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© Stadtarchiv München DE-1992-FS-NL-KV-2183

Feld 15: Das Grabmal der Maler

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Eine weibliche Trauerfigur © Elvira Steppacher

Tourenhinweis: Beliebigen Weges Feld 15 an der Ecke zu Feld 11 ansteuern.
  
August Gemming hat gerne gezeichnet. Schon als Bub muss er damit begonnen haben.  Überzeugt von seinen musischen Anlagen, gesteht er in seiner Humoreske „Ha, welche Lust, Soldat zu sein“ (1882): 

Wiewohl ich mich in Folge der mir von Gott gnädig verliehenen Natur-Anlagen in Hinsicht auf Musik, Zeichnen, Gymnastik – (wären sie richtig kultiviert worden) – vielleicht weit eher zu einem Richard Wagner, Kaulbach oder Blondin geeignet hätte […] mußte [ich] Freiwilliger werden!

Obwohl Gemmings Vater Karl selbst stark seine eigenen musischen Neigungen pflegte, war die Ausbildung des Jüngsten in einem künstlerischen Fach keine Option. Für den königstreuen Vater, der seine militärische Laufbahn als angesehener Stadtkommandant auf der Feste Rothenberg– einer Art Bayerisches Spandau – beschloss, kam nur etwas Vernünftiges, das zugleich die Pension sicherte, in Frage.  Auf den „unabänderlichen Rathschluss meines braven Vaters“ traten beide Söhne zeitgleich in die Armee ein. 

Auf dem Alten Nördlichen stoßen wir auf verschiedene Grabmale von Malern. Leicht versetzt hinter Gemmings Grabstele findet sich an der Mauer zur Arcisstraße das Künstlergrab, das Münchner Künstler „Ihren Genossen“ widmeten. Einige Werke dieser Maler lassen sich in der Alten Pinakothek betrachten, an der man bei dem Spaziergang Richtung NS-Dokumentationszentrum auch vorbeikommt. 

Im Feld 15 / Ecke zu Feld 11 liegt das Grab des Künstlers und Akademieprofessor Wilhelm Dietz. Die drei Wappen stehen für die Künstlerpalette, die auch die Puttos rechts und links im Künstlergrab an der Mauer in Händen halten. Das mit einem Reliefportrait versehene Grab des Schlachtenmalers Heinrich Lang in Feld 16 verweist darauf, dass Kriege zu Gemmings Zeiten ein auskömmliches Sujet darstellten.

Grabstele Heinrich Lang © Elvira Steppacher / Grabstätte Wilhelm Dietz © Elvira Steppacher

Der Maler Wilhelm von Kaulbach, auf den Gemming sich im obigen Zitat beruft, liegt auf dem Alten Südfriedhof Nähe Sendlinger Tor U2) begraben, einem ebenfalls sehr sehenswerten Friedhof. Entlang des Englischen Garten verläuft die Kaulbachstraße.

„Vielleicht wäre ich ein zweiter Thorwaldsen geworden? Wer kanns wissen?“ schreibt August Gustl Gemming in seiner Humoreske Ha, welche Lust, Soldat zu sein.

Über seinen letzten Einsatz in der Armee während des Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 führt Gemming ein illustriertes Kriegstagebuch, das unter dem Titel Von der Etappe auch veröffentlicht wird. Gemming beginnt seinen Einstieg in die Welt der Literatur also als (Selbst-)Chronist. Welche Akzeptanz das schmale Büchlein findet ist unbekannt. Der Verlag jedenfalls, ein Antiquariat in der Nähe der elterlichen Wohnung, wagt nur die Kommission. 

Gemming erhält Ende November 1870 „plötzlich die Ordre“, dass er ab Dezember „an dem viel bewegten Etappen = Hauptorte der III. Armee zu Lagny = Thorgny vor Paris als Adjutant“ eingesetzt wird. Etwa 30 Kilometer östlich von der Hauptstadt hört er allenthalben „Schüsse schwersten Kalibers“ (11), aber eben aus der Sicherheit bereits besetzten Gebietes. Die ihm zugeteilten Aufgaben fasst er so:

Einparkirung von 15,179 Gefangenen […] ferner Besorgen von 8365 Kranken und 75 Offiziersleichen. […] Da gilt es Gefangenentransporte  zu versorgen, Requisitionen zu befördern, Arrangements beim Ausparkiren zu treffen, Quartiersanweisungen und Verpflegungsscheine auszugeben und hunderterlei Fragen zu beantworten. (S. 9 und S. 10)

Erst im September, drei Monate vor seiner Ordre, hatten er und seine Familie den Tod seines Bruders Theodors zu betrauern. Während dieser ‚heldenhaft‘ in der Schlacht bei Sedan ums Leben kam, sah sich Gemming in Neu-Ulm sprichwörtlich weitab vom Schuss und zugleich am Tiefpunkt seiner militärischen Laufbahn angekommen. „Man war nicht dabei […], obgleich ein braver Bruder zu rächen ist“ (S. 4), diese Vorstellung nagt am Zweitgeborenen. Die Beschwerden nehmen zu, die Eskalationen auch. Seine Strafen – Zimmerarrest, Stubenarrest, Kasernenarrest, Karzer – sammelt er wie Orden oder Epauletten. Seine unfreiwillige Pensionierung steht bevor. Dass er später den Rang „Premierlieutnant a.D.“ häufiger zu „aus Durscht“ verballhornt, ist bezeichnend.

Ob ihm der überraschende Frankreich-Einsatz einen kleinen Denkzettel verpassen sollte oder ob Gemmings militärisch verdienter und geachteter Vater ihn bewusst verhandelt hat, ist unklar. De facto wird er für das Enfant terrible zu einem Highlight. In dem Tagebuch sind frankophobe, chauvinistische und stereotypisierende Äußerungen unverkennbar. Die satirischen Zeichnungen sind kaum besser. Gemming tritt mit fragwürdigen Kompositionen hervor. Wahrscheinlich sind sie es, die ihm den Weg zum satirischen Zeichner der „Fliegenden Blätter“ ebnen. Seine Franzosenfeindlichkeit lässt sich nicht allein mit dem individuellen Schicksal begründen. Gewiss trauert die gesamte Familie tief um den im Krieg in der Schlacht von Sedan getöteten Theodor. Doch darüber hinaus ist die Einstellung des Soldaten Gemmings symptomatisch für die entstehende deutschnationale Bewegung. Diese wiederum ist im Kontext einer ganzen Reihe von geschichtlichen Entwicklungen und Befunden zu lesen, die unter dem Schlagwort „verspätete Nation“ erfasst werden können.


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