Altes Rathaus: „Pioniere in Ingolstadt“
Im Mai 1926, kurz nach der Uraufführung von Fegefeuer in Ingolstadt, erfindet Bertolt Brecht in seinen Briefen an Marieluise Fleißer einen weiteren Namen für die Schriftstellerin aus Ingolstadt: „die fleißerin“. Sommer und Herbst 1926 verbringt der junge Dramatiker in seiner Vaterstadt Augsburg; Marieluise Fleißer besucht ihn dort (wie oft, ist unklar) und schwärmt davon später als ihrer „schönsten Zeit mit Brecht“. Als er einmal eine Verabredung vergisst, entschuldigt er sich mit seinem typischen Charme: „in meiner verbrecherlaufbahn ist das stückchen, daß ich Ihren besuch in augsburg vergaß, ein glanzpunkt.“ Im PS findet sich der erste Hinweis auf Marieluise Fleißers nächstes Stück: Brecht fragt „was ist mit dem lustspiel?“ Wohl während eines Augsburger Treffens hat Fleißer ihm erzählt, dass sich in Ingolstadt Pioniere aufhalten, die eine Brücke bauen. In Brechts Augen: die ideale dramatische Szenerie, um an den Erfolg von Fegefeuer anzuknüpfen.
Manuskriptseiten des Stücks Pioniere in Ingolstadt, aufgenommen im Fleißerarchiv in Ingolstadt
Pioniere in Ingolstadt wird im März 1928 in Dresden uraufgeführt. Bertolt Brecht nimmt sich des Stücks ein Jahr später an, per Telegramm kommandiert er Marieluise Fleißer nach Berlin. Parallel zu den Proben arbeitet sie am Text, streicht, kürzt, ergänzt, dichtet neu und um. Der Generalprobe wohnt sie aus Erschöpfung nicht bei – und während dieser geschieht es wohl, dass Brecht (der nicht offiziell Regie führt, aber bestimmend eingreift) mehrere Szenen deutlich verschärft. „Ein vorbereiteter Theaterskandal mit politischem Hintergrund“, urteilt Fleißer in Meine Biographie. Die konservative und nationalistische Presse ist entsetzt über die sexuelle Deutlichkeit der Inszenierung und die angebliche Verhöhnung des Militärs. Ein „Dreckdrama“ sei das, schreibt einer, und Marieluise Fleißer eine „schlimmere Josephine Baker der weißen Rasse“; ein andere erkennt in der Autorin ein „alles zersetzendes Frauengemüt“. Zuhause in Ingolstadt kennt man zwar weder die Aufführung noch den Text des Dramas – doch der Aufschrei ist laut, nicht zuletzt wegen der der Differenzen zwischen Berlin und Bayern; Pioniere in Ingolstadt erscheint als eine weitere Demütigung und Verunglimpfung unter vielen. Im April verfasst der Ingolstädter Bürgermeister ein Protestschreiben an den Deutschen Städtetag, in dem er Fleißers Stück als „gemeines Machwerk“ und „Schmähstück“ bezeichnet. Die Schriftstellerin klagt dagegen und wendet sich auch an Berufsverbände mit der Bitte um Unterstützung gegen dererlei Diffamierung. Den Prozess gegen den Ingolstädter Bürgermeister gewinnt sie zwar; den Ruf als Vaterstadtverräterin aber wird sie nicht mehr los.
Das Alte Rathaus in Ingolstadt, zu Lebzeiten Fleißers der Sitz des Bürgermeisters
Zu Brecht und dessen Inszenierung steht Marieluise Fleißer dennoch, auch wenn sie den Dichter mit den Jahren immer hässlicher skizziert. Noch im Sommer 1929 trennen sich beider Wege, wohl vor allem, weil ein neuer Mann in ihr Leben tritt, der politisch das gerade Gegenteil zu Brecht und dessen Kreis darstellt. Im Mai und Juni 1929 reist Fleißer mit dem nationalkonservativen Journalisten Hellmut Draws-Tychsen durch Schweden – die beiden kehren als Verlobte zurück.
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Im Mai 1926, kurz nach der Uraufführung von Fegefeuer in Ingolstadt, erfindet Bertolt Brecht in seinen Briefen an Marieluise Fleißer einen weiteren Namen für die Schriftstellerin aus Ingolstadt: „die fleißerin“. Sommer und Herbst 1926 verbringt der junge Dramatiker in seiner Vaterstadt Augsburg; Marieluise Fleißer besucht ihn dort (wie oft, ist unklar) und schwärmt davon später als ihrer „schönsten Zeit mit Brecht“. Als er einmal eine Verabredung vergisst, entschuldigt er sich mit seinem typischen Charme: „in meiner verbrecherlaufbahn ist das stückchen, daß ich Ihren besuch in augsburg vergaß, ein glanzpunkt.“ Im PS findet sich der erste Hinweis auf Marieluise Fleißers nächstes Stück: Brecht fragt „was ist mit dem lustspiel?“ Wohl während eines Augsburger Treffens hat Fleißer ihm erzählt, dass sich in Ingolstadt Pioniere aufhalten, die eine Brücke bauen. In Brechts Augen: die ideale dramatische Szenerie, um an den Erfolg von Fegefeuer anzuknüpfen.
Manuskriptseiten des Stücks Pioniere in Ingolstadt, aufgenommen im Fleißerarchiv in Ingolstadt
Pioniere in Ingolstadt wird im März 1928 in Dresden uraufgeführt. Bertolt Brecht nimmt sich des Stücks ein Jahr später an, per Telegramm kommandiert er Marieluise Fleißer nach Berlin. Parallel zu den Proben arbeitet sie am Text, streicht, kürzt, ergänzt, dichtet neu und um. Der Generalprobe wohnt sie aus Erschöpfung nicht bei – und während dieser geschieht es wohl, dass Brecht (der nicht offiziell Regie führt, aber bestimmend eingreift) mehrere Szenen deutlich verschärft. „Ein vorbereiteter Theaterskandal mit politischem Hintergrund“, urteilt Fleißer in Meine Biographie. Die konservative und nationalistische Presse ist entsetzt über die sexuelle Deutlichkeit der Inszenierung und die angebliche Verhöhnung des Militärs. Ein „Dreckdrama“ sei das, schreibt einer, und Marieluise Fleißer eine „schlimmere Josephine Baker der weißen Rasse“; ein andere erkennt in der Autorin ein „alles zersetzendes Frauengemüt“. Zuhause in Ingolstadt kennt man zwar weder die Aufführung noch den Text des Dramas – doch der Aufschrei ist laut, nicht zuletzt wegen der der Differenzen zwischen Berlin und Bayern; Pioniere in Ingolstadt erscheint als eine weitere Demütigung und Verunglimpfung unter vielen. Im April verfasst der Ingolstädter Bürgermeister ein Protestschreiben an den Deutschen Städtetag, in dem er Fleißers Stück als „gemeines Machwerk“ und „Schmähstück“ bezeichnet. Die Schriftstellerin klagt dagegen und wendet sich auch an Berufsverbände mit der Bitte um Unterstützung gegen dererlei Diffamierung. Den Prozess gegen den Ingolstädter Bürgermeister gewinnt sie zwar; den Ruf als Vaterstadtverräterin aber wird sie nicht mehr los.
Das Alte Rathaus in Ingolstadt, zu Lebzeiten Fleißers der Sitz des Bürgermeisters
Zu Brecht und dessen Inszenierung steht Marieluise Fleißer dennoch, auch wenn sie den Dichter mit den Jahren immer hässlicher skizziert. Noch im Sommer 1929 trennen sich beider Wege, wohl vor allem, weil ein neuer Mann in ihr Leben tritt, der politisch das gerade Gegenteil zu Brecht und dessen Kreis darstellt. Im Mai und Juni 1929 reist Fleißer mit dem nationalkonservativen Journalisten Hellmut Draws-Tychsen durch Schweden – die beiden kehren als Verlobte zurück.
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