Feld 5: Gemmings Grabstele
Grüaß enk Gott! Oder auch: Servus miteinand! Hier spricht der Gemming Gustl. A propos: Gustl, ist die Kurzform von August, nicht Gustav. Ich sag‘s aus gutem Grund. Auf der Postkarte, die zu Karl Valentins berühmter Bildersammlung „Münchner Originale“ zählt, steht‘s nämlich falsch. Im Buch firmiere ich als „Spassmacher“, meinetwegen, aber genauso gut hätte ich zu den „Schreiberlingen“ oder „Musikanten“ gepasst. Mein Gedicht unterm Portrait verrät euch, warum:
Und wenn die Welt in Trümmern geht
Und alles heult‘ in Nöthen –
Egel – ob‘s grad geht oder krumm,
Ich scheer‘ mich einen Teufel d’rum –
Ich blas‘ fidel mei‘ Flöten.
Lebens-Motti habe ich mir mehrere zusammengereimt, z.B. dieses:
Das eben ist des Daseyns schönste Kunst:
Des Lebens heitere Seite nur zu schauen.
Oder das:
Lebensphilosophie.
Der Gedanke an das Sterben
Ist mir wirklich etwas peinlich.
Ew’ge Zeiten dass ich lebe
Ist mir aber unwahrscheinlich.
Denke d’rum bei schönen Frauen –
Und beim goldnen Saft der Reben
Wenig an ein gutes Sterben
Aber viel ans „g u t e L e b e n“.
Aus: Poetische Verbrechen III. vermehrte, verbesserte und illustrierte Ausgabe, S. 6
© August Gemming, Poetische Verbrechen, 3. Aufl. München (Selbstverlag) 1876
Eins geht noch:
Wer bis zum späten Lebensabend / Erhält sich immer heiter‘n Sinn, / Bleibt ewig jung – und schreitet lächelnd / Wenn‘s gilt zu Charon‘s Nachen hin.
Der Begriff Original umfasst eine bunte Reihe sogenannter „Leut“, darunter „Sonderlinge, Sprücheklopfer, Hofnarren, Gaudiburschn, Kraftlackln, Volkssänger, Leuttratzer, Ratschkathln, Revoluzzer, Gschaftlhuber, Kapellmeister, Spötter, Spinner, Dichter und fröhliche Zecher“. Auch Gemmings Einsatzfelder können sich sehen lassen, so war er: Königlich-Bayerischer Premierlieutnant, Chronist, Humorist, Dichter, Maler, Mitarbeiter der Fliegenden Blätter, Komponist, Tierstimmenmime, Kunstpfeifer, Eintänzer, Turner, Fechter, Fremdenführer und Versicherungsvertreter.
Sinnspruch von August Gemming © Privatbesitz
Seht ihr, dass in der gemalten Postkarte eine Zeile fehlt? Ob der Verleger um seine katholische Kundschaft gefürchtet hat? Fakt ist, mir hat der Teufel nicht Bange machen können, und mit den Pfaffen war ich auch wenig zimperlich. „Grüaß Enk Gott“ ist übrigens trotzdem eine ernst gemeinte Titelzeile eines meiner Gedichte. Schön, dass ihr hergefunden habt. Meine Grabstele ist standfest, stattlich, schnörkellos. Der Text dürfte euch kaum noch überraschen:
Hier ruht
ein
„Münchner Original“
August Gem̅ing
1837-1893
Da hat mir wohl jemand ein Denkmal setzen wollen. Jemand, der Karl Valentins Sammlung gekannt haben dürfte. Die Stele für das „Münchner Original“ ist somit kein Original-Gemming-Grabstein, sondern ein Ersatz- oder Gedenkstein. An manchen Tagen, wenn das Licht günstig steht, lassen sich Reste der ursprünglichen Beschriftung erkennen, ähnlich einem Palimpsest, einem wieder beschriebenen antiken Schriftstück.
Ein Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) vom 2.3.1923 erwähnt zwei Personen, die es gut meinten mit ‚ihrem‘ Gustl. Ein gewisser „Otto Irlinger“ und ein anonym bleibender „Freund“ hätten anlässlich seines dreißigsten Todestags für den Erhalt von Grab und Stein gesorgt.
Auszug Münchner Neuesten Nachrichten 1923 © Stadtarchiv München
Der Steinmetz hat August Gemming verjüngt, als er mit Schwabacher Schrift die Zahl 1837 in den Stein gemeißelt hat. Laut Pfarrmatrikel und Grundbucheintrag der Bayerischen Armee wurde er als „Ernst Paul August Gemming am 10. September 1836 auf dem Rothenberg geboren.“ Und mit Reduplikationsschrift schrieb er sich, soweit bekannt, nie.
Die Nummer „5-10-9“ auf der Rückseite unten an der Stele ist lediglich eine Inventarnummer, die das Grabmalamt erst viel später vergeben hat. Wer dort anruft, erfährt zum Beispiel, dass der Unterbau aus Granit und die Stele aus Kalkstein ist. Angeblich soll der wuchtige Stein aus den 50er Jahren stammen, dazu passt aber nicht das Datum aus den MNN.
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Grüaß enk Gott! Oder auch: Servus miteinand! Hier spricht der Gemming Gustl. A propos: Gustl, ist die Kurzform von August, nicht Gustav. Ich sag‘s aus gutem Grund. Auf der Postkarte, die zu Karl Valentins berühmter Bildersammlung „Münchner Originale“ zählt, steht‘s nämlich falsch. Im Buch firmiere ich als „Spassmacher“, meinetwegen, aber genauso gut hätte ich zu den „Schreiberlingen“ oder „Musikanten“ gepasst. Mein Gedicht unterm Portrait verrät euch, warum:
Und wenn die Welt in Trümmern geht
Und alles heult‘ in Nöthen –
Egel – ob‘s grad geht oder krumm,
Ich scheer‘ mich einen Teufel d’rum –
Ich blas‘ fidel mei‘ Flöten.
Lebens-Motti habe ich mir mehrere zusammengereimt, z.B. dieses:
Das eben ist des Daseyns schönste Kunst:
Des Lebens heitere Seite nur zu schauen.
Oder das:
Lebensphilosophie.
Der Gedanke an das Sterben
Ist mir wirklich etwas peinlich.
Ew’ge Zeiten dass ich lebe
Ist mir aber unwahrscheinlich.
Denke d’rum bei schönen Frauen –
Und beim goldnen Saft der Reben
Wenig an ein gutes Sterben
Aber viel ans „g u t e L e b e n“.
Aus: Poetische Verbrechen III. vermehrte, verbesserte und illustrierte Ausgabe, S. 6
© August Gemming, Poetische Verbrechen, 3. Aufl. München (Selbstverlag) 1876
Eins geht noch:
Wer bis zum späten Lebensabend / Erhält sich immer heiter‘n Sinn, / Bleibt ewig jung – und schreitet lächelnd / Wenn‘s gilt zu Charon‘s Nachen hin.
Der Begriff Original umfasst eine bunte Reihe sogenannter „Leut“, darunter „Sonderlinge, Sprücheklopfer, Hofnarren, Gaudiburschn, Kraftlackln, Volkssänger, Leuttratzer, Ratschkathln, Revoluzzer, Gschaftlhuber, Kapellmeister, Spötter, Spinner, Dichter und fröhliche Zecher“. Auch Gemmings Einsatzfelder können sich sehen lassen, so war er: Königlich-Bayerischer Premierlieutnant, Chronist, Humorist, Dichter, Maler, Mitarbeiter der Fliegenden Blätter, Komponist, Tierstimmenmime, Kunstpfeifer, Eintänzer, Turner, Fechter, Fremdenführer und Versicherungsvertreter.
Sinnspruch von August Gemming © Privatbesitz
Seht ihr, dass in der gemalten Postkarte eine Zeile fehlt? Ob der Verleger um seine katholische Kundschaft gefürchtet hat? Fakt ist, mir hat der Teufel nicht Bange machen können, und mit den Pfaffen war ich auch wenig zimperlich. „Grüaß Enk Gott“ ist übrigens trotzdem eine ernst gemeinte Titelzeile eines meiner Gedichte. Schön, dass ihr hergefunden habt. Meine Grabstele ist standfest, stattlich, schnörkellos. Der Text dürfte euch kaum noch überraschen:
Hier ruht
ein
„Münchner Original“
August Gem̅ing
1837-1893
Da hat mir wohl jemand ein Denkmal setzen wollen. Jemand, der Karl Valentins Sammlung gekannt haben dürfte. Die Stele für das „Münchner Original“ ist somit kein Original-Gemming-Grabstein, sondern ein Ersatz- oder Gedenkstein. An manchen Tagen, wenn das Licht günstig steht, lassen sich Reste der ursprünglichen Beschriftung erkennen, ähnlich einem Palimpsest, einem wieder beschriebenen antiken Schriftstück.
Ein Redakteur der Münchner Neuesten Nachrichten (MNN) vom 2.3.1923 erwähnt zwei Personen, die es gut meinten mit ‚ihrem‘ Gustl. Ein gewisser „Otto Irlinger“ und ein anonym bleibender „Freund“ hätten anlässlich seines dreißigsten Todestags für den Erhalt von Grab und Stein gesorgt.
Auszug Münchner Neuesten Nachrichten 1923 © Stadtarchiv München
Der Steinmetz hat August Gemming verjüngt, als er mit Schwabacher Schrift die Zahl 1837 in den Stein gemeißelt hat. Laut Pfarrmatrikel und Grundbucheintrag der Bayerischen Armee wurde er als „Ernst Paul August Gemming am 10. September 1836 auf dem Rothenberg geboren.“ Und mit Reduplikationsschrift schrieb er sich, soweit bekannt, nie.
Die Nummer „5-10-9“ auf der Rückseite unten an der Stele ist lediglich eine Inventarnummer, die das Grabmalamt erst viel später vergeben hat. Wer dort anruft, erfährt zum Beispiel, dass der Unterbau aus Granit und die Stele aus Kalkstein ist. Angeblich soll der wuchtige Stein aus den 50er Jahren stammen, dazu passt aber nicht das Datum aus den MNN.
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