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Ödön von Horváth (c) Monacensia - Stadtbibliothek und Literaturarchiv

Murnau, Bucht am Staffelsee: Horváths Strand-Hotel

Ödön von Horváth und seine Freunde vergnügen sich Sommer wie Winter am Staffelsee. Wenn der See zugefroren ist, treffen sie sich zum Eisstockschießen, Schlittschuhlaufen und zu den regelmäßig stattfindenden Eisrennen. Anschließend genießen sie die gemütliche Atmosphäre des Gasthofs Seerose mit traditionell oberbayerischer Küche. Im Sommer sind sie häufig im Strandbad und im Strand-Hotel anzutreffen. Ödön von Horváth will das Volksstück Italienische Nacht ursprünglich „Wochenend am Staffelsee“ nennen, verwirft diesen so werbewirksamen Titel aber und nennt eine weitere Textfassung neutral Ein Wochenendspiel. Volksstück in sechs Bildern.

10 Minuten vom Bahnhof, am Staffelsee gelegen. Großer, schattiger, staubfreier Garten. Moderner, luftiger Speisesaal, Kegelbahn. Bekannt gute,  auswahlreiche Küche, schöne Fremdenzimmer mit vorzüglichen Betten. Elektrisches Licht, Bad, Closett, Wasserleitg. Gutes Bier. ff.Kaffee. Spezialität: Reine Weine und ausgezeichnete, selbstgem. Weiß- & Bratwürste – Aufmerksame Bedienung!

Mit diesen Sätzen wirbt das Gasthaus Seerose im Reiseführer Murnau am Staffelsee. Bayrisches Hochland von 1910. Seit 1904 ist Ignaz Kirchmeir, der spätere Wirt der Gaststätte und Weinhaus Kirchmeir der Besitzer des Hotels Seerose. Nach 22 Jahren kauft 1926 eine Münchner Immobilienfirma das Hotel, Ignaz Kirchmeir bleibt aber weiterhin Geschäftsführer. Am 1. Mai 1929 übernimmt Heinz Reichhard für kurze Zeit die Führung der „Seerose“. Gleichzeitig pachtet er das Café Greif am Marienplatz in München, was erfreulich viele Münchner Musiker zu Künstler-Konzerten nach Murnau lockt. Nach Heinz Reichhard führt Hotelier Philip Schnepf das Hotel.

Seerose und Strand-Hotel © Schloßmuseum Murnau/Bildarchiv

Ödön von Horváth beobachtet die Gastronomie-Szene Murnaus mit großer Neugier. Beide Gastronomen werden beispielsweise auf dem Entwurf Nach der Saison, eine Vorarbeit zur Komödie Zur Schönen Aussicht, genannt. Philip Schnepf verkauft die „Seerose“ am 10. Januar 1930 an Johann Fischer, den bisherigen Besitzer des Gasthofes Alter Spaten in München, der das Haus mit Konzerten, Theater- und Operettenaufführungen belebt. Hotelier Johann Fischer stirbt im Januar 1933 an den Folgen einer schweren Operation. Der Gasthof Seerose erlebt noch mehrere Besitzer, bevor es Anfang 1970er Jahre einem Neubau zum Opfer fällt.

Auch in das Strand-Hotel ist in den 1920er Jahren für Sommerfrischler und für Tagesausflügler aus dem nahen München ein wichtiger gesellschaftlicher Treffpunkt. In Horváths Komödie Zur schönen Aussicht fließen Beobachtungen und Erfahrungen ein, die er als Stammgast des Strand-Hotels und des Café Seerose mit dem dortigen Personal macht. Den Pächter des Strand-Hotels Heinz Reichhard und seine Frau Gustl Müller führt Horváth in der Vorarbeit Nach der Saison in der Rollenliste auf. Das Foyer des fiktiven Hotels „Zur schönen Aussicht“ gleicht Zeitzeugen zufolge unverwechselbar dem Hotelfoyer des Strand-Hotels:

Es ist drei Uhr Nachmittag und die Sonne scheint. Im Monat März. Links Portierloge. Rechts Glastüre mit Aufschrift: Speisesaal. Im Hintergrunde führt eine Treppe nach oben und eine breite weit offene Türe ins Freie. Am Horizont Berge Im Vordergrund ein kleiner Tisch und zwei Rohrstühle. In der Ecke eine vergilbte Palme. Eine mächtige alte Karte von Europa hängt an der Wand. Alles verstaubt und verwahrlost. (Horváth, Zur schönen Aussicht, GW1/135)

 


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Verfasst von: Dr. Elisabeth Tworek