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Hermann Hesse, ca. 1927

Autoreise nach München – mit Knallfröschen in Tübingen

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(c) Dr. Dirk Heißerer

Kurz nachdem Reinhold Geheeb am 7. Februar 1939 gestorben war, erinnerte sich Hesse in einem Brief an Alfred Kubin an seine erste Begegnung:

In München starb unerwartet mein alter Freund Geheeb, einst, in dessen Blütezeit, Redakteur des Simplicissimus. Ich erinnerte mich unsrer ersten Begegnung im Jahr 1905 oder 1906. Da kam Albert Langen mit Geheeb und Ludwig Thoma per Auto in Gaienhofen angefahren, blieb einen Tag und nahm mich dann mit nach München, bald darauf wurde unser ‚März‘ gegründet. Jene drei waren alle sehr viel kräftiger, naiver, sehr viel lebenstüchtiger und lebenslustiger als ich, und nun bin ich der, der sie überlebt hat.[100]

In einer späteren Erinnerung Hesses an diese Begegnung in Gaienhofen auf der Halbinsel Höri am Bodensee Ende April 1906 ergänzt Hesse das Münchner Trio noch um den Maler Rudolf Sieck (1877-1957): „Albert Langen hatte mich mit Thoma, dem Maler Sieck und dem Redakteur des Simplizissimus Geheeb (später ein sehr guter Freund von mir) in Gaienhofen besucht und mich eingeladen, mit ihnen nach München zu fahren“.[101]

Diese „erste Autoreise“ seines Lebens hat Hesse auch deshalb nicht vergessen, weil bei einem Zwischenhalt in Tübingen Ludwig Thoma sich auf seine Art an den damaligen Studentenumzügen zum 1. Mai beteiligt hat. Als „die ganze Stadt voll Fidelität und Lärm“ war, zündete Ludwig Thoma nach und nach ein paar Knallfrösche, verhielt sich dabei aber geschickter als Hesse der ebenfalls ein paar Knallfrösche losließ, dabei aber von einem „Schutzmann gestellt“ wurde und später „einen Strafbefehl“ bekam.[102] In einer Erinnerung an Ludwig Thoma hat Korfiz Holm daraus in seinen Erinnerungen Farbiger Abglanz (1940) eine Anekdote gebastelt, die, bei aller historischen Unschärfe (Siddharta erschien erst 1922!), das damalige Geschehen mit einem Kommentar Ludwig Thomas gut pointiert:

Einmal in Tübingen war Hermann Hesse dabei, als Thoma in dieser nicht sehr weiträumigen Stadt binnen einer halben Stunde ungestraft drei oder vier von diesen Fröschen knattern ließ. Begeistert ob der Kühnheit solchen Unterfangens, wollte nun auch der Dichter des ‚Siddharta‘ sich darin versuchen, wurde aber gleich beim ersten mal gestellt und auf die Wache abgeführt. Und Thoma sagte mitleidig: ‚O mei, das kennt man gleich, wenn‘s einer bloß als Dilettant betreibt.‘[103]

Hesse hat diese Anekdote 1948, vermutlich aus Anlass der Neuausgabe von Farbiger Abglanz (1947)[104], in einem Brief bestätigt: „Die Geschichte mit Ludwig Thoma und den in Tübingen losgelassenen Fröschen ist schnoddrig und etwas süffisant erzählt (man erkennt den Erzähler, den schnoddrigen und süffisanten, jedem etwas anhängenden Korfiz Holm), aber sie ist wahr.  Nur war es nicht gerade der Dichter der Siddharta, dem sie passierte, sondern der des Camenzind, es war etwa 1905 oder 1906.“[105] Es war am 1. Mai 1906 – und mit dem Knallfrosch-Abenteuer in Tübingen lernte der junge Hesse gleich, dass Satire zwar zünden und wirken kann, mitunter aber auch Kosten verursacht. Das Abenteuer „München“ konnte beginnen.

 

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[100] Hermann Hesse: Brief an Alfred Kubin, Montagnola, Ende Februar 1939, in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Dritter Band (wie Anm. 2), Nr. 100, S. 112-114, hier S. 113.

[101] Hermann Hesse: Brief an Otto Hartmann, 01.08.1948, in: ebd., Nr. 490, S. 492f., hier S. 492.

[102] Ebd., S. 493. Zur Datierung des Besuchs und der Autoreise vgl. die Zeittafel, in: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Registerband (wie Anm. 15), S. 19.

[103] Korfiz Holm: Ludwig Thoma, wie ich ihn erlebte, in: Korfiz Holm: Farbiger Abglanz . Erinnerungen an Ludwig Thoma, Max Dauthendey und Albert Langen. (1940), in: Korfiz Holm: ich – kleingeschrieben. Heitere Erlebnisse eines Verlegers, hrsg. und mit einem Nachwort von Dirk Heißerer. München 2008, S. 211-235, hier S. 219.

[104] „Nach Holms Tod (1942) und dem Kriegsende erschien 1947 in der Nymphenburger Verlagshandlung München die Ausgabe ‚Farbiger Abglanz‘ (188 S.) als Kombination von ich – kleingeschrieben (1932) und Farbiger Abglanz (1940), was allerdings nirgendwo bemerkt wurde. (…) Nachdem der Inhalt von ich – kleingeschrieben weitgehend beibehalten wurde (…), entfiel das Kapitel ‚Winterfrische in Finsterwald‘ und wurde durch die zwei Kapitel zu Ludwig Thoma und Albert Langen aus Farbiger Abglanz ersetzt.“ Vgl.: Editorische Notiz, in: Korfiz Holm: ich – kleingeschrieben (2008) (wie Anm. 103), S. 291-295, hier S. 293f.

[105] Hermann Hesse: Brief an Otto Hartmann, 01.08.1948 (wie Anm. 101). Die Angabe des Herausgebers in der dortigen Anmerkung 4 (S. 493), die „Episode mit den Knallfröschen“ werde von Korfiz Holm „in seinem Buch ‚ich – kleingeschrieben. Heitere Erlebnisse eines Verlegers‘, München, 1932“ geschildert, ist zu korrigieren (vgl. Anm. 103 und 104).

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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