Sankt-Anna-Platz 10: Brittings eheliche Wohnung
Ein Jahr nachdem die Stadt München die zwei Häuser, Nr. 2 und Nr. 10, am Sankt Anna Platz nach Bombenangriffen renoviert und obdachlosen Künstlern zur Verfügung gestellt hat, erscheint im Münchener Merkur ein Feuilleton über die „Kleine große Welt am Sankt-Anna-Platz – Viele berühmte Leute in zwei Neubauten“. Während im Haus Nummer 2 die renommierten Künstler leben, bekommen das Ehepaar Britting im Haus 10 eine Wohnung.
„Jetzt ist es so weit, seit drei Tagen sitze ich in meiner neuen Wohnung, der ersten eigenen Wohnung meines Lebens“. Diese Zeilen schreibt Georg Britting am 26. Juli 1951 in einem Brief an seinen langjährigen Freund und Briefpartner Georg Jung. Ingeborg Britting zieht am 15. Juni 1951 aus der Possartstraße in die neue gemeinsame Wohnung und bereitet alles für den Einzug Brittings vor, der einige Wochen später folgt, da er noch zu Dichterlesungen reisen muss. 1500 Mark hat Britting auf die Seite gelegt, um den Umzug und die Einrichtung für sie beide finanzieren zu können. Als nach fünfjähriger Ehe das Paar Britting nun am Sankt-Anna-Platz lebt, richtet sich das gemeinsame Leben nach dem Arbeitsrhythmus des Dichters: Morgens bekommt Georg Britting das Frühstück auf dem Tablett serviert, er erledigt währenddessen seine Korrespondenz. Während seine Frau den Haushalt besorgt, arbeitet er oder macht Einkäufe in den benachbarten Läden. Nach dem Essen und einem Mittagsschlaf darf beim Nachmittagskaffee geplaudert werden, anschließend arbeitet Britting weiter. Zum Abendessen trifft man meist Freunde im Wirtshaus.
Folgt man den detaillierten Erinnerungen der Ehefrau Ingeborg Schuldt-Britting in ihrem Buch Sankt-Anna-Platz 10 – Erinnerungen an Georg Britting und seinen Münchner Freundeskreis, so zeichnet sich trotz der schwierigen Nachkriegsverhältnisse und des allgegenwärtigen Mangels ein idyllisches Bild Münchener Kulturlebens, an dem Britting rege Teil nimmt. Vor dem Haus Nummer 10 am Sankt-Anna-Platz befindet sich die Sankt-Anna Kirche, eine im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte und wieder aufgebaute Rokokokirche, deren Rosette von Brittings Wohnung aus gut sichtbar ist. Davor liegt ein ruhiger Platz mit Bäumen, dem Stadtbach und mit Kinderlärm, der von der naheliegenden Schule herrührt. In seinem Gedicht „Dorfkirche“ von 1953 finden sich Anklänge der dörflichen Idylle am Anna-Platz bei der Kirche, die Britting vor seinem Fenster hat. Zu dieser Zeit lebt Britting schon zwei Jahre zusammen mit seiner Frau am Sankt-Anna-Platz 10, und sein Gedicht deckt sich mit den Impressionen, die seine Frau und er selbst in Briefen über die Beschaulichkeit ihres neuen Zuhauses schildern.
Der Grünspan ätzt die Eisentür
Und Gras wächst auf der Treppe,
Und wildes Kraut. Die Lederhaut,
Die sich im Atemtakt verschiebt,
Erwärmt sich still die Echse.
[...]
Das grüne Gras zerbricht den Stein:
So mächtig ist der zarte Halm,
Und zittert doch im Winde!
Vorm Pfarrhaus steht die Linde
In junger Pracht.
Der schwarze Pfarrer tritt heraus,
Er lacht und gibt
Die Segenshand dem Kinde.
In dem Brief an Jung schreibt Britting weiter: „Vor meinem Fenster ist die Rückseite der Annakirche, und eine Pappel, es ist ein Platz wie in einer Kleinstadt, völlig ruhig, kein Auto fährt vorbei [...]. Sonntags höre ich verwehtes Orgelspiel wenn ein Gläubiger die Kirche während des Gottesdienstes verlässt.“
Der Eingang des Hauses besteht zu dieser Zeit aus einem Torbogen mit hölzernen Türen, ein kahler Hausflur führt zu dem kleinen Hof vor dem Haus. Im Vorderhaus befindet sich die Wohnung der Eheleute Britting. Die Wohnung, die sie bewohnen, ist 70 Quadratmeter groß. Die Räume werden mit Kohleöfen warm gehalten, die Küche ist mit einem Gasherd ausgestattet, und im Badezimmer sorgt ein kleiner Holzofen für Wärme. Warmes Wasser zum Waschen muss zuvor am Herd erwärmt werden. „Aus dem einst gutbürgerlichen Haus [...] wurde ein vierstöckiger sozialer Wohnungsbau, der von außen nicht schlichter und im Inneren nicht einfacher hätte sein können. Aber sechs Jahre nach Kriegsende war man mit seinen Wohnungsansprüchen bescheiden“, erzählt die Witwe Brittings. Im Winter frieren ihnen sogar die Wasserleitungen ein, die Fenster sind schlecht verglast und die Verhältnisse veranlassen das Ehepaar Britting dazu, nur die beiden Privatzimmer zu heizen; Küche, Bad und Flur bleiben bei ihnen auch im Winter kalt. Britting bemerkt in einem Brief an Alex Wetzlar dazu nur lakonisch: „leider sieht es mit Kohlen ganz schlecht aus bei uns, vielleicht müssen wir ein wenig frieren, aber wir haben ja schon schlimmeres mitgemacht.“
Ingeborg Britting erinnert sich in ihrem Buch an die Einrichtung des Zimmers ihres Mannes:
Ich hatte versucht, bei der Einrichtung von Brittings Zimmer – es war ein asymmetrischer Raum, etwa 30 qm groß mit zwei Fenstern – eine ähnliche Teilung herzustellen, wie er sie von der Holbeinstraße her gewohnt war. Britting hatte dem Freiherrn von Stengel, seinem ehemaligen Vermieter, einige Möbel abgekauft, darunter einen grünen dreitürigen Schrank. Dieser [...] teilte das Mansardenzimmer in zwei ungleich große Hälften: in der vorderen und größeren standen Schreibtisch, Bücherregal, Sessel, eine gepolsterte Sitzbank und ein kleiner Kacheltisch; im hinteren Teil waren sein Bett, eine Kommode mit Waschschüssel und Krug (darauf hatte er trotz des Bades nicht verzichten wollen), ein Nachtkasten und ein Wäscheschrank. Im stumpfen Winkel des Zimmers stand der niedrige Kachelofen, den mit Buchenscheiten zu füttern für Britting ein besonderes Vergnügen war.
Dieses Zimmer ist auch Brittings Arbeitszimmer, in welchem sein späteres Werk entsteht. Seine Arbeitszeiten sind planvoll auf den Vormittag und den Nachmittag verteilt, allerdings unterbrochen von regelmäßigen Ritualen. Dazu gehören nicht nur das ausgiebige Putzen seiner Brille, sondern auch das Rauchen am Fenster, mit Blick auf die St. Anna Kirche und den davor liegenden Platz mit den spielenden Kindern. Diesen Anblick verewigt Britting in seinem Gedicht „Auf dem Sankt-Anna-Platz“:
Regen fällt. Schon sind die Kinder fort!
Nur die Tropfen springen auf den Steinen.
Kaum verstummt ihr nasses Wort,
Stürmt es her mit nackten Beinen.
Und so gehts im Wechsel hin und her.
Schaffts der Himmel, kurz sich zu erhellen,
Wirft die schwarze Wolke einen schnellen
Sommerregen, fegt den Kirchplatz leer.
Lange sind die Kleinen nicht betrogen.
Farbig glänzt der Platz, die Stadt, die Welt!
Schöne Zeit verspricht der Regenbogen:
Glaubens gern, die Kinder, daß ers hält!
Ein Jahr nachdem die Stadt München die zwei Häuser, Nr. 2 und Nr. 10, am Sankt Anna Platz nach Bombenangriffen renoviert und obdachlosen Künstlern zur Verfügung gestellt hat, erscheint im Münchener Merkur ein Feuilleton über die „Kleine große Welt am Sankt-Anna-Platz – Viele berühmte Leute in zwei Neubauten“. Während im Haus Nummer 2 die renommierten Künstler leben, bekommen das Ehepaar Britting im Haus 10 eine Wohnung.
„Jetzt ist es so weit, seit drei Tagen sitze ich in meiner neuen Wohnung, der ersten eigenen Wohnung meines Lebens“. Diese Zeilen schreibt Georg Britting am 26. Juli 1951 in einem Brief an seinen langjährigen Freund und Briefpartner Georg Jung. Ingeborg Britting zieht am 15. Juni 1951 aus der Possartstraße in die neue gemeinsame Wohnung und bereitet alles für den Einzug Brittings vor, der einige Wochen später folgt, da er noch zu Dichterlesungen reisen muss. 1500 Mark hat Britting auf die Seite gelegt, um den Umzug und die Einrichtung für sie beide finanzieren zu können. Als nach fünfjähriger Ehe das Paar Britting nun am Sankt-Anna-Platz lebt, richtet sich das gemeinsame Leben nach dem Arbeitsrhythmus des Dichters: Morgens bekommt Georg Britting das Frühstück auf dem Tablett serviert, er erledigt währenddessen seine Korrespondenz. Während seine Frau den Haushalt besorgt, arbeitet er oder macht Einkäufe in den benachbarten Läden. Nach dem Essen und einem Mittagsschlaf darf beim Nachmittagskaffee geplaudert werden, anschließend arbeitet Britting weiter. Zum Abendessen trifft man meist Freunde im Wirtshaus.
Folgt man den detaillierten Erinnerungen der Ehefrau Ingeborg Schuldt-Britting in ihrem Buch Sankt-Anna-Platz 10 – Erinnerungen an Georg Britting und seinen Münchner Freundeskreis, so zeichnet sich trotz der schwierigen Nachkriegsverhältnisse und des allgegenwärtigen Mangels ein idyllisches Bild Münchener Kulturlebens, an dem Britting rege Teil nimmt. Vor dem Haus Nummer 10 am Sankt-Anna-Platz befindet sich die Sankt-Anna Kirche, eine im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte und wieder aufgebaute Rokokokirche, deren Rosette von Brittings Wohnung aus gut sichtbar ist. Davor liegt ein ruhiger Platz mit Bäumen, dem Stadtbach und mit Kinderlärm, der von der naheliegenden Schule herrührt. In seinem Gedicht „Dorfkirche“ von 1953 finden sich Anklänge der dörflichen Idylle am Anna-Platz bei der Kirche, die Britting vor seinem Fenster hat. Zu dieser Zeit lebt Britting schon zwei Jahre zusammen mit seiner Frau am Sankt-Anna-Platz 10, und sein Gedicht deckt sich mit den Impressionen, die seine Frau und er selbst in Briefen über die Beschaulichkeit ihres neuen Zuhauses schildern.
Der Grünspan ätzt die Eisentür
Und Gras wächst auf der Treppe,
Und wildes Kraut. Die Lederhaut,
Die sich im Atemtakt verschiebt,
Erwärmt sich still die Echse.
[...]
Das grüne Gras zerbricht den Stein:
So mächtig ist der zarte Halm,
Und zittert doch im Winde!
Vorm Pfarrhaus steht die Linde
In junger Pracht.
Der schwarze Pfarrer tritt heraus,
Er lacht und gibt
Die Segenshand dem Kinde.
In dem Brief an Jung schreibt Britting weiter: „Vor meinem Fenster ist die Rückseite der Annakirche, und eine Pappel, es ist ein Platz wie in einer Kleinstadt, völlig ruhig, kein Auto fährt vorbei [...]. Sonntags höre ich verwehtes Orgelspiel wenn ein Gläubiger die Kirche während des Gottesdienstes verlässt.“
Der Eingang des Hauses besteht zu dieser Zeit aus einem Torbogen mit hölzernen Türen, ein kahler Hausflur führt zu dem kleinen Hof vor dem Haus. Im Vorderhaus befindet sich die Wohnung der Eheleute Britting. Die Wohnung, die sie bewohnen, ist 70 Quadratmeter groß. Die Räume werden mit Kohleöfen warm gehalten, die Küche ist mit einem Gasherd ausgestattet, und im Badezimmer sorgt ein kleiner Holzofen für Wärme. Warmes Wasser zum Waschen muss zuvor am Herd erwärmt werden. „Aus dem einst gutbürgerlichen Haus [...] wurde ein vierstöckiger sozialer Wohnungsbau, der von außen nicht schlichter und im Inneren nicht einfacher hätte sein können. Aber sechs Jahre nach Kriegsende war man mit seinen Wohnungsansprüchen bescheiden“, erzählt die Witwe Brittings. Im Winter frieren ihnen sogar die Wasserleitungen ein, die Fenster sind schlecht verglast und die Verhältnisse veranlassen das Ehepaar Britting dazu, nur die beiden Privatzimmer zu heizen; Küche, Bad und Flur bleiben bei ihnen auch im Winter kalt. Britting bemerkt in einem Brief an Alex Wetzlar dazu nur lakonisch: „leider sieht es mit Kohlen ganz schlecht aus bei uns, vielleicht müssen wir ein wenig frieren, aber wir haben ja schon schlimmeres mitgemacht.“
Ingeborg Britting erinnert sich in ihrem Buch an die Einrichtung des Zimmers ihres Mannes:
Ich hatte versucht, bei der Einrichtung von Brittings Zimmer – es war ein asymmetrischer Raum, etwa 30 qm groß mit zwei Fenstern – eine ähnliche Teilung herzustellen, wie er sie von der Holbeinstraße her gewohnt war. Britting hatte dem Freiherrn von Stengel, seinem ehemaligen Vermieter, einige Möbel abgekauft, darunter einen grünen dreitürigen Schrank. Dieser [...] teilte das Mansardenzimmer in zwei ungleich große Hälften: in der vorderen und größeren standen Schreibtisch, Bücherregal, Sessel, eine gepolsterte Sitzbank und ein kleiner Kacheltisch; im hinteren Teil waren sein Bett, eine Kommode mit Waschschüssel und Krug (darauf hatte er trotz des Bades nicht verzichten wollen), ein Nachtkasten und ein Wäscheschrank. Im stumpfen Winkel des Zimmers stand der niedrige Kachelofen, den mit Buchenscheiten zu füttern für Britting ein besonderes Vergnügen war.
Dieses Zimmer ist auch Brittings Arbeitszimmer, in welchem sein späteres Werk entsteht. Seine Arbeitszeiten sind planvoll auf den Vormittag und den Nachmittag verteilt, allerdings unterbrochen von regelmäßigen Ritualen. Dazu gehören nicht nur das ausgiebige Putzen seiner Brille, sondern auch das Rauchen am Fenster, mit Blick auf die St. Anna Kirche und den davor liegenden Platz mit den spielenden Kindern. Diesen Anblick verewigt Britting in seinem Gedicht „Auf dem Sankt-Anna-Platz“:
Regen fällt. Schon sind die Kinder fort!
Nur die Tropfen springen auf den Steinen.
Kaum verstummt ihr nasses Wort,
Stürmt es her mit nackten Beinen.
Und so gehts im Wechsel hin und her.
Schaffts der Himmel, kurz sich zu erhellen,
Wirft die schwarze Wolke einen schnellen
Sommerregen, fegt den Kirchplatz leer.
Lange sind die Kleinen nicht betrogen.
Farbig glänzt der Platz, die Stadt, die Welt!
Schöne Zeit verspricht der Regenbogen:
Glaubens gern, die Kinder, daß ers hält!