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Fotografie 1956 (BSB/Timpe)

Kaulbachstr. 16: Orff-Zentrum (ehem. Studio Fink)

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Fotos Orff-Zentrum (c) Anette Spieldiener

Das 1932 von einer Studentenverbindung errichtete Gebäude beherbergt von 1936 bis 1944 die Günther-Schule für Gymnastik, Rhythmik und Tanz, die Carl Orff und Dorothee Günther 1924 gegründet hatten. Nach der Zwangsschließung unter dem Nationalsozialismus wird das Gebäude 1945 zerbombt. Der Verbandmittelfabrikant Hermann Fink erwirbt das zerstörte Anwesen, errichtet einen eng an das Vorbild des früheren Gebäudes angelegten Neubau als privaten Wohnsitz mit gewerblich genutzten Räumen und kulturellen Einrichtungen wie einem Kammermusiksaal, einem Theaterstudio, einer Marionettenbühne und einer stereofonischen Aufnahme- und Wiedergabeanlage. Daher wird das Studio auch von Theatern, Künstlergruppen, Orchestern und vom Rundfunk genutzt, ehe das Anwesen 1965 an den Freistaat Bayern verkauft wird. Ab 1967 nutzt das Gebäude die Staatliche Hochschule für Fernsehen und Film, ab 1988 mit dem Umzug der Hochschule in größere Räumlichkeiten am Stadtrand wird das Haus vom gerade gegründeten Orff-Zentrum übernommen und umgebaut.

In den frühen 1950er-Jahren finden hier Veranstaltungen der Max-Halbe-Gesellschaft statt. Diese wurde am 2. Mai 1953 gegründet. Ziel ist die Auseinandersetzung mit dem Werk Max Halbes, wobei ein spezieller Fokus auf Rezipienten aus dem Kreis der Heimatvertriebenen liegt. Außerdem bietet die Gesellschaft jungen Autorinnen und Autoren ein Forum wie Unterstützung mit Unterkünften. Die Geschäftsstelle liegt damals in der Martiusstraße 6 / II. Stock in der Wohnung von Anneliese Halbe, der Tochter Max Halbes.

Am 20. März 1956 liest Ingeborg Bachmann bei der Max-Halbe-Gesellschaft im Studio Fink in der Kaulbachstraße 16, nachdem sie zuvor, am 17. März, in Ulm bei Inge Scholl einen Lese-Auftritt absolviert hat. In einem Brief an Hans Werner Henze vom 15. März 1956 kündigt sie die bevorstehenden Lesungen an und entschuldigt sich, dass sie einander in München verfehlt haben:

„Lieber Hans, ich bin hier mit Verspätung angekommen und wusste nicht, dass Dein Konzert bereits am Freitag stattfindet. Deinen ersten Brief fand ich in Frankfurt vor, aber auch mit einer wenig genauen Angabe über Deine Ankunft in München. Mit tut es sehr sehr leid, dass wir uns verfehlt haben — doch es ist zu spät — und dass ich Dich allein und ohne Trost und Stütze lassen musste.“

Der Andrang zur Lesung ist aufgrund „magischer Publicity“ der Autorin enorm, wie der Kritiker der Süddeutschen Zeitung Curt Hohoff zwei Tage nach der Lesung konstatiert. Der Saal ist zu klein für den großen Andrang. Bachmanns Lyrik-Performance wird in der SZ-Rezension trotz akustisch schwierigen Verhältnissen auf die Formel gebracht: „Es war, als gingen da ein Mund auf, ein Herz und ein Verstand“. Hohoff vergleicht Ingeborg Bachmann mit einem „Medium … für Dinge, die durch sie gehen“. (SZ, 22. März 1956) Brieflich beglückwünscht Günter Eich Ingeborg Bachmann am Tag des Erscheinens der Rezension am 22. März 1956 zu diesen Lese-Erfolgen mit Bezug auf Hohoffs Rezension.

Jahrzehnte später erinnert sich auch Klaus Piper in seinen im Jahr 2000 veröffentlichten Erinnerungen an jene Lesung in der Kaulbachstraße und die stimmliche Präsenz Ingeborg Bachmanns, deren Sprechweise und Tonlage unverkennbaren Eindruck machten:

„Viele Jahre ist es her, daß Ingeborg Bachmann zu einem Leseabend in den großzügigen Räumen eines fränkischen Unternehmers in der Münchner Kaulbauchstraße eingeladen war. Hans Egon Holthusen stand zur Moderation des Abends bereit. Zahlreiche Zuhörer waren gekommen. Ingeborg Bachmann begann, nach einem kurzen Dank für die Einführung, mit der Lesung. Ihre Stimme, stockend, leise, inständig und in einem äußersten Maße zart und verletzlich, hielt nur mit großer Anstrengung durch. Es gab keinen im Saal, dessen Nerven nicht mitvibrierten. Die beschwörende Kraft dieser Stimme trug die Zuhörer dennoch sicher durch die Sätze und Verse hindurch. Man erlebte Ingeborg Bachmanns Gedichte wie in statu nascendi [im Zustand des Entstehens].“


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