Café Luitpold (I)
Aus dem laufenden Semester bricht Franz Kafka für fast zwei Wochen aus und reist am 24. November 1903 nach München. Aus diesen Tagen bis zum 5. Dezember 1903 sind vier Karten an Paul Kisch erhalten, eine Postkarte, zwei Ansichtskarten und eine Kunstpostkarte. Sie geben Aufschluss über das, was Kafka damals in München erlebte, und auch, woran er verzweifelte.
Die Freunde hatten die Rollen getauscht: Paul Kisch war nach dem einen Semester in München wieder nach Prag zurückgekehrt[1], und Kafka war stattdessen in München angekommen. Am zweiten Tag seines Aufenthalts, am Donnerstag, dem 26. November 1903, sitzt Kafka im noblen Café Luitpold an der Brienner Straße 8 (Abb. 3) (heute Brienner Straße 11) und schreibt, leicht genervt, an Paul Kisch: „So, das schreibe ich im Luitpold, ich habe einen schlechten Kaffee getrunken und ich werde noch eine schlechtere Karte schreiben.“[2]
Kafka sitzt also im nobelsten Café Münchens, dem Künstlertreff der gehobenen Art, und nörgelt. Dann berichtet er allgemein von den ersten Eindrücken und davon, dass eine Verabredung mit dem gemeinsamen Schulfreund Emil Utitz nicht zustande gekommen sei:
„Das Oberflächlichste von München habe ich in den 2 Tagen gerade betastet und so kleine Blicke in das Innere bekommen. Um das rascher und selbständiger zu machen, habe ich mich vor Utitz ziemlich ferngehalten ja heute leider Gottes sogar ein Rendezvous versäumt. Von Morgen ab schleiche ich mich dann in die Gesellschaft ein. – Ich werde viel Nutzen von München haben.“[3]
Das „Oberflächlichste von München“, damit könnten die Gebäude zwischen dem Königsplatz und der Residenz gemeint sein, die Kafka bei seinen ersten Spaziergängen leicht aufsuchen konnte. Das damalige schlechte Wetter, das Thomas Manns Schwiegermutter Hedwig Pringsheim im Tagebuch festhielt[4], erwähnt Kafka auf seiner Karte aber nicht und nutzte den Platz lieber für seine Adresse, bei der ihm besagter Fehler unterlief.
Zur Station 2 von 13 Stationen
[1] Die Annahme, Kafka habe Paul Kisch „im Herbst 1903“ in München besucht, beruht auf einem Irrtum; vgl. Kilcher 2021 (wie Anm. 19), S. 215.
[2] Franz Kafka: Postkarte an Paul Kisch, München 26. November 1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 31, Brief 25.
[3] Ebd. Mit dem ‚Einschleichen‘ deutet Kafka vermutlich den Umstand an, dass er sich in München nicht amtlich angemeldet habe. Max Brod spricht in einem ähnlichen Fall von einem „Konfidentenausdruck“, also einem Ausdruck im Vertrauen (Max Brod: Der Prager Kreis. Stuttgart u.a. 1966, S. 18).
[4] Vgl. die Tagebucheintragungen vom 24.11. bis 26.11.1903 in: Hedwig Pringsheim: Tagebücher Band 3, 1898-1904, hrsg. und kommentiert von Cristina Herbst. Göttingen 2014, S. 532f.
Aus dem laufenden Semester bricht Franz Kafka für fast zwei Wochen aus und reist am 24. November 1903 nach München. Aus diesen Tagen bis zum 5. Dezember 1903 sind vier Karten an Paul Kisch erhalten, eine Postkarte, zwei Ansichtskarten und eine Kunstpostkarte. Sie geben Aufschluss über das, was Kafka damals in München erlebte, und auch, woran er verzweifelte.
Die Freunde hatten die Rollen getauscht: Paul Kisch war nach dem einen Semester in München wieder nach Prag zurückgekehrt[1], und Kafka war stattdessen in München angekommen. Am zweiten Tag seines Aufenthalts, am Donnerstag, dem 26. November 1903, sitzt Kafka im noblen Café Luitpold an der Brienner Straße 8 (Abb. 3) (heute Brienner Straße 11) und schreibt, leicht genervt, an Paul Kisch: „So, das schreibe ich im Luitpold, ich habe einen schlechten Kaffee getrunken und ich werde noch eine schlechtere Karte schreiben.“[2]
Kafka sitzt also im nobelsten Café Münchens, dem Künstlertreff der gehobenen Art, und nörgelt. Dann berichtet er allgemein von den ersten Eindrücken und davon, dass eine Verabredung mit dem gemeinsamen Schulfreund Emil Utitz nicht zustande gekommen sei:
„Das Oberflächlichste von München habe ich in den 2 Tagen gerade betastet und so kleine Blicke in das Innere bekommen. Um das rascher und selbständiger zu machen, habe ich mich vor Utitz ziemlich ferngehalten ja heute leider Gottes sogar ein Rendezvous versäumt. Von Morgen ab schleiche ich mich dann in die Gesellschaft ein. – Ich werde viel Nutzen von München haben.“[3]
Das „Oberflächlichste von München“, damit könnten die Gebäude zwischen dem Königsplatz und der Residenz gemeint sein, die Kafka bei seinen ersten Spaziergängen leicht aufsuchen konnte. Das damalige schlechte Wetter, das Thomas Manns Schwiegermutter Hedwig Pringsheim im Tagebuch festhielt[4], erwähnt Kafka auf seiner Karte aber nicht und nutzte den Platz lieber für seine Adresse, bei der ihm besagter Fehler unterlief.
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[1] Die Annahme, Kafka habe Paul Kisch „im Herbst 1903“ in München besucht, beruht auf einem Irrtum; vgl. Kilcher 2021 (wie Anm. 19), S. 215.
[2] Franz Kafka: Postkarte an Paul Kisch, München 26. November 1903, in: Br I (wie Anm. 7), S. 31, Brief 25.
[3] Ebd. Mit dem ‚Einschleichen‘ deutet Kafka vermutlich den Umstand an, dass er sich in München nicht amtlich angemeldet habe. Max Brod spricht in einem ähnlichen Fall von einem „Konfidentenausdruck“, also einem Ausdruck im Vertrauen (Max Brod: Der Prager Kreis. Stuttgart u.a. 1966, S. 18).
[4] Vgl. die Tagebucheintragungen vom 24.11. bis 26.11.1903 in: Hedwig Pringsheim: Tagebücher Band 3, 1898-1904, hrsg. und kommentiert von Cristina Herbst. Göttingen 2014, S. 532f.