https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/2024/klein/Hermann_Hesse_1927_164.jpg#joomlaImage://local-images/lpbplaces/2024/klein/Hermann_Hesse_1927_164.jpg?width=164&height=220
Hermann Hesse, ca. 1927

Bei Reinhold Geheeb, Kratzerstr. 13 (München-Gern)

Wenn es einen Ort in München gab, an dem sich Hermann Hesse öfter und gerne aufgehalten hat, dann war es das Haus seines alten Freundes, des Simplicissimus-Chefredakteurs Dr. Reinhold Geheeb (1872-1939) in München-Gern, Kratzerstraße 13[92], das der mit seiner Familie seit 1914 bewohnte. Reinhold Geheeb, der jüngere Bruder des Reformpädagogen Paul Geheeb (1870-1961), war promovierter Romanist mit Staatsexamen. Der Verleger Albert Langen hatte ihn am 1. August 1897, also im Jahr nach der Gründung des Simplicissimus, eingestellt, woraus sich eine Lebensstellung ergab. Von 1901 bis 1925 leitete Geheeb als Chefredakteur den Simplicissimus und war dort auch, wie Korfiz Holm berichtet, der Autor zahlreicher „Bildlegenden“ unter den Witzzeichnungen.[93] Folglich gab Geheeb, zusammen mit Ludwig Thoma, 1908 Die 411 besten Witze aus dem Simplicissimus heraus.

Nach dem Tod Albert Langens 1909 führten Geheeb und Holm innerhalb eines Kuratoriums die Verlagsgeschäfte bis zum Verkauf 1931 an den Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband und der Fusion mit dem Georg Müller Verlag.

Bei Geheeb hatte Hesse schon im März 1907 in der Ainmillerstraße 31/0 gewohnt und war 1913 bei einem Abendessen mit dem Ehepaar Olaf und Grete Gulbransson (vgl. Station 1) und dem Künstler Rudolf Sieck bei Geheeb in der Tengstraße 41/III dabei.[94] Ein Foto zeigt Hermann Hesse und Reinhold Geheeb bei einem Besuch des Münchner Freundes in Montagnola, vermutlich im Sommer 1925. Hesse wiederum flüchtete zu dem Freund auf seiner Nürnberger Reise im November 1925 („Er ist derjenige in der ‚Nürnberger Reise‘, der mich in München abholt.“)[95], und fand dort wieder Obdach im April 1929, als er sich zu der Lesung im Hotel Vier Jahreszeiten einfand (vgl. Station 11) und bei der Gelegenheit einige Museen besuchte (vgl. Stationen 6 und 7). Geheeb war wiederum auch der Vorwand dafür, sich lästige Besucher vom Hals zu halten. So kündigte Hesse seinen München-Aufenthalt ab Mitte April 1929 zwar an, schloss aber zugleich eine „Zusammenkunft“ aus, da er „dort durch Gastfreundschaft zu sehr gebunden“ sei.[96]

In Geheebs Haus in der Villenkolonie Gern hatte Hesse es sehr gut, wie er in der Nürnberger Reise mehrmals kundtat:

Bei meinem Freunde blieb ich nun, weit draußen in einer ländlichen Gegend vor München, noch manche Tage, um mich zu erholen und mir über die Technik der Rückreise klarzuwerden. (…) Draußen in Nymphenburg hatte ich es gut und wurde verwöhnt, konnte den ganzen Tag die Augen ins kühle Wasser stecken oder unter den alten feierlichen Bäumen auf und nieder gehen und den welken Blättern zusehen, wie sie so lustig im Wind davontreiben, unsre kleinen Brüder. Oft sah ich ihnen zu, traurig, oft auch sah ich ihnen zu und lachte. Wie sie, so treibe auch ich, heut nach München, morgen nach Zürich, dann wieder zurück, auf der Suche, aus dem Trieb, den Tod noch eine kleine Weile hinauszuschieben. Warum wehrt man sich denn so? betrübte ich mich. Weil dies das Spiel des Lebens ist, lachte ich.[97]

Und so gingen Hesse und Geheeb dann auch abends zu Karl Valentin und Liesl Karlstadt in die „Raubritter vor München“! (Vgl. Station 10). Geheebs Tochter Charlotte (1924-1986) hat in einer Kindheitserinnerung davon berichtet, wie freundlich Hesse in diesen Tagen zu dem kleinen Mädchen gewesen ist. An einem Herbstnachmittag saß Hesse

in einem Sessel am Fenster unseres Eßzimmers im Zwielicht des versinkenden Tages; ich stand – ein kleines Mädchen von vier Jahren – neben ihm und hörte aufmerksam auf das, was er mir erzählte. Ich kann mich heute nicht mehr erinnern, was gesprochen wurde. Außerordentlich deutlich im Bewußtsein geblieben ist mir hingegen die Atmosphäre dieser Stunde, die großen ernsthaften Augen hinter der Brille und die warme menschliche Güte und Herzlichkeit, die von diesem Manne ausstrahlte, der es verstand, dem Kind eine Stunde hinzuzaubern, die ihm für immer im Gedächtnis bleiben würde.[98]

Ein letztes Mal nach München kam Hermann Hesse im Februar 1934 auf dem Weg zu seinem Augenarzt am Tegernsee und war damals „einen Tag (…) bei Geheeb“.[99] Die Verbindung mit Geheebs hielt aber auch nach dem Tod des Freundes noch lange an.  

 


Station 13 von 13 Stationen


 


[92] Vgl. Orte, die Hermann Hesse in München besuchte, in: Wittmann: Hesse und München (wie Anm. 3), S. 41.

[93] Korfiz Holm: Dr. Reinhold Geheeb †, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel (Leipzig) Nr. 42 vom 18.02.1939, S. 142-144, hier S. 143.

[94] Vgl. Orte, die Hermann Hesse in München besuchte, in: Wittmann: Hesse und München (wie Anm. 3), S. 40-42, hier S. 40.

[95] Hermann Hesse: Auszug aus einem Brief an Otto Basler 1939, zit. in: Hermann Hesse: Brief an Alfred Kubin, Montagnola, Ende Februar 1939, in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Dritter Band (wie Anm. 2), Nr. 100, S. 112-114, hier S. 114, Anm. 5.

[96] Hermann Hesse: Brief an Heinrich Wiegand, in: ebd., Nr. 173, S. 212-215, hier S. 215.

[97] Hermann Hesse: Die Nürnberger Reise (1927) (wie Anm. 42), S. 179, 180f.

[98] Charlotte Geheeb: Neujahrsgruß nach Montagnola. Gedanken an Hermann Hesse, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (Leipzig), Jg. 121, Nr. 1 vom 02.01.1954, S. 24-26, hier S. 24.

[99] Hermann Hesse: Brief an Alfred Kubin, April 1934, in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Zweiter Band (wie Anm. 5), S. 422-424, hier S. 423.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

Verwandte Inhalte
Literarische Wege
Literarische Wege