Am Platzl 8
Das Platzl, der mittelalterliche Stadtkern mit seinen Weinstuben und Lokalen, zieht sowohl Touristen als auch das Münchner Publikum an. Besondere Bedeutung kam der neben dem Hofbräuhaus gelegenen Torggelstube zu, die sich bald als Treffpunkt von Münchner Künstlern und Studenten etablierte. In einem Reiseführer aus dem Jahr 1923 wird die Torggelstube als „Weinrestaurant mit weniger hohem Anspruch“ bezeichnet. Gleichzeitig nennt der Literat Erich Mühsam die Gesellschaften am Torggelstubentisch den „geistigen Mittelpunkt Münchens“. Zum Künstlerstammtisch gehörten neben Mühsam selbst auch Persönlichkeiten wie das Ehepaar Feuchtwanger, der Dichter Frank Wedekind und der Dramatiker Max Halbe. Marta Feuchtwanger erinnert sich an die Torggelstube:
Wenn man von der Torggelstube spricht, darf man nicht vergessen, die Kellnerinnen zu erwähnen. Diesen Beruf übten viele in den Gaststätten Münchens aus, aber die Kellnerinnen in der Torggelstube waren ein besonderer Schlag. [...] Die Mädchen spielten ihren Gästen auch kleine Streiche. An einem hohen jüdischen Feiertag – es war der große Fasttag – rief eine der Kellnerinnen durchs Lokal, der Herr Feuchtwanger möchte herauskommen. Draußen warte ein Herr auf ihn. Mindestens fünf Feuchtwanger stürzten verlegen heraus. Keiner hatte den anderen vorher gesehen. Alle aus der frommen Familie hatten das Fasten gebrochen. (Marta Feuchtwanger: Nur eine Frau. S. 102f.)
Im Roman von Lion Feuchtwanger stellt die Torggelstube als „Tiroler Weinstube“ einen Schlüsselort dar, an welchem sich die Figuren treffen und politisch, wirtschaftlich und kulturell austauschen.
Obwohl der schöne Sonntag viele an die Seen und in die Berge führte, war die Tiroler Weinstube an diesem Junivormittag dicht gefüllt. Man hatte alle Fenster der Sonne geöffnet, aber es blieb angenehm dämmerig in dem großen Raum. Dick lag der Rauch der Zigarren über den massiven Holztischen. Man aß kleine, knusperig gebratene Schweinswürste oder lutschte an dicken, safttriefenden Weißwürsten, während man kräftige Urteile über Dinge der Kunst, der Weltanschauung, der Politik äußerte. Es kamen am Sonntagvormittag vornehmlich Politiker in die Tiroler Weinstube. Sie saßen da im schwarzen Sonntagsrock, großspurig. Bayern war ein autonomer Staat. Bayerischer Politiker sein, das war etwas. (Erfolg, S. 66)
Dauergast in der Tiroler Weinstube ist beispielsweise Kultusminister Franz Flaucher. Die Figur ist an den bayerischen Politiker Gustav Ritter von Kahr angelehnt. Seit 1902 war dieser als Jurist im Bayerischen Staatsministerium des Inneren für die Themen Volkskunst und Denkmalpflege zuständig, wurde 1917 Regierungspräsident von Oberbayern und amtierte von 1920 bis 1921 als bayerischer Ministerpräsident. Gemeinsam mit anderen Größen der Münchner Gesellschaft gründete von Kahr im Jahr 1910 den Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Als rechtskonservativer Monarchist sympathisierte er zunächst mit Adolf Hitler und der NSDAP, beteiligte sich 1923 allerdings nicht an dem Putschversuch, sondern ließ den Marsch auf die Feldherrnhalle durch die Landespolizei niederschlagen.
Da [in der Tiroler Weinstube], hockte der schwere Mann mit seinem breiten, eigensinnig dumpfen Schädel, rings um ihn saßen auf gewohnten Plätzen Männer in festen Stellungen, mit festen Ansichten. [...] Er, Franz Flaucher, geboren als vierter Sohn des Konzipienten des Königlichen Notars in Landshut in Niederbayern, hatte wahrlich jeden Zoll seines Weges von der Wiege bis zum Ministersessel mit Schweiß und hinuntergewürgten Demütigungen bezahlen müssen. [...] Was wußte der Klenk davon, wie tief von innen her sich Franz Flaucher verpflichtet fühlte, die alten, wohlbegründeten Anschauungen und Gebräuche zu verteidigen gegen die modische Laxheit der genußgierigen Zeit. Krieg, Umsturz, der ständig sich intensivierende Verkehr hatten so viele Dämme eingerissen: er, Franz Flaucher, war dazu da, die letzten Sicherungen von den giftigen Strömungen der Zeit zu schützen. (Erfolg, S. 14)
Gustav von Kahr, Fotografie 1923 (c) Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv
Die Rivalität zwischen Justizminister Klenk und Kultusminister Flaucher äußert sich auch in ihrer Haltung zu Rupert Kutzner:
Hier war einer der prinzipiellen Gegensätze zwischen Klenk und Flaucher. Der Minister Flaucher begünstigte die Wahrhaft Deutschen. Der Minister Klenk benutzte die Bewegung, wo er sie brauchen konnte, fand aber, man müsse dem Kutzner, werde er seiner Neigung gemäß zu frech, ab und zu aufs Maul hauen. (Erfolg, S. 360)
Diese Haltungen drehen sich im Laufe der Handlung: Nachdem Klenk während schwerer Krankheit aus dem Amt gedrängt wurde, unterstützt er aus Rache die Wahrhaft Deutschen und Kutzner. Flaucher hingegen erkennt auch als Kontrapunkt zu Klenks Verhalten, wie Kutzner anfängt, sich zu sehr „aufzumandeln“ und wichtig zu machen. Als Kutzner einen Parteitag einberuft, spürt Flaucher seinen Tag gekommen, lässt Versammlungen unter freiem Himmel verbieten und setzt im Kabinett durch, dass der Ausnahmezustand in Bayern verhängt wird. Er wird zum Generalstaatskommissar ernannt.
Wenn Sie das Platzl über die Orlandostraße Richtung Süden verlassen, kommen Sie ins Tal. Wenden Sie sich auf der Verbindungsachse von Marienplatz und Isartor nach links und gehen Sie bis zur Hausnummer 38 auf der rechten Straßenseite.
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Das Platzl, der mittelalterliche Stadtkern mit seinen Weinstuben und Lokalen, zieht sowohl Touristen als auch das Münchner Publikum an. Besondere Bedeutung kam der neben dem Hofbräuhaus gelegenen Torggelstube zu, die sich bald als Treffpunkt von Münchner Künstlern und Studenten etablierte. In einem Reiseführer aus dem Jahr 1923 wird die Torggelstube als „Weinrestaurant mit weniger hohem Anspruch“ bezeichnet. Gleichzeitig nennt der Literat Erich Mühsam die Gesellschaften am Torggelstubentisch den „geistigen Mittelpunkt Münchens“. Zum Künstlerstammtisch gehörten neben Mühsam selbst auch Persönlichkeiten wie das Ehepaar Feuchtwanger, der Dichter Frank Wedekind und der Dramatiker Max Halbe. Marta Feuchtwanger erinnert sich an die Torggelstube:
Wenn man von der Torggelstube spricht, darf man nicht vergessen, die Kellnerinnen zu erwähnen. Diesen Beruf übten viele in den Gaststätten Münchens aus, aber die Kellnerinnen in der Torggelstube waren ein besonderer Schlag. [...] Die Mädchen spielten ihren Gästen auch kleine Streiche. An einem hohen jüdischen Feiertag – es war der große Fasttag – rief eine der Kellnerinnen durchs Lokal, der Herr Feuchtwanger möchte herauskommen. Draußen warte ein Herr auf ihn. Mindestens fünf Feuchtwanger stürzten verlegen heraus. Keiner hatte den anderen vorher gesehen. Alle aus der frommen Familie hatten das Fasten gebrochen. (Marta Feuchtwanger: Nur eine Frau. S. 102f.)
Im Roman von Lion Feuchtwanger stellt die Torggelstube als „Tiroler Weinstube“ einen Schlüsselort dar, an welchem sich die Figuren treffen und politisch, wirtschaftlich und kulturell austauschen.
Obwohl der schöne Sonntag viele an die Seen und in die Berge führte, war die Tiroler Weinstube an diesem Junivormittag dicht gefüllt. Man hatte alle Fenster der Sonne geöffnet, aber es blieb angenehm dämmerig in dem großen Raum. Dick lag der Rauch der Zigarren über den massiven Holztischen. Man aß kleine, knusperig gebratene Schweinswürste oder lutschte an dicken, safttriefenden Weißwürsten, während man kräftige Urteile über Dinge der Kunst, der Weltanschauung, der Politik äußerte. Es kamen am Sonntagvormittag vornehmlich Politiker in die Tiroler Weinstube. Sie saßen da im schwarzen Sonntagsrock, großspurig. Bayern war ein autonomer Staat. Bayerischer Politiker sein, das war etwas. (Erfolg, S. 66)
Dauergast in der Tiroler Weinstube ist beispielsweise Kultusminister Franz Flaucher. Die Figur ist an den bayerischen Politiker Gustav Ritter von Kahr angelehnt. Seit 1902 war dieser als Jurist im Bayerischen Staatsministerium des Inneren für die Themen Volkskunst und Denkmalpflege zuständig, wurde 1917 Regierungspräsident von Oberbayern und amtierte von 1920 bis 1921 als bayerischer Ministerpräsident. Gemeinsam mit anderen Größen der Münchner Gesellschaft gründete von Kahr im Jahr 1910 den Bayerischen Landesverein für Heimatpflege. Als rechtskonservativer Monarchist sympathisierte er zunächst mit Adolf Hitler und der NSDAP, beteiligte sich 1923 allerdings nicht an dem Putschversuch, sondern ließ den Marsch auf die Feldherrnhalle durch die Landespolizei niederschlagen.
Da [in der Tiroler Weinstube], hockte der schwere Mann mit seinem breiten, eigensinnig dumpfen Schädel, rings um ihn saßen auf gewohnten Plätzen Männer in festen Stellungen, mit festen Ansichten. [...] Er, Franz Flaucher, geboren als vierter Sohn des Konzipienten des Königlichen Notars in Landshut in Niederbayern, hatte wahrlich jeden Zoll seines Weges von der Wiege bis zum Ministersessel mit Schweiß und hinuntergewürgten Demütigungen bezahlen müssen. [...] Was wußte der Klenk davon, wie tief von innen her sich Franz Flaucher verpflichtet fühlte, die alten, wohlbegründeten Anschauungen und Gebräuche zu verteidigen gegen die modische Laxheit der genußgierigen Zeit. Krieg, Umsturz, der ständig sich intensivierende Verkehr hatten so viele Dämme eingerissen: er, Franz Flaucher, war dazu da, die letzten Sicherungen von den giftigen Strömungen der Zeit zu schützen. (Erfolg, S. 14)
Gustav von Kahr, Fotografie 1923 (c) Bayerische Staatsbibliothek / Bildarchiv
Die Rivalität zwischen Justizminister Klenk und Kultusminister Flaucher äußert sich auch in ihrer Haltung zu Rupert Kutzner:
Hier war einer der prinzipiellen Gegensätze zwischen Klenk und Flaucher. Der Minister Flaucher begünstigte die Wahrhaft Deutschen. Der Minister Klenk benutzte die Bewegung, wo er sie brauchen konnte, fand aber, man müsse dem Kutzner, werde er seiner Neigung gemäß zu frech, ab und zu aufs Maul hauen. (Erfolg, S. 360)
Diese Haltungen drehen sich im Laufe der Handlung: Nachdem Klenk während schwerer Krankheit aus dem Amt gedrängt wurde, unterstützt er aus Rache die Wahrhaft Deutschen und Kutzner. Flaucher hingegen erkennt auch als Kontrapunkt zu Klenks Verhalten, wie Kutzner anfängt, sich zu sehr „aufzumandeln“ und wichtig zu machen. Als Kutzner einen Parteitag einberuft, spürt Flaucher seinen Tag gekommen, lässt Versammlungen unter freiem Himmel verbieten und setzt im Kabinett durch, dass der Ausnahmezustand in Bayern verhängt wird. Er wird zum Generalstaatskommissar ernannt.
Wenn Sie das Platzl über die Orlandostraße Richtung Süden verlassen, kommen Sie ins Tal. Wenden Sie sich auf der Verbindungsachse von Marienplatz und Isartor nach links und gehen Sie bis zur Hausnummer 38 auf der rechten Straßenseite.
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