Franz-Joseph-Straße 9a
Wenige Wochen vor Bezug der Wohnung ist die Beziehung Ingeborg Bachmanns mit Paul Celan wiederaufgelebt. Seit 1952 ist der Autor mit Gisèle Lestrange verheiratet, 1955 ist der Sohn der beiden, Eric, geboren. Bachmann und Celan haben sich zufällig bei einer Tagung zum Thema „Literaturkritik — kritisch betrachtet“ in der ersten Oktoberhälfte in Wuppertal nach vier Jahren ohne Kontakt wiedergetroffen. Ihr sich zwischen Paris und München entwickelnder Briefwechsel offenbart, dass Celan Ingeborg Bachmann in München besuchen will. Er schreibt am 9. November 1957 aus Paris: „Morgen ziehst Du in Deine neue Wohnung: darf ich bald kommen und mit Dir eine Lampe suchen gehen?“
Ingeborg Bachmann antwortet am 14. November, dass sie erst ab Dezember die neue Wohnung habe. Ein erster Brief sei dort schon angekommen — Celans Schreiben, das ihr tags zuvor die Vermieterin übergeben habe: Anfang Dezember könne er kommen. Celan kündigt seinen Besuch am 5. Dezember, aus Stuttgart schreibend, an:
„Übermorgen, Samstag, bin ich in München — bei Dir, Ingeborg. Kannst Du zur Bahn kommen? Mein Zug ist um 12:07 in München. Wenn Du nicht kommen kannst, so will ich eine halbe Stunde später vor Deinem Haus in der Franz-Josephstr. auf und ab gehen. …
Zwei Tage noch, Ingeborg.“
Paul Celan besucht Ingeborg Bachmann in München vom 7. bis 9. Dezember 1957 sowie vom 28. bis 29. Januar und am 7. Mai 1958. Diese Etappe der Freundschaft endet mit einigen Treffen während eines Paris-Aufenthalts Bachmanns vom 3o. Juni bis 2. Juli 1958. Am 3. Juli 1958 wird sie in Paris Max Frisch kennenlernen.
Zwischen dem letzten Aufenthalt Paul Celans im Mai 1958 in München und dem Beginn der Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch steht noch die intensive Redaktion für den Druck des Hörspiels Der gute Gott von Manhattan. Diese findet an den Mai-Abenden und -Nächten gemeinsam mit dem Lektor Reinhard Baumgart statt. In seinen Lebenserinnerungen Damals. Ein Leben in Deutschland berichtet er über seine Nachtschichten mit Ingeborg Bachmann in ihrer Wohnung:
„Man hätte das sicher auch kürzer und nüchterner erledigen können, doch sie liebte dieses gemeinsame Überlegen, Abwägen, Entscheiden über noch nicht endgültige Textstellen, das Autoren sonst eher scheuen. Draußen war Nacht und Mai, die Luft schwül und schwer, um uns rauschte der Gesang der Maria Callas, von der ich bis dahin nicht einmal den Namen gehört hatte, die Wahnsinnsarie aus Lucia di Lammermoor, immer wieder, und wir beide beugten uns über die Fahnen eines auch ekstatischen, auch verrückten, entrückten Textes, der einen Fall von weltaufsprengender, weltverneinender, unsäglicher Liebe erzählt … Am Ende dieser langen Abende standen wir draußen auf der Straße in der schweren nächtlichen Mailuft, erschöpft und glücklich, und sie war, fürchtete ich, durchaus geneigt, die Begeisterungsarbeit abzuschließen mit mindestens einem langen Kuß. Sie die Dichterin, außerdem drei entscheidende Jahre älter, schien mir ganz unberührbar, unerreichbar, aber ich, der späte Jüngling, ihr offenbar nicht.“
Die Hörspiel-Premiere von Der gute Gott von Manhattan am 29. Mai 1958 erlebt Ingeborg Bachmann gemeinsam mit Freundinnen und Freunden ebenfalls in ihrer Wohnung. Der Schriftsteller Kuno Raeber erinnert sich an das Ereignis:
„Im Mai 1958 war ich bei Ingeborg Bachmann in ihrer Münchner Wohnung, als ihr Hörspiel: Der gute Gott von Manhattan gesendet wurde. An jenem Maiabend saßen wir, Gastgeberin und Gäste, still um das Radio. Die Gegenwart der Dichterin versank hinter dem Gedicht von der Vergeblichkeit, von der Unmöglichkeit der Liebe…“
Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Hörspiel-Text:
„Ich glaube, dass die Liebe auf der Nachtseite der Welt ist, verderblicher als jedes Verbrechen, als alle Ketzereien. Ich glaube, dass, wo sie aufkommt, ein Wirbel entsteht wie vor dem ersten Schöpfungstag. Ich glaube, dass die Liebe unschuldig ist und zum Untergang führt; dass es nur weitergeht mit Schuld und mit dem Kommen von Instanzen. Ich glaube, dass die Liebenden gerechterweise in die Luft fliegen und immer geflogen sind …“
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Wenige Wochen vor Bezug der Wohnung ist die Beziehung Ingeborg Bachmanns mit Paul Celan wiederaufgelebt. Seit 1952 ist der Autor mit Gisèle Lestrange verheiratet, 1955 ist der Sohn der beiden, Eric, geboren. Bachmann und Celan haben sich zufällig bei einer Tagung zum Thema „Literaturkritik — kritisch betrachtet“ in der ersten Oktoberhälfte in Wuppertal nach vier Jahren ohne Kontakt wiedergetroffen. Ihr sich zwischen Paris und München entwickelnder Briefwechsel offenbart, dass Celan Ingeborg Bachmann in München besuchen will. Er schreibt am 9. November 1957 aus Paris: „Morgen ziehst Du in Deine neue Wohnung: darf ich bald kommen und mit Dir eine Lampe suchen gehen?“
Ingeborg Bachmann antwortet am 14. November, dass sie erst ab Dezember die neue Wohnung habe. Ein erster Brief sei dort schon angekommen — Celans Schreiben, das ihr tags zuvor die Vermieterin übergeben habe: Anfang Dezember könne er kommen. Celan kündigt seinen Besuch am 5. Dezember, aus Stuttgart schreibend, an:
„Übermorgen, Samstag, bin ich in München — bei Dir, Ingeborg. Kannst Du zur Bahn kommen? Mein Zug ist um 12:07 in München. Wenn Du nicht kommen kannst, so will ich eine halbe Stunde später vor Deinem Haus in der Franz-Josephstr. auf und ab gehen. …
Zwei Tage noch, Ingeborg.“
Paul Celan besucht Ingeborg Bachmann in München vom 7. bis 9. Dezember 1957 sowie vom 28. bis 29. Januar und am 7. Mai 1958. Diese Etappe der Freundschaft endet mit einigen Treffen während eines Paris-Aufenthalts Bachmanns vom 3o. Juni bis 2. Juli 1958. Am 3. Juli 1958 wird sie in Paris Max Frisch kennenlernen.
Zwischen dem letzten Aufenthalt Paul Celans im Mai 1958 in München und dem Beginn der Beziehung von Ingeborg Bachmann und Max Frisch steht noch die intensive Redaktion für den Druck des Hörspiels Der gute Gott von Manhattan. Diese findet an den Mai-Abenden und -Nächten gemeinsam mit dem Lektor Reinhard Baumgart statt. In seinen Lebenserinnerungen Damals. Ein Leben in Deutschland berichtet er über seine Nachtschichten mit Ingeborg Bachmann in ihrer Wohnung:
„Man hätte das sicher auch kürzer und nüchterner erledigen können, doch sie liebte dieses gemeinsame Überlegen, Abwägen, Entscheiden über noch nicht endgültige Textstellen, das Autoren sonst eher scheuen. Draußen war Nacht und Mai, die Luft schwül und schwer, um uns rauschte der Gesang der Maria Callas, von der ich bis dahin nicht einmal den Namen gehört hatte, die Wahnsinnsarie aus Lucia di Lammermoor, immer wieder, und wir beide beugten uns über die Fahnen eines auch ekstatischen, auch verrückten, entrückten Textes, der einen Fall von weltaufsprengender, weltverneinender, unsäglicher Liebe erzählt … Am Ende dieser langen Abende standen wir draußen auf der Straße in der schweren nächtlichen Mailuft, erschöpft und glücklich, und sie war, fürchtete ich, durchaus geneigt, die Begeisterungsarbeit abzuschließen mit mindestens einem langen Kuß. Sie die Dichterin, außerdem drei entscheidende Jahre älter, schien mir ganz unberührbar, unerreichbar, aber ich, der späte Jüngling, ihr offenbar nicht.“
Die Hörspiel-Premiere von Der gute Gott von Manhattan am 29. Mai 1958 erlebt Ingeborg Bachmann gemeinsam mit Freundinnen und Freunden ebenfalls in ihrer Wohnung. Der Schriftsteller Kuno Raeber erinnert sich an das Ereignis:
„Im Mai 1958 war ich bei Ingeborg Bachmann in ihrer Münchner Wohnung, als ihr Hörspiel: Der gute Gott von Manhattan gesendet wurde. An jenem Maiabend saßen wir, Gastgeberin und Gäste, still um das Radio. Die Gegenwart der Dichterin versank hinter dem Gedicht von der Vergeblichkeit, von der Unmöglichkeit der Liebe…“
Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Hörspiel-Text:
„Ich glaube, dass die Liebe auf der Nachtseite der Welt ist, verderblicher als jedes Verbrechen, als alle Ketzereien. Ich glaube, dass, wo sie aufkommt, ein Wirbel entsteht wie vor dem ersten Schöpfungstag. Ich glaube, dass die Liebe unschuldig ist und zum Untergang führt; dass es nur weitergeht mit Schuld und mit dem Kommen von Instanzen. Ich glaube, dass die Liebenden gerechterweise in die Luft fliegen und immer geflogen sind …“
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