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Ansichtskarte 1897: "Gruss vom Starnberger See". Verlag: Ottmar Zieher, München.

Berg, Dampfersteg

Nach der Entlassung aus der Werktagschule 1907 muss Oskar Maria Graf zu seinem ältesten Bruder Max in die Lehre, der ihn regelmäßig verprügelt und für seinen Bildungs- und Lesehunger keinerlei Verständnis hat. Die Bücher werden für den jungen Oskar gleichwohl zum Vehikel einer „inneren Emigration“. Angeregt von seinem Bruder Maurus liest er die deutschen Klassiker, erwirbt über einen Dorfschuster preiswerte Reclam-Ausgaben und gewinnt für eine Kritik der Gedichte in Prosa von Turgenjew den 1. Preis bei einem Preisausschreiben. Während des Brotaustragens lernt Oskar Maria Graf die Gedichte Walt Whitmans auswendig und trägt sie seiner Schwester Anna (Nanndl) vor.

Nach und nach reift in Graf jedoch der Gedanke, aus den beklemmenden Lebensumständen auszubrechen und von zu Hause fortzugehen. Da er die Entdeckung seiner geheimen Bibliothek fürchtet, bereitet er vorsorglich seine Flucht vor, indem er einen Koffer mit Lebensmitteln auf dem Heuboden versteckt und das für ihn angelegte Sparbuch der Mutter auskundschaftet.

Es ist das Jahr 1911: Nachdem Max von der Bibliothek erfahren und den jungen Oskar verprügelt hat, verlässt dieser seinen Heimatort Berg, um sein Glück als Schriftsteller in München zu versuchen. Graf marschiert zunächst nach Aufkirchen (Station 12-14), hebt dort 300 Mark vom Sparbuch der Mutter ab und fährt mit dem Dampfer nach Starnberg, um dort den Zug zu nehmen. Davor noch trifft er seine Schwester Anna und blickt ein letztes Mal auf die Pferdeweide des Berger Talkessels zurück:

Ich ging ins Etztal hinunter zum Dampfschiffsteg. Auf dem Wege traf ich Nanndl. Sie sagte: „Gehst jetzt?“

Ich nickte bloß und sah sie schmerzlich an. [...]

Erst als ich keinen Menschen mehr sah, wurde mir leichter. Es war gleichsam, als würde mir jetzt erst klar, daß ich mich nun nur mehr auf mich zu verlassen habe.

Ich schaute noch einmal über die Pferdeweide, die inmitten des Talkessels lag, erinnerte mich an alles, an das Schießen, Indianerspielen, Zerstören und Pferdejagen, und mir wurde jämmerlich weich zumute. Aber zwischen diese Gedanken rannen andere von der Stadt, von der Zukunft, alles unklar durcheinander. Ich schluckte fest und ging entschlossener weiter. –

(Oskar Maria Graf: Wir sind Gefangene. Ein Bekenntnis aus diesem Jahrzehnt. Werkausgabe in 16 Bänden. Hg. von Wilfried F. Schoeller. Bd. 1-13. List Verlag, München/Leipzig 1994, Bd. 1, S. 38)

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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik