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Hermann Hesse, ca. 1927

Gertrud in der Mandlstr. 8

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Dem Verleger Albert Langen (1869-1909), an dessen Satirezeitschrift Simplicissimus Hermann Hesse seit 1905 mitarbeitete, hatte der junge Autor einen Roman versprochen und hielt sich an die Zusage auch nach dem frühen Tod des Verlegers.[14] Nachdem Albert Langen, Reinhold Geheeb, Rudolf Sieck und Ludwig Thoma den zukünftigen Kollegen Hesse im Mai 1906 persönlich in Gaienhofen auf der Halbinsel Höri am Bodensee besucht und ihn auf seine erste Autoreise nach München mitgenommen hatten (vgl. Station 13)[15], ist es nicht nur gut möglich, sondern sogar sehr wahrscheinlich, dass Hesse auch in Langens neues Haus an der Mandlstraße 3 (heute 8) eingeladen wurde, das der Verleger von März 1906 bis zu seinem Tod am 30. April 1909 bewohnte.[16]

In seinem Nachruf erinnert sich Hesse „an ein paar Abende im Langenschen Hause“ und vor allem daran, welche „wohlige Lust“ Langen „am neuangelegten Garten und Gartenhaus gehabt“ habe:

Mit derselben Lust baute und änderte und modelte er an seinem Hause, an seinen Zimmern und Möbeln, die ich bei jedem Münchner Besuch neu eingerichtet und gestellt fand. Da kaufte er alte Sachen, ließ sie herrichten, hatte stets Handwerker im Haus, zeigte fröhlich eine alte Uhr oder Tasse, freute sich am Umordnen und Ändern und war doch anhänglich an alles, was er liebte, vor allem an die vielen schönen Sieck-Landschaften, von denen er mehr in seinen Zimmern hängen hatte als irgendein anderer Bilderbesitzer.[17]

Und so könnte es auch gut sein, dass der Schauplatz München in Hesses melodramatischem Künstler- und Liebesroman Gertrud (1910) ebenfalls kein Zufall ist und die „Oper“, die der Held, der Komponist Gottfried Kuhn, als Liebesbeweis für die Sopranistin Gertrud Imthor schreibt, nichts anderes wäre als die Verschlüsselung für den Roman Hesses. Noch dazu ist der Sänger Heinrich Muoth, mit dem Gertrud eine unglückliche Ehe eingeht, am Ende eben dort in Schwabing zu finden, wo Albert Langen wohnte. Der Komponist fährt zur Einstudierung seiner Oper nach München:

Am Morgen nach meiner Ankunft fuhr ich durch die schönen, breiten Straßen nach Schwabing und zu dem still gelegenen Hause, wo Muoth wohnte. Die Oper hatte ich völlig vergessen, ich dachte nur an ihn und an Gertrud und wie ich sie finden würde. Der Wagen hielt an einer fast ländlichen Nebenstraße vor einem kleinen Hause, das in herbstlichen Bäumen stand, gelbe Ahornblätter lagen zu beiden Seiten des Weges in Haufen gefegt. Beklommen trat ich ein, das Haus machte einen behaglich herrschaftlichen Eindruck, ein Diener nahm den Mantel ab.[18]

Zwei Wochen wohnt Kuhn bei Muoth und Gertrud, ein paar Tage nach der Premiere reist er ab:

Als ich Abschied genommen hatte, sah ich von draußen noch eine Weile auf das stille Haus in den winterlichen Bäumen, hoffte dort noch manchmal einzukehren und hätte gern mein bißchen Zufriedenheit und Glück hingegeben, um den beiden drinnen von neuem und für immer zueinander zu helfen.[19]

Das Beispiel zeigt, wie eine äußere Staffage, hier das Haus Albert Langens an der Mandlstraße 3 (heute 8), zum Schauplatz wird für eine Geschichte, die sich freilich von diesem Schauplatz gleich löst und auch anderswo spielen könnte. In diesem einen speziellen Fall lässt sich eine Überblendung von Person und Figur, also von Hesse selbst zu Kuhn und von dort zu Gertrud und ihrem Vorbild, der Tanzpädagogin und Choreographin Elisabeth La Roche[20], beobachten und folglich in dem Schwabinger Haus als Schauplatz eine versteckte Hommage an den damals plötzlich verstorbenen Verleger und Freund erkennen.

 


Station 4 von 13 Stationen


 


[14] Vgl. Nachwort des Herausgebers, in: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 2: Die Romane: Peter Camenzind, Unterm Rad, Gertrud. Frankfurt am Main 2003, S. 553-570, hier S. 563f.

[15] Vgl. Hermann Hesse: Brief an Alfred Kubin. Ende Februar 1939, in: Hermann Hesse: Gesammelte Briefe, Dritter Band (wie Anm. 2), Nr. 100, S. 112f, hier S. 113 sowie ebd. Anm. 5; zur Datierung des Besuchs vgl. die Zeittafel in: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Registerband, hrsg. von Volker Michels, Frankfurt am Main 2007, S. 19.

[16] Vgl. Der Verleger Albert Langen und seine Mitarbeiter, in: Dirk Heißerer: Wo die Geister wandern (wie Anm. 8), S. 44-50, hier S. 49f.

[17] Hermann Hesse: Albert Langen (1909), in: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 12, Autobiographische Schriften II. Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Gedenkblätter und Rundbriefe. Frankfurt am Main 2003, S. 289-292, hier S. 289f., 292. Zu dem Maler Rudolf Sieck (1877-1957) vgl. Wittmann: Hesse und München (wie Anm. 3), S. 30-33.

[18] Hermann Hesse: Gertrud. Roman. In: Hermann Hesse: Sämtliche Werke, Band 2 (wie Anm. 14), Kapitel 7, S. 406f.

[19] Ebd., S. 414.

[20] Vgl. Nachwort des Herausgebers, in: ebd., S. 567-569.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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