Haidplatz: Schulmeister, Tod, hab Dank!
Es ist bekannt, dass Georg Britting die 4. Klasse der Königlichen Kreisrealschule „des gewerblichen und kleinen Bürgertums“ am Regensburger Haidplatz wiederholen musste. In einem Brief an den Schriftsteller Paul Alverdes berichtet er später, dass sein Zeugnis so viele Vierer wie kein anderes gehabt hätte, „und damals war der Vierer der heutige Sechser“.
Der Haidplatz Anfang des 19. Jahrhunderts, am rechten Rand das Thon-Dittmer-Palais
Es waren bittere Gedanken, die mich plagten, und die mit der Schule und ihrem Pflichtenkreise zusammenhingen – womit denn sonst bei einem Vierzehnjährigen? Morgen war eine Schularbeit zu leisten, in der Geometrie, und das war ein mir verhasstes Fach, in dessen Geheimnisse ich noch nie so recht eingedrungen war, ich im Leben nicht eindringen würde, wo es Fallen gab, in deren jede ich stürzte, und Irrwege, die ich hoffnungslos ging und nie einen Ausweg fand, und wenn ich mir nur vorstellte, wie das sein würde, morgen, wenn der Lehrer hereinkam und die leeren, weißen Blätter verteilte, die mit Linien und Zahlen zu füllen waren, so lief mir ein kalter Schauder über den Rücken.
Diese Schilderung Brittings in seiner Erzählung Der Sturz in die Waldschlucht gibt einen Eindruck von dem, was der Schriftsteller von der Schule hielt. Auch Sprachen lernen, so sagte er selbst von sich, war nicht das Seine. Obwohl Britting, wie sich sein Schulfreund Hans Soelch später erinnert, im Fach Deutsch immer der Beste gewesen sei; er habe „seinen Lehrer aber mitunter durch die liberalen Ansichten, die er in seine Aufsätze einfließen ließ, so irritiert, dass er schlechtere Noten bekam, als er verdiente.“ Aber Lesen, das habe er schon immer geliebt, sagte er von sich: daraus habe er seine Bildung bezogen. Beim gemeinsamen Stammtisch, erinnert sich Brittings Freund Curt Hohoff in seinem Buch Unter den Fischen. Erinnerungen an Männer, Mädchen und Bücher, erzählte Britting über seine Schullaufbahn:
Ich habe dreimal die Schule gewechselt. Es hat nie richtig geklappt. Erst humanistisch, dann realistisch. […] Ich hatte miserable Noten und brachte meinen Vater zur Verzweiflung. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie man mit uns umging. Wenn wir im Religionsunterricht mit Haeckels Welträtseln kamen, sagte unser Religionslehrer: Lasst sie reden, die modernen Schwätzer!
Der Haidplatz heute (Foto: Frank Piontek)
Britting las schon als Gymnasiast Nietzsche, Schopenhauer und auch Stifter. Curt Hohoff berichtet: Britting „liebte an Nietzsche die Freigeisterei, den Widerspruch gegen das Christentum“. Goethes Faust kennt Britting bereits als Jugendlicher auswendig – weil er das Drama statt seines Gebetsbuches in der Messe liest. Den Lyrik-Sammelband Die Ernte aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik – gesammelt von Will Vesper, geschmückt von Käte Waentig, der 1906 herausgegeben wird, kauft sich Britting in Regensburg und ist „wie betrunken davon“. In einem Brief an seinen Freund Dietrich Bode erklärt er: „Nietzsche faszinierte mich schon früh, Dehmel und Liliencron waren die Lyriker meiner Jugend“. So verwundert es nicht, dass Britting so bald wie möglich, nämlich nach der sechsten Klasse, aus der Königlichen Kreis-Oberrealschule als Achtzehnjähriger austritt.
Der Tod als Schulmeister
Wie siehst du aus? Erbärmliches Skelett!
Hohlauge, du! Stets frierendes Gebein!
Den schwarzen Mantel ziehst du hoch, als tät
Ein Wind dir weh. Drauß ist doch Sonnenschein!
Und jeden rufst du auf! Von A bis Zet
Gehst deine Liste: Ein Schulmeisterlein,
Das nach dem Unterricht und Schlußgebet
Die Buben zählt! Genau! Ordnung muss sein!
Geschwind hebt sich ein jeder von der Bank,
Der seinen Namen hört, verbeugt sich still
Und geht vergnügt davon. Wohin? Nach Haus!
Und sagt: Nun ist die Schule endlich aus!
Kann Bücher lesen, wie mein Herz sie will,
Die goldenen! Schulmeister, Tod, hab Dank!
Es ist bekannt, dass Georg Britting die 4. Klasse der Königlichen Kreisrealschule „des gewerblichen und kleinen Bürgertums“ am Regensburger Haidplatz wiederholen musste. In einem Brief an den Schriftsteller Paul Alverdes berichtet er später, dass sein Zeugnis so viele Vierer wie kein anderes gehabt hätte, „und damals war der Vierer der heutige Sechser“.
Der Haidplatz Anfang des 19. Jahrhunderts, am rechten Rand das Thon-Dittmer-Palais
Es waren bittere Gedanken, die mich plagten, und die mit der Schule und ihrem Pflichtenkreise zusammenhingen – womit denn sonst bei einem Vierzehnjährigen? Morgen war eine Schularbeit zu leisten, in der Geometrie, und das war ein mir verhasstes Fach, in dessen Geheimnisse ich noch nie so recht eingedrungen war, ich im Leben nicht eindringen würde, wo es Fallen gab, in deren jede ich stürzte, und Irrwege, die ich hoffnungslos ging und nie einen Ausweg fand, und wenn ich mir nur vorstellte, wie das sein würde, morgen, wenn der Lehrer hereinkam und die leeren, weißen Blätter verteilte, die mit Linien und Zahlen zu füllen waren, so lief mir ein kalter Schauder über den Rücken.
Diese Schilderung Brittings in seiner Erzählung Der Sturz in die Waldschlucht gibt einen Eindruck von dem, was der Schriftsteller von der Schule hielt. Auch Sprachen lernen, so sagte er selbst von sich, war nicht das Seine. Obwohl Britting, wie sich sein Schulfreund Hans Soelch später erinnert, im Fach Deutsch immer der Beste gewesen sei; er habe „seinen Lehrer aber mitunter durch die liberalen Ansichten, die er in seine Aufsätze einfließen ließ, so irritiert, dass er schlechtere Noten bekam, als er verdiente.“ Aber Lesen, das habe er schon immer geliebt, sagte er von sich: daraus habe er seine Bildung bezogen. Beim gemeinsamen Stammtisch, erinnert sich Brittings Freund Curt Hohoff in seinem Buch Unter den Fischen. Erinnerungen an Männer, Mädchen und Bücher, erzählte Britting über seine Schullaufbahn:
Ich habe dreimal die Schule gewechselt. Es hat nie richtig geklappt. Erst humanistisch, dann realistisch. […] Ich hatte miserable Noten und brachte meinen Vater zur Verzweiflung. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie man mit uns umging. Wenn wir im Religionsunterricht mit Haeckels Welträtseln kamen, sagte unser Religionslehrer: Lasst sie reden, die modernen Schwätzer!
Der Haidplatz heute (Foto: Frank Piontek)
Britting las schon als Gymnasiast Nietzsche, Schopenhauer und auch Stifter. Curt Hohoff berichtet: Britting „liebte an Nietzsche die Freigeisterei, den Widerspruch gegen das Christentum“. Goethes Faust kennt Britting bereits als Jugendlicher auswendig – weil er das Drama statt seines Gebetsbuches in der Messe liest. Den Lyrik-Sammelband Die Ernte aus acht Jahrhunderten deutscher Lyrik – gesammelt von Will Vesper, geschmückt von Käte Waentig, der 1906 herausgegeben wird, kauft sich Britting in Regensburg und ist „wie betrunken davon“. In einem Brief an seinen Freund Dietrich Bode erklärt er: „Nietzsche faszinierte mich schon früh, Dehmel und Liliencron waren die Lyriker meiner Jugend“. So verwundert es nicht, dass Britting so bald wie möglich, nämlich nach der sechsten Klasse, aus der Königlichen Kreis-Oberrealschule als Achtzehnjähriger austritt.
Der Tod als Schulmeister
Wie siehst du aus? Erbärmliches Skelett!
Hohlauge, du! Stets frierendes Gebein!
Den schwarzen Mantel ziehst du hoch, als tät
Ein Wind dir weh. Drauß ist doch Sonnenschein!
Und jeden rufst du auf! Von A bis Zet
Gehst deine Liste: Ein Schulmeisterlein,
Das nach dem Unterricht und Schlußgebet
Die Buben zählt! Genau! Ordnung muss sein!
Geschwind hebt sich ein jeder von der Bank,
Der seinen Namen hört, verbeugt sich still
Und geht vergnügt davon. Wohin? Nach Haus!
Und sagt: Nun ist die Schule endlich aus!
Kann Bücher lesen, wie mein Herz sie will,
Die goldenen! Schulmeister, Tod, hab Dank!