterrichts der Name Plato 14 203 mal, der Name Friedrich der Große 22 641 mal, der Name Karl Marx keinmal genannt.
Und über seine Geburtsstadt:
Was die Stadt München anlangt, in der der Schriftsteller L.F. viele Jahre seines Lebens verbrachte, so wurde in ihr die Feuerwehr von allen Städten der Welt am relativ häufigsten aus bloßem Unfug herbeigerufen. Auch produzierte und konsumierte die Stadt von allen Städten der Welt das relativ meiste Bier. Die Zeitschrift Friedrich von Schillers Die Horen hatte in ihr 3 Subskribenten gefunden, der Roman König Ludwig II. oder Der Märtyrer im Purpurhermelin 109 853. Die Stadt zählte im letzten Jahr, das der Schriftsteller L.F. in ihr verbrachte, 137 Begabte, 1012 über Mittelmaß, 9002 normal, 537 284 unternormal Veranlagte und 122 963 Voll-Antisemiten. Es beweist die ungewöhnliche Vitalität des Schriftstellers L.F., daß er in der Luft dieser Stadt 407 263 054 Atemzüge tun konnte, ohne an seiner geistigen Gesundheit erkennbaren Schaden zu nehmen.
Obwohl also Feuchtwanger ein echtes Münchner Kindl ist, tat man sich lange schwer mit dem international vielleicht bedeutendsten Münchner Literaten. Keine Straße ist nach Feuchtwanger benannt, kein Literaturpreis wird in seinem Namen vergeben. Er wurde zwar 1957 mit dem Literaturpreis der Stadt München geehrt, dieser wäre ihm aber nach seinem Glückwunschtelegramm an Moskau zum 40. Jahrestag der bolschewistischen Oktober-Revolution beinahe wieder aberkannt worden. Feuchtwanger ist nach dem Krieg nie wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Ihm wurde übelgenommen, dass er seiner Heimatstadt München in Erfolg kein stadtmarketingtaugliches Label à la „München leuchtet“ verpasste, sondern ihr mit dem Motto „Bauen, brauen, sauen“ ganz andere Qualitäten attestierte. Mit seinem schonungslos gemalten Bild der Hauptstadt der Bewegung und ihrer Bewohner, mit seiner messerscharfen Analyse des bayerischen Charakters und der Zustände in den Jahren vor der Machtergreifung Hitlers setzte man sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg ungern auseinander.
Diese Reaktion hatte Feuchtwanger vielleicht schon beim Schreiben nicht anders erwartet. Dem Komiker Balthasar Hierl alias Karl Valentin legt er die passenden Worte über Jaques Tüverlin alias Lion Feuchtwanger in den Mund:
Auch er, Hierl, hatte viel auszusetzen an seiner Vaterstadt München, er grantelte an ihr herum, seine Produktion war eine einzige Kritik. Das war ihm erlaubt, er durfte von seiner Mutter sagen, sie sei eine alte Sau: sagte es ein anderer, dann haute er ihm eine Watschen herunter. Der Tüverlin sagte es klar und deutlich, und er haute ihm doch keine herunter. Das ärgerte ihn. (Erfolg, S. 392)
In den letzten Jahren erfährt Feuchtwanger mehr Aufmerksamkeit, der Feuchtwanger-Biograph Andeas Heusler spricht sogar von einer „Feuchtwanger-Renaissance in homöopathischen Dosen“. Ausdruck dieser Renaissance war beispielsweise eine erfolgreiche Ausstellung im Literaturhaus München Anfang 2015 und einige wichtige Neuerscheinungen zu Feuchtwanger, vor allem Heuslers Buch Lion Feuchtwanger. Münchner – Emigrant – Weltbürger, das 2014 im Residenz Verlag erschien, und die Neuausgabe der Biographie von Wilhelm von Sternburg (Aufbau Verlag, 2014).
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