München, Akademiestraße 9: Café Minerva
Postkarte Café Minerva, um 1901. Akademiestraße 7-11 heute (c) Literaturportal Bayern.
Zusammen mit Max Halbe, Josef Ruederer und Lovis Corinth gehört Frank Wedekind der 1892 gegründeten Künstlervereinigung „Die Nebenregierung“ an. Der Zirkel versteht sich als Gegenpol zu Michael Georg Conrads Kreis und wendet sich vor allem gegen die etablierte Dichtergeneration, wie sie im „Krokodil“ mit dem Dichterfürsten Paul Heyse vertreten ist. Man trifft sich regelmäßig im Café Minerva in der Akademiestraße 9. Im Café hat Wedekind zahlreiche Auftritte als Dramenvorleser oder trägt eigene Balladen und Gedichte vor. Die Lesungen haben allerdings nicht immer die gewünschte Wirkung. So berichtet Thomas Theodor Heine über seine erste Begegnung mit Wedekind, den er als typischen Kaffeehausliteraten ansieht:
Er fiel durch sein sonderbares Aussehen auf; man nannte ihn die Bartsammlung, denn er bemühte sich alle existierenden Bartformen in seinem Gesicht zu vereinigen, Schnurrbart, Fliege, Knebelbart und Koteletten. Er las gerade zwei zwickertragenden Schönen das soeben vollendete Manuskript seines ersten Dramas vor, und eines der Mädchen, das ich von einer Zeit her kannte, wo sie noch keinen Zwicker trug und an der Akademie ein beliebtes Aktmodell war, stellte mich ihm vor. Das Theaterstück hieß Theseus. Es ist, soviel ich weiß, nie aufgeführt worden. Und das mit Recht, denn der Leitgedanke, um den sich das ganze Stück aufbaute, war, daß dem Theseus ein Kaffeeseus gegenübergestellt wurde. Ein etwas dürftiger Witz für ein abendfüllendes Stück. (Thomas Theodor Heine: Erinnerung an Wedekind [1938]. In: Die Wahrheit ist oft unwahrscheinlich, S. 262)
Ins selbe Horn stößt auch Wedekinds Dichterkollege Max Halbe, wenn er Wedekinds Irritation gegenüber der „ausgesprochenen Komödienwirkung“ seiner Dichtung hervorkehrt:
Gegen Schluß einer Vorlesung Wedekinds im Café „Minerva“ in München in der Akademiestraße, gegenüber der damals gerade neu entstandenen Akademie der Bildenden Künste, zu der berühmte Kollegen wie Josef Ruederer (der den Erdgeist-Dichter durchaus nicht leiden konnte), der Maler Lovis Corinth (1858-1925) und andere erschienen, war es zu gewaltigen Lachsalven gekommen, die den Dichter verwirrten und irritierten. Im Grunde genommen war es eine ausgesprochene Komödienwirkung, richtiger noch die der Groteske, womit man der innersten Natur des Wedekindschen Dichtens ja auch am nächsten kommt. Jene Lachsalven um den feierlich weiterlesenden Dichter herum [...] waren daher nicht einmal so fehl am Platze. Das Ende vom Lied war, daß Wedekind wutentbrannt das Manuskript auf den Tisch warf und sich mit einer einladenden Grimasse im Sinne Götzens von Berlichingen empfahl. Ich sah Lovis Corinth halb unter dem Tisch liegen und beinahe vor Lachen bersten. (Max Halbe: Jahrhundertwende. In: Unsterbliches München, S. 286)
Innerlich fremd bei gleichzeitiger Wertschätzung als Vortragskünstler bleibt Wedekind dem Maler Lovis Corinth. Obschon er sich über dessen mehr oder weniger beabsichtigtes „ernsthaftes Pathos“ kranklacht, findet er keinen rechten Zugang zum Dichter:
Der Interessanteste – von vielen, auch von uns angefochten, war ohne Zweifel Frank Wedekind. Uns blieb er unverstanden oder vielmehr, wir lachten uns eins und wollten vor lauter Hohn uns beinahe ausschütten. Im Café Minerva hielt einstmals Wedekind einen Leseabend über sein Theaterstück Sonnenspektrum. Wir lagen mehr auf der Erde, als daß wir gleich gesitteten Menschen auf Stühlen saßen, und kriegten Lachkrämpfe. Er deklamierte das Stück mit einem fast unheimlichen, ernsthaften Pathos, so daß man nicht recht wußte, war es seinerseits, daß er sich einen Ulk mit uns machen wollte oder war es ihm doch heiliger Ernst. Als er gar noch ein sentimentales Lied aus einem Akt zu singen anfing, waren wir vollständig aus dem Häuschen und wanden uns, schlugen mit der Faust auf den Tisch, daß Auerbachs Keller nichts dagegen war. Darauf fragte ihn Eckmann, ob er doch nicht die Karikatur zu weit getrieben hätte, und Wedekind antwortete ihm darob mit ernsthaftester Leichenbittermiene: „Mein Werk ist eine Ode an die Schönheit!“ In dieser ernsthaften Pose leistete Wedekind gewaltiges. (Lovis Corinth: Meine frühen Jahre, Kap. III)
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Postkarte Café Minerva, um 1901. Akademiestraße 7-11 heute (c) Literaturportal Bayern.
Zusammen mit Max Halbe, Josef Ruederer und Lovis Corinth gehört Frank Wedekind der 1892 gegründeten Künstlervereinigung „Die Nebenregierung“ an. Der Zirkel versteht sich als Gegenpol zu Michael Georg Conrads Kreis und wendet sich vor allem gegen die etablierte Dichtergeneration, wie sie im „Krokodil“ mit dem Dichterfürsten Paul Heyse vertreten ist. Man trifft sich regelmäßig im Café Minerva in der Akademiestraße 9. Im Café hat Wedekind zahlreiche Auftritte als Dramenvorleser oder trägt eigene Balladen und Gedichte vor. Die Lesungen haben allerdings nicht immer die gewünschte Wirkung. So berichtet Thomas Theodor Heine über seine erste Begegnung mit Wedekind, den er als typischen Kaffeehausliteraten ansieht:
Er fiel durch sein sonderbares Aussehen auf; man nannte ihn die Bartsammlung, denn er bemühte sich alle existierenden Bartformen in seinem Gesicht zu vereinigen, Schnurrbart, Fliege, Knebelbart und Koteletten. Er las gerade zwei zwickertragenden Schönen das soeben vollendete Manuskript seines ersten Dramas vor, und eines der Mädchen, das ich von einer Zeit her kannte, wo sie noch keinen Zwicker trug und an der Akademie ein beliebtes Aktmodell war, stellte mich ihm vor. Das Theaterstück hieß Theseus. Es ist, soviel ich weiß, nie aufgeführt worden. Und das mit Recht, denn der Leitgedanke, um den sich das ganze Stück aufbaute, war, daß dem Theseus ein Kaffeeseus gegenübergestellt wurde. Ein etwas dürftiger Witz für ein abendfüllendes Stück. (Thomas Theodor Heine: Erinnerung an Wedekind [1938]. In: Die Wahrheit ist oft unwahrscheinlich, S. 262)
Ins selbe Horn stößt auch Wedekinds Dichterkollege Max Halbe, wenn er Wedekinds Irritation gegenüber der „ausgesprochenen Komödienwirkung“ seiner Dichtung hervorkehrt:
Gegen Schluß einer Vorlesung Wedekinds im Café „Minerva“ in München in der Akademiestraße, gegenüber der damals gerade neu entstandenen Akademie der Bildenden Künste, zu der berühmte Kollegen wie Josef Ruederer (der den Erdgeist-Dichter durchaus nicht leiden konnte), der Maler Lovis Corinth (1858-1925) und andere erschienen, war es zu gewaltigen Lachsalven gekommen, die den Dichter verwirrten und irritierten. Im Grunde genommen war es eine ausgesprochene Komödienwirkung, richtiger noch die der Groteske, womit man der innersten Natur des Wedekindschen Dichtens ja auch am nächsten kommt. Jene Lachsalven um den feierlich weiterlesenden Dichter herum [...] waren daher nicht einmal so fehl am Platze. Das Ende vom Lied war, daß Wedekind wutentbrannt das Manuskript auf den Tisch warf und sich mit einer einladenden Grimasse im Sinne Götzens von Berlichingen empfahl. Ich sah Lovis Corinth halb unter dem Tisch liegen und beinahe vor Lachen bersten. (Max Halbe: Jahrhundertwende. In: Unsterbliches München, S. 286)
Innerlich fremd bei gleichzeitiger Wertschätzung als Vortragskünstler bleibt Wedekind dem Maler Lovis Corinth. Obschon er sich über dessen mehr oder weniger beabsichtigtes „ernsthaftes Pathos“ kranklacht, findet er keinen rechten Zugang zum Dichter:
Der Interessanteste – von vielen, auch von uns angefochten, war ohne Zweifel Frank Wedekind. Uns blieb er unverstanden oder vielmehr, wir lachten uns eins und wollten vor lauter Hohn uns beinahe ausschütten. Im Café Minerva hielt einstmals Wedekind einen Leseabend über sein Theaterstück Sonnenspektrum. Wir lagen mehr auf der Erde, als daß wir gleich gesitteten Menschen auf Stühlen saßen, und kriegten Lachkrämpfe. Er deklamierte das Stück mit einem fast unheimlichen, ernsthaften Pathos, so daß man nicht recht wußte, war es seinerseits, daß er sich einen Ulk mit uns machen wollte oder war es ihm doch heiliger Ernst. Als er gar noch ein sentimentales Lied aus einem Akt zu singen anfing, waren wir vollständig aus dem Häuschen und wanden uns, schlugen mit der Faust auf den Tisch, daß Auerbachs Keller nichts dagegen war. Darauf fragte ihn Eckmann, ob er doch nicht die Karikatur zu weit getrieben hätte, und Wedekind antwortete ihm darob mit ernsthaftester Leichenbittermiene: „Mein Werk ist eine Ode an die Schönheit!“ In dieser ernsthaften Pose leistete Wedekind gewaltiges. (Lovis Corinth: Meine frühen Jahre, Kap. III)
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