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Adalbert Stifter. Stahlstich von Karl Mahlknecht, gemalt von Daffinger

Lackenhäuser

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 Stifter-Museumsstraße – 6. Etappe: Lackenhäuser

So sehr die Wege in diesem Grenzgebiet zur Zeit des Eisernen Vorhangs versperrt waren, so offen wirken sie jetzt. Der Wechsel von Land zu Land erfolgt beinah unmerklich, Schlagbäume und Zollhäuser sind passé; es zeigt sich im alten Dreiländereck zwischen Tschechien, Österreich und Deutschland – früher Böhmen (zu Stifters Zeit zu Österreich-Ungarn gehörend), Österreich und Bayern – eine neue Art der Verbindung: weniger deutsch, mehr souverän. Wenigstens oberflächlich fühlt sich das gelassen an.

Lackenhäuser liegt als einziger Ort des Spaziergangs in Deutschland. Zu Stifters Zeit staatlich, heute freistaatlich bayerisch, gehört zur Gemeinde Neureichenau, der Südöstlichsten im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau, mithin im Bayerischen Wald. Der Ort zählt nicht mal 400 Einwohner (Stand 1987) und wird bei einer Google-Anfrage eindeutig vom örtlichen Campingplatz beherrscht. Gleich danach dürfte als Attraktion das Stifter-Museum kommen. Stifter selbst, der über den Ort in seiner posthum erschienenen Erzählung Aus dem bairischen Walde schrieb, bestand übrigens darauf, den Ort gemäß der heimischen Aussprache „Lokahaisa“ als „die Lakerhäuser“ zu schreiben. Er hat den unweit von Horní Pláná liegenden Ort bereits als junger Mann gekannt und auch eine Verbindung zu Familie Rosenberger unterhalten. Diese besaß oberhalb des Dorfes, in Richtung des Dreisesselbergs, tschechisch Třístoličník, ein landwirtschaftliches Gut. In seinen späten Jahren machte Stifter dort ab und zu Ferien; er malte und schrieb u. a. an seinem letzten Roman Witiko.

Durch die Erzählung Aus dem bairischen Walde verknüpft sich auch Lackenhäuser mit der Tragödie von Stifters letzten Lebensjahren, die von Krankheit und Todesfurcht bestimmt waren. Der Dichter schildert darin einen Schneesturm, den er wahrhaftig im Herbst 1866 bei einem Aufenthalt im Rosenberger-Gut erlebt hat. Seltsam genug, beginnt er seine Erzählung jedoch mit dem Hinweis auf seinen Kuraufenthalt in Karlsbad, Karlovy Vary, im Mai 1866. Die Biografien von Matz und Schoenlein schildern diesen Aufenthalt nur knapp, von einem späteren Kuraufenthalt dort im Jahr 1867 mutmaßt Matz jedoch, der Dichter könne dabei „einen ersten Selbstmordversuch“ unternommen haben; er stützt sich dabei auf einen mündlichen Bericht der Hauswirtin. Bei einem früheren Aufenthalt schildert der schwerkranke Mann seinen Zustand dem Verleger Heckenast wie folgt:

… tiefe Niedergeschlagenheit, gänzliche Mutlosigkeit, Verzweifeln am Genesen, Unruhe, daß man an keinem Platze bleiben kann, gegenstandlose Angst, Gemütsschwäche bis zum lauten Weinen, Gereiztheit, ein Sandkorn bringt die größte Aufregung oder plötzlichen Zorn oder ungemeine Betrübnis. Und er fährt fort: Ich habe zu manchen Zeiten zu Gott das heißeste Gebet getan, er möge mich nicht wahnsinnig werden lassen, oder daß ich mir in Verwirrung das Leben nehme (wie es öfter geschieht). (Zitiert nach Matz).

Diese Zustände, von Schoenborn auf ein infolge der Lebererkrankung stets drohendes „Präkoma“ zurückgeführt, von Matz eher der Psyche zugeschrieben, machten dem Dichter in seinen letzten Jahren das Leben schwer. Dass er seinen Bericht eines Schneesturms im Bayerischen Wald mit dem trockenen Hinweis auf die Empfehlung des Karlsbader Arztes beginnt, „zu guter Nachwirkung des Heilwassers“ eine Zeit in einer „hochgelegenen Waldgegend zu verbringen“, könnte als ein versteckter Hinweis auf die wiederkehrenden Angstzustände Stifters gelesen werden. Die Naturgewalt des Schneesturms zeigt die Ohnmacht des Menschen in Anbetracht von Kräften, die größer sind als er, in atemraubender Deutlichkeit.

Seine Wohnung lag in einem Seitenteil des Gutes im „Ladenstöckl“, einem Verkaufslokal für Gemischtwaren. Sie umfasste „ein größeres Zimmer und drei Kabinette“ – heute die Ausstellungsräume des Museums. Der Blick nach Osten ist weit. Keiner kann ihn besser beschreiben als Stifter selbst:

Ein Kreis Land liegt gegen Mittag, dessen Ränder zu beiden Seiten des Hauses nahe, weiter weg aber zu zwei bis fünf Meilen entfernt sind. Berge, Hügel, Abhänge, Schluchten, Täler, Flächen, Wälder, Wäldchen, Wiesen, Felder, unzählige Häuser und mehrere Ortschaften mit Kirchen sind in diesem Kreise.

In dem Laden kaufte Stifter auch ein. Ein Schuldschein vom 17.11.1866, zu finden im Stifter-Nachlass an der der Bayerischen Staatsbibliothek, vermerkt: „Wein, Bier, Kaffee, Zucker, Brennholz“ – außerdem Kutschfahrten nach Obermühl und Oberplan.

Seit 1921 ist das Haus dem Herausgeber der Erzählung Aus dem bairischen Walde Paul Praxl zufolge nicht mehr in Privatbesitz. 1958 wird das Gut in eine Jugendherberge umgewandelt, die bereits zwei Gedenkräume für den österreichischen Dichter einrichtet. 2014 eröffnet das heutige Museum. Es erzählt die Geschichte des Rosenberger-Gutes. Neben einer Dokumentation von Stifters Leben gibt es einen Leseraum mit Stifter-Büchern, darunter Erstausgaben, Installationen mit Werk-Lesungen oder zu Stifters „Lebensangst und Nachtgedanken“. Ein kleiner Kinoraum bietet die Möglichkeit, Filme anzusehen, die mit dem Dichter zu tun haben. Dazu gehört u. a. der 2014 von der Autorin Petra Morsbach gedrehte einstündige Film Der Schneesturm.

Niemals in der seiner Erzählung gibt Stifter die Position des aktiven, sein Ziel verfolgenden Mannes auf. Seine in Briefen belegte Unentschlossenheit wirkt literarisiert, als sei sie vernunftgetrieben. Nur in der Sprache findet sich die Spur eines Ausgesetztseins, das über diese explizite, mit dem Männerbild des 19. Jahrhunderts in Österreich korrespondierende Konstruktion der Figur „Dichter Stifter“ hinausweist. Gegen Ende der Erzählung, bereits nach Linz zurückgekehrt, spricht der Schriftsteller von der Begegnung mit seiner Frau: „Das Wiedersehen war freudig und schmerzlich.“ Der sonst herrliche Wald wirkt nun schrecklich, die Erfahrung des Unwetters war erschöpfend: „Die erste Nacht schlief ich wie tot. Die zweite auch.“ Wer mag, kann hier die Todesfurcht des in dem Schneesturm Festgehaltenen erkennen, die Ambivalenz gegenüber der Gattin, das Versiegen des ehelichen Lebens.

Von Lackenhäuser aus lässt sich zu Fuß auf längerer Wanderung der Berg Plechý, Plöckenstein erreichen, ebenso das österreichische Schwarzenberg mit seinem kleinen Stifter-Museum.

 


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