Pension Lorenz, Sophienstraße 5c (II)
Zurück in den November 1903. Kafka wartet in den nächsten Tagen vergeblich auf Antwort von Paul Kisch. Vier Tage später fragt er auf zwei fortlaufend beschrifteten Ansichtskarten, schon etwas wütend: „Ja warum schreibst Du mir denn nicht, Mensch? Du wolltest mir doch Adressen angeben von Firmen, von denen Du etwas haben willst.“[1] Die Freunde hatten sich demnach in der Frage von Bestellungen, wie einst bei den Kunstrepliken der Firma Weinknecht in der Theresienstraße 66 (vgl. den Prolog), neu verabredet.
Kafka kann sich das Schweigen seines Freundes nicht erklären und fragt sich, ob es vielleicht noch einen anderen Grund haben könnte:
„Oder erwartest Du einen Brief von mir? Wirklich ich kann nicht. Sieh doch, alles wozu Du ein gesegnetes halbes Jahr Zeit hattest, soll ich in kaum 14 Tagen aufessen. Und mit vollem, mit ganz vollem Munde essen und zugleich über das Essen schreiben – beiläufig 50 Karten habe ich ja doch zu schreiben – das ist doch zuviel. Erst beim Verdauen kann man etwas über dieses wunderbare München sagen.“[2]
Immerhin originell, das gedrängte Erlebnis München mit einem Essen zu vergleichen, dem er nicht nachkommen könne, da ihm zu viel aufgetischt werde! Doch auch auf diesen Hilferuf aus der Schlaraffenstadt erhält er keine Antwort. Auf einer verschollenen Karte versucht es Kafka dann noch einmal, und als auch das nichts bringt, flucht er dem Freund am 5. Dezember 1903, bereits auf der Rückreise nach Prag, auf einer Kunstpostkarte, die er in Nürnberg einwirft: „Du verfluchter Kerl. Du bist der einzige an den ich nur mit Wuth habe denken können. (…) Ich bitte um die Adressen, bitte, bitte“[3], auch wenn die, wenn sie noch gekommen wären,
Gut möglich, dass Kafka, zurück in Prag, Paul Kisch zur Rede gestellt und dabei die falsche Adresse als Grund für das vermeintliche briefliche Schweigen seines Freundes erkannt hat. Vielleicht hat er sich auch für seinen Fluch entschuldigt und erklärt, dass er sich dafür eines literarischen Vorbilds bedient hat (Station 8).
Zur Station 4 von 13 Stationen
[1] Franz Kafka: Ansichtskarte an Paul Kisch, München, 30.11.1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 31f., Brief 26, hier S. 31; Abb. der beiden Bildmotive S. 403.
[2] Ebd., S. 31f.
[3] Franz Kafka: Kunstpostkarte an Paul Kisch, München 5.12.1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 32, Brief 28, Abb. des Bildmotivs S. 404.
Zurück in den November 1903. Kafka wartet in den nächsten Tagen vergeblich auf Antwort von Paul Kisch. Vier Tage später fragt er auf zwei fortlaufend beschrifteten Ansichtskarten, schon etwas wütend: „Ja warum schreibst Du mir denn nicht, Mensch? Du wolltest mir doch Adressen angeben von Firmen, von denen Du etwas haben willst.“[1] Die Freunde hatten sich demnach in der Frage von Bestellungen, wie einst bei den Kunstrepliken der Firma Weinknecht in der Theresienstraße 66 (vgl. den Prolog), neu verabredet.
Kafka kann sich das Schweigen seines Freundes nicht erklären und fragt sich, ob es vielleicht noch einen anderen Grund haben könnte:
„Oder erwartest Du einen Brief von mir? Wirklich ich kann nicht. Sieh doch, alles wozu Du ein gesegnetes halbes Jahr Zeit hattest, soll ich in kaum 14 Tagen aufessen. Und mit vollem, mit ganz vollem Munde essen und zugleich über das Essen schreiben – beiläufig 50 Karten habe ich ja doch zu schreiben – das ist doch zuviel. Erst beim Verdauen kann man etwas über dieses wunderbare München sagen.“[2]
Immerhin originell, das gedrängte Erlebnis München mit einem Essen zu vergleichen, dem er nicht nachkommen könne, da ihm zu viel aufgetischt werde! Doch auch auf diesen Hilferuf aus der Schlaraffenstadt erhält er keine Antwort. Auf einer verschollenen Karte versucht es Kafka dann noch einmal, und als auch das nichts bringt, flucht er dem Freund am 5. Dezember 1903, bereits auf der Rückreise nach Prag, auf einer Kunstpostkarte, die er in Nürnberg einwirft: „Du verfluchter Kerl. Du bist der einzige an den ich nur mit Wuth habe denken können. (…) Ich bitte um die Adressen, bitte, bitte“[3], auch wenn die, wenn sie noch gekommen wären,
Gut möglich, dass Kafka, zurück in Prag, Paul Kisch zur Rede gestellt und dabei die falsche Adresse als Grund für das vermeintliche briefliche Schweigen seines Freundes erkannt hat. Vielleicht hat er sich auch für seinen Fluch entschuldigt und erklärt, dass er sich dafür eines literarischen Vorbilds bedient hat (Station 8).
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[1] Franz Kafka: Ansichtskarte an Paul Kisch, München, 30.11.1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 31f., Brief 26, hier S. 31; Abb. der beiden Bildmotive S. 403.
[2] Ebd., S. 31f.
[3] Franz Kafka: Kunstpostkarte an Paul Kisch, München 5.12.1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 32, Brief 28, Abb. des Bildmotivs S. 404.