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Franz Kafka (Fotografie aus dem Atelier Jacobi, 1906)

Odeonsplatz

Nachdem Kafka im Café Luitpold vielleicht noch einmal einen Kaffee getrunken hat, konnte er weiter zur Feldherrnhalle und durch das Hofgartentor in den Hofgarten gehen. Auf dem Rückweg sah er gegenüber den Odeonsplatz mit dem Reiterdenkmal für König Ludwig I. von Bayern (1862). Der Odeonsplatz ist benannt nach dem Konzertsaal „Odeon“ (1828) mit der Musikakademie (seit 1846). Der Konzertsaal ging im Zweiten Weltkrieg unter und wurde danach in ein Bürogebäude für das heutige Innenministerium umgebaut.[1]

Vom Odeon führt ein Seitenflügel zur Ludwigstraße; an der Ecke war die Kunsthandlung Jakob Littauer untergebracht. Sie ist als „Schönheitssalon“ Schauplatz der München-Novelle „Gladius Dei“ von Thomas Mann, erstmals gedruckt im Juli 1902 in der Wiener Wochenschrift Die Zeit, die Kafka las.[2] „Gladius Dei“ wurde von Thomas Mann wiederum in seinen zweiten Novellenband Tristan aufgenommen, der seit Frühjahr 1903 vorlag; darin fand sich auch die Künstlernovelle „Tonio Kröger“, die schon im Februar 1903 von der Neuen Rundschau (Berlin) präsentiert wurde und auf Kafka besonderen Eindruck gemacht hatte, wie sich Max Brod erinnert: „(…) aber er liebte Thomas Manns ‚Tonio Kröger‘ und suchte in der ‚Neuen Rundschau‘ jede Zeile dieses Autors andächtig auf“.[3]

Was Thomas Manns Werke anging, so war Kafka demnach schon früh im Bilde. Im Novellenband Tristan, den ein markanter Schutzumschlag des Zeichners Alfred Kubin umgab, fand er nicht nur „Tonio Kröger“ finden, sondern eben auch „Gladius Dei“ mit seinem konkreten Bezug auf das Münchner Odeon und den Odeonsplatz. Nach der Eingangsformel „München leuchtete“ wird neben der Kunstadt auch die Musikstadt München mit dem Odeon erwähnt: 

„Viele Fenster stehen geöffnet, und aus vielen klingt Musik auf die Straßen hinaus, Übungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violoncell, redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemühungen. Im ‚Odeon‘ aber wird, wie man vernimmt, an mehreren Flügeln ernstlich studiert.“[4]

Hellhörig dürfte Kafka auch aufgrund der danach erwähnten „kleinen Skulptur-, Rahmen und Antiquitätenhandlungen“[5] geworden sein „Und der Besitzer des kleinsten und billigsten dieser Läden spricht dir von Donatello und Mino da Fiesole, als habe er das Vervielfältigungsrecht von ihnen persönlich empfangen…“.[6] Das musste ihn an seine eigenen Bestellungen bei Weinknecht im Vorjahr erinnern, zu denen ein „Johannes von Donatello“[7] gehört hatte. Und so könnte Kafka Thomas Manns Novelle beinahe sogar wie einen Reiseführer gelesen und verstanden haben, wer und was konkret dort „am Odeonsplatz“ mit dem Gedränge der „Leute um die breiten Fenster und Schaukästen des großen Kunstmagazins, des weitläufigen Schönheitsgeschäfts von M. Blüthenzweig“[8] gemeint war: Der jüdische Kunsthändler Jakob Littauer, dessen Name, kombiniert mit dem des bayerischen Reproduktionenhändlers Franz Hanfstaengl, den literarischen Kunsthändler „Blüthenzweig“ ergab.[9] Mit Thomas Manns Hilfe könnte sich Kafka also auch ohne die Ratschläge seines Freundes Paul Kisch ganz gut selbst im damaligen literarisch-künstlerischen München zurechtgefunden haben.

 


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[1] Vgl. Odeonsplatz 3 in: Biller, Rasp 22003 (wie Anm. 44), S. 314.

[2] Max Brod berichtet, Kafka habe sich einmal an einem „Preisausschreiben der Wiener ‚Zeit‘ mit einer Erzählung beteiligt“, wenn auch ohne Erfolg (Brod 1986 (wie Anm. 6), S. 59).

[3] Brod 1986 (wie Anm. 6), S. 46, Anm.

[4] Thomas Mann: Gladius Dei (1902), in: Thomas Mann: Gesammelte Werke in dreizehn Bänden, Bd. VIII. Erzählungen. Frankfurt am Main 1974, S. 197-215, hier S. 197.

[5] Ebd., S. 198.

[6] Thomas Mann: Gladius Dei (1902) (wie Anm. 53), S. 198.

[7] Vgl. die Angaben zum Weinknecht-Katalog in Anm. 13.

[8] Thomas Mann: Gladius Dei (1902) (wie Anm. 53), S. 198.

[9] „Gladius Dei“ am Odeonsplatz, in: Dirk Heißerer: München leuchtete. Die Kunststadt aus zweiter Hand, in: Dirk Heißerer: Im Zaubergarten. Thomas Mann in Bayern. München 22005, S. 72-81, hier S. 72-77.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer

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