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Fotografie einer Zeichnung, Dezember 1959 (Bayerische Staatsbibliothek/Porträtsammlung)

Holzländestraße 6: Soziale Auf- und Abstiege

„Die Wildheit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt das Leben einer bäuerlichen Metropole führte“, so Hans Dieter Schäfer in seinem Aufsatz Britting und Regensburg (1991). Um 1900 entstehen Fabriken, Betriebe expandieren, die erste Straßenbahn geht 1904 ans Netz und ersetzt die Pferdekutschen, amerikanische Produkte erreichen nach und nach auch Regensburg. Diese Verwandlung der Stadt in eine kleinstädtische Metropole verschiebt die sozialen Verhältnisse, wie Schäfer weiter herausstellt: „Das Gespenst der Armut war – anders als heute – in einem kaum mehr vorstellbaren Ausmaß leibhaftige Gegenwart.“ Georg Britting beschreibt die Erfahrung von Entbehrung, wie er sie in seiner Kindheit kennen gelernt haben muss, in seiner Novelle Die Geschichte der Monika: „Es reichte nicht dahin und nicht dorthin, die Schuhe hatten durchwetzte Sohlen, Schmalhans war Küchenmeister.“ Senkgruben, Mäuse und Ungeziefer stellen ein großes gesundheitliches Risiko in einigen Teilen der Stadt dar. Damit einher geht eine hohe Säuglingssterblichkeit, der auch Brittings älterer Bruder zum Opfer fällt. Auch in seinen Erzählungen, die in Regensburg spielen, findet man immer wieder das Nebeneinander von Ländlichem und Modernem – etwa in Sturz in die Wolfsschlucht:

Aus dem Jakobstor heraus, uns entgegen, kam grünglänzend, ein Straßenbahnwagen. Ich sah ihn neugierig an, der Vater tat`s, auch der Knecht auf dem Bock. Es war erst ein paar Tage her, dass die alte kleine Stadt, dem Zuge der Zeit folgend, mehr fast aus Prahlerei als weil es notwendig gewesen wäre, sich dieses Verkehrsmittels bediente. […] Aber sahen wir Menschen schon mit Staunen und wohl auch mit unbewusster Furcht auf das neuartige Gefährt, das ohne Pferde, die es zogen, geheimnisvoll einherrasselte, mehr noch erschrak das bäuerische Tier, das vor uns an der Deichsel ging.

Regensburg um 1900

Die Familie Britting zieht zwar aus dem Altstadtgebiet in eine Gegend mit besseren Verhältnissen – dem Oberen Wöhrd –, doch als der Vater Georg Brittings seine Beamtenstelle verliert, muss die Familie ein weiteres Mal den Wohnort wechseln. Zunächst nimmt sie Quartier im Haus Nummer 6 im dunklen Hackengäßchen, wieder in der engen Altstadt. Der Vater versucht weiterhin, sich als Beamter auszugeben, bis das Vermessungsamt eine Anzeige in der Zeitung schaltet, „dass der […] als Katasterzeichner beschäftigte Georg Britting […] seit 1. März l[etzten] J[ahres] nicht mehr als solcher in Verwendung ist“. In der Folge wird Georg Brittings Vater mehrmals wegen Urkundenfälschung verurteilt und inhaftiert. Zu diesem Zeitpunkt ist Georg Britting sechs Jahre alt. Bald darauf zieht die Familie in die Holzländestraße 6. Das Umfeld, so Hans Dieter Schäfer in seinem Aufsatz Britting und Regensburg, das in der neuen Nachbarschaft lebt „entsprach dem neuen Beruf; im Haus lebten u.a. Bahn- und Kohlenarbeiter, Maurer-, Schreiner- und Schneidergehilfen, Kalkbrenner und Tagelöhner.“ Die Mutter versucht die Situation mit einem Produktenhandel zu verbessern, wird aber wegen Essigverdünnung verwarnt.

Britting spricht, wie seine Freunde und seine Frau später berichten, kaum über seine Eltern. Wenn er gelegentlich von seiner Mutter erzählt, so ist es freundlich, aber nichts Nennenswertes. Auch in seinen Erzählungen taucht die Mutter, im Gegensatz zu ihrem Vater – den von Britting bewunderten Großvater – nur selten und wenn, dann als Randfigur auf. Brittings Jugendfreund Hans Soelch erinnert sich später an dessen Eltern: Der Vater sei ein nüchterner Herr gewesen, die Liebe zum Theater habe der Dichter wohl von seiner Mutter geerbt, die für die Künste aufgeschlossen und fast jeden Abend im Theater gewesen sei.

Eine Vaterfigur taucht wiederholt in Brittings Werken auf, mit unterschiedlichen Charaktereigenschaften. Der Vater in Die lästerliche Tat ist ein freundlicher Vater, der es gerne hat, wenn sein Sohn ihn an den Fluss zum Angeln begleitet. „Vater und Sohn teilen Erfolg und Misserfolg, stolz trägt der Knabe die Beute heim“, wie Albrecht Weber ausführt. Auch in Brittings Geschichte Sturz in die Wolfsschlucht taucht eine fürsorgliche Vaterfigur auf. Von Brittings Vater ist bekannt, dass er eine Gefängnisstrafe absitzen musste. Was das Gefängnis für Britting bedeutet, erahnt man in Die lästerliche Tat:

Vielleicht wären wir sogar ins Gefängnis gekommen, vielleicht sogar ins Zuchthaus, Gotteslästerung murmelten wir mit bleichen Lippen. […] Nun war alles aus. Sofortige Entfernung von der Schule, Schande, Gefängnis, Schmach ohne Maßen, es war entsetzlich!

 


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Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Anna Keil

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