Hans von Weber Verlag, Adalbertstraße 76
Kafkas erste Publikation waren acht römisch nummerierte Prosastücke unter dem Titel „Betrachtung“ in einer Münchner Luxuszeitschrift.[1] Das erste Heft des zweimonatlich erscheinenden Hyperion, herausgegeben von Franz Blei und Carl Sternheim, erschien erstmals im März 1908 im Hans von Weber Verlag, damals ansässig im noch heute bestehenden Haus Adalbertstraße 76/0. Den Herausgeber Franz Blei kannten Franz Kafka und sein Freund, der Literat Max Brod (1884-1968), bereits über Bleis erotische Zeitschriften Der Amethyst (1906) und Die Opale (1907), die die beiden jungen Männer abonniert hatten. Die acht Prosastücke für den neuen, vergleichsweise seriösen Hyperion, hatte Max Brod vermittelt.[2] Sie erschienen 1913 auch in Kafkas erster Buchveröffentlichung Betrachtung.[3] Kafka war damals 24 Jahre alt, seit Juni 1906 promovierter Jurist und – nach einem Jahr als Rechtspraktikant – seit Oktober 1907 in Prag Aushilfskraft einer italienischen Versicherungsgesellschaft.[4] Im Juli 1908 trat er dann als Beamter in die halbstaatliche „Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“ ein; daneben veröffentlichte er im Frühjahr 1909 im zweiten Jahrgang des Hyperion zwei weitere Prosastücke aus einem größeren Manuskript.[5]
Dr. Franz Blei (1871-1942) aus Wien, der Freund Robert Musils, Vermittler Paul Claudels und André Gides nach Deutschland und dort ‚Entdecker‘ so unterschiedlicher Autoren wie Annette Kolb, Carl Einstein und Robert Walser, hat später das Phänomen Kafka stimmig pointiert:
„Der Fall des Schriftstellers Kafka ist ungewöhnlich insofern, als zu seinen Lebzeiten die Nebenwerke, nach seinem Tode die Hauptwerke veröffentlicht wurden, soweit sie ihr Verfasser vor seinem Sterben nicht zerstörte.“[6]
Und auch an Kafkas Stil hatte Franz Blei schon bei den ersten Prosastücken im Hyperion eine besondere Eigenschaft bemerkt:
„Die Schreibweise Kafkas, seine Diktion oder wenn man will sein Stil steht in der ersten von ihm veröffentlichten Arbeit fest, ändert sich nicht mehr, bleibt durchaus der gleiche bis zur letzten von ihm geschriebenen Seite. Es ist eine einfache, unverzierte, klare, etwas kalte, bilderarme deutsche Prosa von höchster Anschaulichkeit und Eindringlichkeit in der erzählten Fläche, mit nur geringem Relief in der Plastik.“[7]
Kafka wiederum hat sich zu Franz Blei zweimal öffentlich geäußert. In der Zeitschrift Der neue Weg (Berlin) rezensierte er im Februar 1909 Bleis Buch Die Puderquaste. Ein Damenbrevier. Aus den Papieren des Prinzen Hippolyte, das kurz zuvor im Hans von Weber Verlag erschienen war.[8] Und ein Jahr nach dem Ende des Hyperion verfasste Kafka einen Nachruf auf die Zeitschrift. Er rückt sie in die Nachfolge der erfolgreichen Vorgänger-Zeitschriften Pan und Insel, bezeichnet das gescheiterte Experiment als „verblendete Begeisterung“, verneigt sich aber auch vor dem Herausgeber und dem Verleger, die dieses Experiment gewagt haben:
„Der wesentliche Herausgeber war Franz Blei, dieser bewundernswerte Mann, den die Mannigfaltigkeit seiner Talente in die dichteste Literatur hineintreibt, wo er sich aber nicht befreien und halten kann, sondern mit verwandelter Energie zu Zeitschriftengründungen entläuft. Der Verleger war Hans von Weber, dessen Verlag zuerst vom ‚Hyperion‘ ganz überdeckt war, heute aber, ohne sich in eine Seitengasse der Literatur zu verstecken, ohne aber auch mit allgemeinen Programmen zu strahlen, einer der zielbewußtesten großen deutschen Verlage geworden ist.“[9]
Selten, wenn nicht sogar einzigartig dürfte in der literarischen Welt diese gegenseitige Wertschätzung und Förderung zwischen dem ‚Entdecker‘ Blei und seinem ‚Schützling‘ Kafka gewesen sein. Franz Blei sorgte dafür, dass der Literaturbetrieb den Außenseiter Kafka nach und nach wahrnahm, so dass er eben nicht in einer „Seitengasse der Literatur“ verschwinden musste. Dieses Schicksal hatte ihm in Prag der etwas jüngere Dichter Franz Werfel (1890-1945) vorhergesagt, als Max Brod ihm und Willy Haas einige der im Hyperion erschienenen Skizzen Kafkas vorgelesen hatte. Haas erinnert sich, er und Werfel hätten sich erst verwundert angeschaut. „Dann sagte Werfel, ziemlich aufgebracht: ‚Das geht niemals über Bodenbach hinaus!‘ – Bodenbach war damals die Grenzstation zwischen Böhmen und Reichsdeutschland.“[10] Doch darin sollte Franz Werfel sich irren.
Abb. 11b: Die erste Seite der ersten Publikation Franz Kafkas in der Zeitschrift Hyperion (München), 1908. Privatbesitz.
Zur Station 10 von 13 Stationen
[1] Franz Kafka: Betrachtung, in: Hyperion (München), Jg. 1 (1908), H. 1, S. 91-94.
[2] Paul Raabe: Franz Kafka und Franz Blei. Samt einer wiederentdeckten Buchbesprechung Kafkas, in: Jürgen Born, Ludwig Dietz, Malcolm Pasley, Paul Raabe, Klaus Wagenbach: Kafka-Symposion. München 1969, S. 7-16.
[3] Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (Franz Kafka: Schriften, Tagebücher. Kritische Ausgabe), hrsg. von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 15f.
[4] Kafka Chronik 1999 (wie Anm. 39), S. 39, 42.
[5] Franz Kafka: Gespräch mit dem Beter; Gespräch mit dem Betrunkenen, in: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Hrsg. von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 384-400; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 497-501.
[6] Franz Blei: Franz Kafka, in: Franz Blei: Zeitgenössische Bildnisse, Amsterdam 1940, S. 328-339, hier S. 330.
[7] Ebd., S. 331.
[8] Franz Kafka: Ein Damenbrevier, in: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten (wie Anm. 101), S. 381-383; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 495f.
[9] Franz Kafka: Eine entschlafene Zeitschrift. Erstdruck in: Bohemia (Prag), Jg. 84, Nr. 78 vom 19.3.1911, Morgen-Ausgabe, S. 33, hier zit. n.: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten (wie Anm. 101), S. 416-418, hier S. 418, 416; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 523-528.
[10] Willy Haas: Die Literarische Welt. Erinnerungen. München 1957, S. 30. „In dem auf österreichischer Seite gelegenen Grenzort Tetschen-Bodenbach [heute tschechisch Děčín] an der Bahnlinie Prag-Dresden“ trafen sich Franz Kafka und seine ehemalige Verlobte Felice Bauer im Januar und im Mai 1915, vgl. Br III (wie Anm. 2), S. 502.
Kafkas erste Publikation waren acht römisch nummerierte Prosastücke unter dem Titel „Betrachtung“ in einer Münchner Luxuszeitschrift.[1] Das erste Heft des zweimonatlich erscheinenden Hyperion, herausgegeben von Franz Blei und Carl Sternheim, erschien erstmals im März 1908 im Hans von Weber Verlag, damals ansässig im noch heute bestehenden Haus Adalbertstraße 76/0. Den Herausgeber Franz Blei kannten Franz Kafka und sein Freund, der Literat Max Brod (1884-1968), bereits über Bleis erotische Zeitschriften Der Amethyst (1906) und Die Opale (1907), die die beiden jungen Männer abonniert hatten. Die acht Prosastücke für den neuen, vergleichsweise seriösen Hyperion, hatte Max Brod vermittelt.[2] Sie erschienen 1913 auch in Kafkas erster Buchveröffentlichung Betrachtung.[3] Kafka war damals 24 Jahre alt, seit Juni 1906 promovierter Jurist und – nach einem Jahr als Rechtspraktikant – seit Oktober 1907 in Prag Aushilfskraft einer italienischen Versicherungsgesellschaft.[4] Im Juli 1908 trat er dann als Beamter in die halbstaatliche „Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“ ein; daneben veröffentlichte er im Frühjahr 1909 im zweiten Jahrgang des Hyperion zwei weitere Prosastücke aus einem größeren Manuskript.[5]
Dr. Franz Blei (1871-1942) aus Wien, der Freund Robert Musils, Vermittler Paul Claudels und André Gides nach Deutschland und dort ‚Entdecker‘ so unterschiedlicher Autoren wie Annette Kolb, Carl Einstein und Robert Walser, hat später das Phänomen Kafka stimmig pointiert:
„Der Fall des Schriftstellers Kafka ist ungewöhnlich insofern, als zu seinen Lebzeiten die Nebenwerke, nach seinem Tode die Hauptwerke veröffentlicht wurden, soweit sie ihr Verfasser vor seinem Sterben nicht zerstörte.“[6]
Und auch an Kafkas Stil hatte Franz Blei schon bei den ersten Prosastücken im Hyperion eine besondere Eigenschaft bemerkt:
„Die Schreibweise Kafkas, seine Diktion oder wenn man will sein Stil steht in der ersten von ihm veröffentlichten Arbeit fest, ändert sich nicht mehr, bleibt durchaus der gleiche bis zur letzten von ihm geschriebenen Seite. Es ist eine einfache, unverzierte, klare, etwas kalte, bilderarme deutsche Prosa von höchster Anschaulichkeit und Eindringlichkeit in der erzählten Fläche, mit nur geringem Relief in der Plastik.“[7]
Kafka wiederum hat sich zu Franz Blei zweimal öffentlich geäußert. In der Zeitschrift Der neue Weg (Berlin) rezensierte er im Februar 1909 Bleis Buch Die Puderquaste. Ein Damenbrevier. Aus den Papieren des Prinzen Hippolyte, das kurz zuvor im Hans von Weber Verlag erschienen war.[8] Und ein Jahr nach dem Ende des Hyperion verfasste Kafka einen Nachruf auf die Zeitschrift. Er rückt sie in die Nachfolge der erfolgreichen Vorgänger-Zeitschriften Pan und Insel, bezeichnet das gescheiterte Experiment als „verblendete Begeisterung“, verneigt sich aber auch vor dem Herausgeber und dem Verleger, die dieses Experiment gewagt haben:
„Der wesentliche Herausgeber war Franz Blei, dieser bewundernswerte Mann, den die Mannigfaltigkeit seiner Talente in die dichteste Literatur hineintreibt, wo er sich aber nicht befreien und halten kann, sondern mit verwandelter Energie zu Zeitschriftengründungen entläuft. Der Verleger war Hans von Weber, dessen Verlag zuerst vom ‚Hyperion‘ ganz überdeckt war, heute aber, ohne sich in eine Seitengasse der Literatur zu verstecken, ohne aber auch mit allgemeinen Programmen zu strahlen, einer der zielbewußtesten großen deutschen Verlage geworden ist.“[9]
Selten, wenn nicht sogar einzigartig dürfte in der literarischen Welt diese gegenseitige Wertschätzung und Förderung zwischen dem ‚Entdecker‘ Blei und seinem ‚Schützling‘ Kafka gewesen sein. Franz Blei sorgte dafür, dass der Literaturbetrieb den Außenseiter Kafka nach und nach wahrnahm, so dass er eben nicht in einer „Seitengasse der Literatur“ verschwinden musste. Dieses Schicksal hatte ihm in Prag der etwas jüngere Dichter Franz Werfel (1890-1945) vorhergesagt, als Max Brod ihm und Willy Haas einige der im Hyperion erschienenen Skizzen Kafkas vorgelesen hatte. Haas erinnert sich, er und Werfel hätten sich erst verwundert angeschaut. „Dann sagte Werfel, ziemlich aufgebracht: ‚Das geht niemals über Bodenbach hinaus!‘ – Bodenbach war damals die Grenzstation zwischen Böhmen und Reichsdeutschland.“[10] Doch darin sollte Franz Werfel sich irren.
Abb. 11b: Die erste Seite der ersten Publikation Franz Kafkas in der Zeitschrift Hyperion (München), 1908. Privatbesitz.
Zur Station 10 von 13 Stationen
[1] Franz Kafka: Betrachtung, in: Hyperion (München), Jg. 1 (1908), H. 1, S. 91-94.
[2] Paul Raabe: Franz Kafka und Franz Blei. Samt einer wiederentdeckten Buchbesprechung Kafkas, in: Jürgen Born, Ludwig Dietz, Malcolm Pasley, Paul Raabe, Klaus Wagenbach: Kafka-Symposion. München 1969, S. 7-16.
[3] Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (Franz Kafka: Schriften, Tagebücher. Kritische Ausgabe), hrsg. von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 15f.
[4] Kafka Chronik 1999 (wie Anm. 39), S. 39, 42.
[5] Franz Kafka: Gespräch mit dem Beter; Gespräch mit dem Betrunkenen, in: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Hrsg. von Wolf Kittler, Hans-Gerd Koch und Gerhard Neumann. Frankfurt am Main 2002, S. 384-400; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 497-501.
[6] Franz Blei: Franz Kafka, in: Franz Blei: Zeitgenössische Bildnisse, Amsterdam 1940, S. 328-339, hier S. 330.
[7] Ebd., S. 331.
[8] Franz Kafka: Ein Damenbrevier, in: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten (wie Anm. 101), S. 381-383; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 495f.
[9] Franz Kafka: Eine entschlafene Zeitschrift. Erstdruck in: Bohemia (Prag), Jg. 84, Nr. 78 vom 19.3.1911, Morgen-Ausgabe, S. 33, hier zit. n.: Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten (wie Anm. 101), S. 416-418, hier S. 418, 416; vgl. Franz Kafka: Drucke zu Lebzeiten. Apparatband (wie Anm. 99), S. 523-528.
[10] Willy Haas: Die Literarische Welt. Erinnerungen. München 1957, S. 30. „In dem auf österreichischer Seite gelegenen Grenzort Tetschen-Bodenbach [heute tschechisch Děčín] an der Bahnlinie Prag-Dresden“ trafen sich Franz Kafka und seine ehemalige Verlobte Felice Bauer im Januar und im Mai 1915, vgl. Br III (wie Anm. 2), S. 502.