Kupferstraße 18: Das Elternhaus
Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich der Handwerker Peter Fleißer in Ingolstadt nieder und eröffnet dort eine Schmiede mit Eisenwarenladen. Da die Stadt an der Donau seit 1539 Festungsstadt ist und eben erst die Königlich Bayerische Hauptlandesfestung errichtet wurde, erweist sich das Geschäft mit Waffen und Werkzeugen als einträglich und zukunftsträchtig. Die Familie Fleißer bringt es zu Wohlstand und Ansehen. Peter Fleißer vererbt den Betrieb an seinen Sohn Andreas, auf den dessen Sohn Heinrich (*22.5.1868) folgt.
Die Familie Fleißer vor der Eisenwarenhandlung, ganz rechts Tochter Luis (ca. 1910)
Ende der 1890er Jahren heiratet Heinrich Fleißer, 1899 bringt seine Frau Anna Maria (*1.4.1874) Zwillinge zur Welt: Anna Theresa, genannt Anny, und Heinrich. Anny geht 1922 als Lehrerin und Ordensschwester nach Afrika – ihr Bruder Henrich hingegen stirbt bereits im Alter von zwei Jahren. Dieser Tod begründet, glaubt man deren autobiografischen Aufzeichnungen, die Existenz der Marieluise Fleißer:
Die Mutter kann sich vor Schmerz über seinen Tod nicht fassen. Der Vater tröstet sie: „Sei still, ich mache Dir wieder einen Buben.“ Das wird dann die Fleißer.
Getauft wird das Mädchen auf den Namen Luise Marie; die Familie nennt es, auch schriftlich, ein Leben lang „Luis“. In Meine Biographie zählt Marieluise Fleißer vier weitere, jüngere Geschwister auf: Henriette (*1903), Heinrich (*1907), Gabriela (*1909) und die Stiefschwester Hildegard (*1923) aus der zweiten Ehe des Vaters. Nachdem seine Frau 1918 an der Spanischen Grippe stirbt, heiratet Heinrich Fleißer 1923 die Hausangestellte.
Familienfoto aus späteren Jahren: Luis (links) und Anny (rechts) rahmen den Vater und die Geschwister; auf dem Sofa die zweite Frau des Vaters
Marieluise Fleißers Vater gibt nicht nur innerfamiliär den Patriarchen, sondern nimmt auch im Werk der Fleißer eine merklich markantere Rolle als die Mutter ein. Weibliche Figuren, die sich durch Herzenswärme oder Mütterlichkeit auszeichnen, sucht man in Fleißers Prosatexten wie Dramen vergeblich; die außergewöhnliche Persönlichkeit ihres Vaters scheint ihr dagegen nicht nur einmal als Vorbild zu dienen. Die Vaterfigur in der Erzählung Des Staates gute Bürgerin nur ein gutes Beispiel von vielen:
Der Vater war für seine Kinder ein großer Herr, gar nicht wie andere Väter in anderen Familien, die sich nach der Decke strecken. Es ging mit ihm durch. Der Vater konnte noch geben mit der leichten Hand, so mittendrin, es fiel stürmisch ihn an aus lauter Glück. Er kaufte Rosen für ein ganzes Lokal, für die Damen. Die Kinder waren dann stolz, von den Tischen schaute man her. Er konnte so locker werden vom Wein, für Kinder herrlich. Der Vater schlug ganz gern einmal über die Stränge.
Haustür und Gedenktafel der Kupferstraße 18
Dem Aufwachsen in der Kupferstraße widmet Marieluise Fleißer einen Text, der 1929 entsteht, den sie in den Folgejahren wiederholt umarbeitet und der 1950 – anlässlich der Uraufführung ihres Stücks Der starke Stamm – unter dem Titel Kinderland in der Süddeutschen Zeitung erscheint. In dieser letzten Version weitet sich der Blick von der anfänglichen Akzentuierung des Weihnachtserlebnisses auf die Kupferstraße als Kinderlandschaft: „Es war eine intime kleine Welt, die noch nicht versehrt war. Alle traurigen Dinge waren noch Rätsel, die man nicht auf sich selber bezog.“
Das Haus Kupferstraße 18 ist erhalten geblieben, seit 2001 beherbergt es als Fleißerhaus im Erdgeschoß eine Ausstellung über Leben und Werk der Schriftstellerin. Eine Erweiterung der Räumlichkeiten im Rahmen der nötigen Renovierung ist geplant.
Zur Station 2 von 11 Stationen
Mitte des 19. Jahrhunderts lässt sich der Handwerker Peter Fleißer in Ingolstadt nieder und eröffnet dort eine Schmiede mit Eisenwarenladen. Da die Stadt an der Donau seit 1539 Festungsstadt ist und eben erst die Königlich Bayerische Hauptlandesfestung errichtet wurde, erweist sich das Geschäft mit Waffen und Werkzeugen als einträglich und zukunftsträchtig. Die Familie Fleißer bringt es zu Wohlstand und Ansehen. Peter Fleißer vererbt den Betrieb an seinen Sohn Andreas, auf den dessen Sohn Heinrich (*22.5.1868) folgt.
Die Familie Fleißer vor der Eisenwarenhandlung, ganz rechts Tochter Luis (ca. 1910)
Ende der 1890er Jahren heiratet Heinrich Fleißer, 1899 bringt seine Frau Anna Maria (*1.4.1874) Zwillinge zur Welt: Anna Theresa, genannt Anny, und Heinrich. Anny geht 1922 als Lehrerin und Ordensschwester nach Afrika – ihr Bruder Henrich hingegen stirbt bereits im Alter von zwei Jahren. Dieser Tod begründet, glaubt man deren autobiografischen Aufzeichnungen, die Existenz der Marieluise Fleißer:
Die Mutter kann sich vor Schmerz über seinen Tod nicht fassen. Der Vater tröstet sie: „Sei still, ich mache Dir wieder einen Buben.“ Das wird dann die Fleißer.
Getauft wird das Mädchen auf den Namen Luise Marie; die Familie nennt es, auch schriftlich, ein Leben lang „Luis“. In Meine Biographie zählt Marieluise Fleißer vier weitere, jüngere Geschwister auf: Henriette (*1903), Heinrich (*1907), Gabriela (*1909) und die Stiefschwester Hildegard (*1923) aus der zweiten Ehe des Vaters. Nachdem seine Frau 1918 an der Spanischen Grippe stirbt, heiratet Heinrich Fleißer 1923 die Hausangestellte.
Familienfoto aus späteren Jahren: Luis (links) und Anny (rechts) rahmen den Vater und die Geschwister; auf dem Sofa die zweite Frau des Vaters
Marieluise Fleißers Vater gibt nicht nur innerfamiliär den Patriarchen, sondern nimmt auch im Werk der Fleißer eine merklich markantere Rolle als die Mutter ein. Weibliche Figuren, die sich durch Herzenswärme oder Mütterlichkeit auszeichnen, sucht man in Fleißers Prosatexten wie Dramen vergeblich; die außergewöhnliche Persönlichkeit ihres Vaters scheint ihr dagegen nicht nur einmal als Vorbild zu dienen. Die Vaterfigur in der Erzählung Des Staates gute Bürgerin nur ein gutes Beispiel von vielen:
Der Vater war für seine Kinder ein großer Herr, gar nicht wie andere Väter in anderen Familien, die sich nach der Decke strecken. Es ging mit ihm durch. Der Vater konnte noch geben mit der leichten Hand, so mittendrin, es fiel stürmisch ihn an aus lauter Glück. Er kaufte Rosen für ein ganzes Lokal, für die Damen. Die Kinder waren dann stolz, von den Tischen schaute man her. Er konnte so locker werden vom Wein, für Kinder herrlich. Der Vater schlug ganz gern einmal über die Stränge.
Haustür und Gedenktafel der Kupferstraße 18
Dem Aufwachsen in der Kupferstraße widmet Marieluise Fleißer einen Text, der 1929 entsteht, den sie in den Folgejahren wiederholt umarbeitet und der 1950 – anlässlich der Uraufführung ihres Stücks Der starke Stamm – unter dem Titel Kinderland in der Süddeutschen Zeitung erscheint. In dieser letzten Version weitet sich der Blick von der anfänglichen Akzentuierung des Weihnachtserlebnisses auf die Kupferstraße als Kinderlandschaft: „Es war eine intime kleine Welt, die noch nicht versehrt war. Alle traurigen Dinge waren noch Rätsel, die man nicht auf sich selber bezog.“
Das Haus Kupferstraße 18 ist erhalten geblieben, seit 2001 beherbergt es als Fleißerhaus im Erdgeschoß eine Ausstellung über Leben und Werk der Schriftstellerin. Eine Erweiterung der Räumlichkeiten im Rahmen der nötigen Renovierung ist geplant.
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