Kirchschlag
Stifter-Museumsstraße – 4. Etappe: Kirchschlag
Von Linz aus nordwärts fährt man ein kleines Stück auf der Autobahn und dann weiter auf einer Landstraße beinah stetig bergauf. Die Gegend wird schnell ländlich und waldig. Hier beginnen die Mühlviertler Berge. Es scheint verwunderlich, dass Adalbert Stifter erst in den letzten Jahren seines Lebens, ab Herbst 1865 und damit nach seiner Pensionierung, an diesen Ort gefunden hat. Kirschschlag war seinerzeit ein bäuerlicher Weiler. Der Ort ist auf 900 Metern Seehöhe gelegen mit einem fantastischen Blick nach Süden über Linz hinweg bis zum Alpenkamm. Die Anreise, ob mit der Kutsche oder zu Fuß, muss mühsam gewesen sein.
Solche weiten Perspektiven liebte der Dichter, das zeigt sich in Kremsmünster, es zeigt sich in Kirchschlag und später auch in Lackenhäuser. Vielfältig hat er diese Ausblicke in seinem Werk beschrieben. Obwohl der Ort heute zunehmend dicht bebaut wird, ist von seinem Flair, seiner geografischen Toplage, immer noch etwas zu sehen und zu spüren. Am unteren Rand des Ortes befindet sich das vermutlich 1718 erbaute so genannte Badhaus. Heute in Privatbesitz und nur von außen zu besichtigen, war es der Ort, an dem der Dichter bei seinen Aufenthalten hoch über der Donauebene Wohnung nahm. In der Linzer Zeitung 1836 rühmte der Betreiber des Badhauses Hayböck das Wasser aus der nahen Rudolfsquelle als bewährtes „Auflösungs-Mittel … und daher in Leber-, Milz- und Gekröse-Anschoppungen, … in hysterischen und hypochondrischen Beschwerden, in Podagra, in Gall- und Haut-Krankheiten als heilsam wirkend“.
Biograf Matz bezweifelt, dass der Dichter nur wegen der Leber-Erkrankung die eheliche Wohnung verließ. Offenbar war es zwischen den Eheleuten zum Streit gekommen, den Stifter anschließend bereute. Am 12.11.1865 schreibt er an Amalie: „Ich sehe manches nachher ein. Im Augenblicke kann ich nur nicht Mann sein. Du wirst es mir doch gewiß verzeihen?“ Demnach könnte die sexuelle Harmonie zwischen den Eheleuten beeinträchtigt gewesen sein. Seinem Verleger Heckenast schreibt er in der am 22. Januar 1866 in jener scharfen Zweischneidigkeit, deren er so sehr fähig ist: „Die Trennung hat ein Herrliches gebracht ... Jetzt brach die ganze Gewalt der Liebe hervor …“ Man kann die Stelle so lesen, dass Stifter die Liebe zu seiner Frau stärker empfindet, da er von ihr vorübergehend getrennt war. Die Wörter „Trennung“ und „Gewalt“ brennen jedoch wie Ohrfeigen aus dieser gängigen Empfindung.
Mit der Pensionierung bemächtigt sich eine Art kreativer Not des Autors. Biograf Matz schreibt: „Anstatt gelassen an seinem Werk zu arbeiten, wechselte er von einem Manuskript zum anderen ... Der Stifter der letzten Lebenszeit macht den Eindruck eines Gepeinigten, der auf der schmalen Grenze zum psychischen und physischen Zusammenbruch balanciert …“
In seinen „Winterbriefen aus Kirchschlag“ beschreibt Stifter zunächst, wie bei Nacht „die Lichter der Landeshauptstadt Linz auf den Berg hinauf schimmern“ und man „unter Tags die Häuser der Stadt und den Donauspiegel erblickt, und das Läuten der Kirchenglocken, ja oft sogar das Trommeln ihrer Krieger hört“, und wundert sich, dass die Linzer sich wenig um den Berg bekümmerten. Linz kommt in diesen Briefen nicht eben gut weg. Wenige Seiten später führt Stifter aus: „Wir sehen an den heitersten Tagen von unserem Berge hinab über der Donauebene und namentlich über Linz einen schmutzig blauen Schleier schweben, die Ausdünstung der Niederung und insbesondere die Ausdünstung der Menschen, Tiere, Schornsteine, Unratkanäle und anderer Dinge der Stadt.“
Auch wenn die Briefe sich mit den physikalischen Phänomenen Licht, Wärme, Elektrizität und Luft beschäftigen und durchaus den Anspruch haben, auf der Wissenshöhe der Zeit zu sein, schlägt Stifter darin immer wieder den Bogen zu seinem eigenen Befinden. Er ist zu dieser Zeit bereits unheilbar leberkrank. Das Dorf auf dem Berg nördlich der Stadt beschreibt der Schriftsteller komplementär als einen gesunden Ort. Die Bewohner des Berggipfels schauen bei ihm nieder auf den die Donauebene bedeckenden Nebel „wie auf ein silberschimmerndes Meer“. Über sich haben sie „den blauen Himmel und die leuchtende Sonne“.
Fast klingt es wie eine Rechtfertigung, wenn Stifter in diesen Briefen ausführt, warum es ihm gerade im Winter sinnvoll zu sein scheint, in dem hochgelegenen Kirchschlag zu weilen und er feiert die Ausblicke von der Höhe in immer größeren Worten:
Im späten Herbst und im frühen Winter liegt oft der Nebel wochenlang … auf der Ebene, während auf dem Berge heller, warmer Sonnenschein ist … Die Grenze des Nebels ist waagrecht wie die Ebene eines Tisches. Gegen Ungarn und gegen Bayern hin ist sie von dem blauen Himmel gesäumt, gegen Steiermark hin von den Alpen. Ehe die Sonne aufgeht, ist die Oberfläche des ungeheuren hingedehnten Nebels bleigrau, wenn die Sonne aufgegangen ist, wird sie rosenrot, später aber schimmert sie den ganzen Tag wie funkelndes, geschmolzenes Silber, und es wird durch sie noch großartiger … Außer dem Meere habe ich nie etwas Schöneres auf der Erde gesehen.
Die Schönheit ist nicht von Dauer. Eines Tages gerät der Nebel in Bewegung, „Walzen wie unermeßlich große Tiere krochen den Pfennigberg hinan, über Linz war ein Abgrund in den Nebel gerissen … rechts von dem Schlunde stieg eine Säule empor, unfaßbar an Größe des Durchmessers und der Höhe, wie eine Wasserhose, die Länder verschlingen will …“
Es scheint, als hätte das existenzielle Entsetzen auch an diesem vom Dichter so gerühmten Ort schließlich überhand genommen. Weitere Aufenthalte im Weiler Kirschschlag erfolgen im Juli 1866, ein kurzer Ende November 66 auf der Flucht aus Lackenhäuser, dann noch im Juni und September des Jahres 1867. Eine Tafel an der Dorfkirche erinnert an diese Aufenthalte Stifters. Dabei besucht er auch seinen Freund Metz, der nicht nur Architekt des heutigen Stifterhauses ist, sondern sich1858 auch ein Landhaus auf der schönen Bergeshöhe gebaut hat. Diese so genannte Metz-Villa wurde von der Gemeinde erworben und historisch schonend restauriert; sie kann für Veranstaltungen gemietet werden. Auf dem Dachboden entdeckte man 1989 den Entwurf einer Rede Stifters auf Friedrich Schiller. Vor der Villa findet sich eine Kopie des Stifter-Denkmals, dass im Linzer Park der Promenade am Landhaus steht.
Stifter-Museumsstraße – 4. Etappe: Kirchschlag
Von Linz aus nordwärts fährt man ein kleines Stück auf der Autobahn und dann weiter auf einer Landstraße beinah stetig bergauf. Die Gegend wird schnell ländlich und waldig. Hier beginnen die Mühlviertler Berge. Es scheint verwunderlich, dass Adalbert Stifter erst in den letzten Jahren seines Lebens, ab Herbst 1865 und damit nach seiner Pensionierung, an diesen Ort gefunden hat. Kirschschlag war seinerzeit ein bäuerlicher Weiler. Der Ort ist auf 900 Metern Seehöhe gelegen mit einem fantastischen Blick nach Süden über Linz hinweg bis zum Alpenkamm. Die Anreise, ob mit der Kutsche oder zu Fuß, muss mühsam gewesen sein.
Solche weiten Perspektiven liebte der Dichter, das zeigt sich in Kremsmünster, es zeigt sich in Kirchschlag und später auch in Lackenhäuser. Vielfältig hat er diese Ausblicke in seinem Werk beschrieben. Obwohl der Ort heute zunehmend dicht bebaut wird, ist von seinem Flair, seiner geografischen Toplage, immer noch etwas zu sehen und zu spüren. Am unteren Rand des Ortes befindet sich das vermutlich 1718 erbaute so genannte Badhaus. Heute in Privatbesitz und nur von außen zu besichtigen, war es der Ort, an dem der Dichter bei seinen Aufenthalten hoch über der Donauebene Wohnung nahm. In der Linzer Zeitung 1836 rühmte der Betreiber des Badhauses Hayböck das Wasser aus der nahen Rudolfsquelle als bewährtes „Auflösungs-Mittel … und daher in Leber-, Milz- und Gekröse-Anschoppungen, … in hysterischen und hypochondrischen Beschwerden, in Podagra, in Gall- und Haut-Krankheiten als heilsam wirkend“.
Biograf Matz bezweifelt, dass der Dichter nur wegen der Leber-Erkrankung die eheliche Wohnung verließ. Offenbar war es zwischen den Eheleuten zum Streit gekommen, den Stifter anschließend bereute. Am 12.11.1865 schreibt er an Amalie: „Ich sehe manches nachher ein. Im Augenblicke kann ich nur nicht Mann sein. Du wirst es mir doch gewiß verzeihen?“ Demnach könnte die sexuelle Harmonie zwischen den Eheleuten beeinträchtigt gewesen sein. Seinem Verleger Heckenast schreibt er in der am 22. Januar 1866 in jener scharfen Zweischneidigkeit, deren er so sehr fähig ist: „Die Trennung hat ein Herrliches gebracht ... Jetzt brach die ganze Gewalt der Liebe hervor …“ Man kann die Stelle so lesen, dass Stifter die Liebe zu seiner Frau stärker empfindet, da er von ihr vorübergehend getrennt war. Die Wörter „Trennung“ und „Gewalt“ brennen jedoch wie Ohrfeigen aus dieser gängigen Empfindung.
Mit der Pensionierung bemächtigt sich eine Art kreativer Not des Autors. Biograf Matz schreibt: „Anstatt gelassen an seinem Werk zu arbeiten, wechselte er von einem Manuskript zum anderen ... Der Stifter der letzten Lebenszeit macht den Eindruck eines Gepeinigten, der auf der schmalen Grenze zum psychischen und physischen Zusammenbruch balanciert …“
In seinen „Winterbriefen aus Kirchschlag“ beschreibt Stifter zunächst, wie bei Nacht „die Lichter der Landeshauptstadt Linz auf den Berg hinauf schimmern“ und man „unter Tags die Häuser der Stadt und den Donauspiegel erblickt, und das Läuten der Kirchenglocken, ja oft sogar das Trommeln ihrer Krieger hört“, und wundert sich, dass die Linzer sich wenig um den Berg bekümmerten. Linz kommt in diesen Briefen nicht eben gut weg. Wenige Seiten später führt Stifter aus: „Wir sehen an den heitersten Tagen von unserem Berge hinab über der Donauebene und namentlich über Linz einen schmutzig blauen Schleier schweben, die Ausdünstung der Niederung und insbesondere die Ausdünstung der Menschen, Tiere, Schornsteine, Unratkanäle und anderer Dinge der Stadt.“
Auch wenn die Briefe sich mit den physikalischen Phänomenen Licht, Wärme, Elektrizität und Luft beschäftigen und durchaus den Anspruch haben, auf der Wissenshöhe der Zeit zu sein, schlägt Stifter darin immer wieder den Bogen zu seinem eigenen Befinden. Er ist zu dieser Zeit bereits unheilbar leberkrank. Das Dorf auf dem Berg nördlich der Stadt beschreibt der Schriftsteller komplementär als einen gesunden Ort. Die Bewohner des Berggipfels schauen bei ihm nieder auf den die Donauebene bedeckenden Nebel „wie auf ein silberschimmerndes Meer“. Über sich haben sie „den blauen Himmel und die leuchtende Sonne“.
Fast klingt es wie eine Rechtfertigung, wenn Stifter in diesen Briefen ausführt, warum es ihm gerade im Winter sinnvoll zu sein scheint, in dem hochgelegenen Kirchschlag zu weilen und er feiert die Ausblicke von der Höhe in immer größeren Worten:
Im späten Herbst und im frühen Winter liegt oft der Nebel wochenlang … auf der Ebene, während auf dem Berge heller, warmer Sonnenschein ist … Die Grenze des Nebels ist waagrecht wie die Ebene eines Tisches. Gegen Ungarn und gegen Bayern hin ist sie von dem blauen Himmel gesäumt, gegen Steiermark hin von den Alpen. Ehe die Sonne aufgeht, ist die Oberfläche des ungeheuren hingedehnten Nebels bleigrau, wenn die Sonne aufgegangen ist, wird sie rosenrot, später aber schimmert sie den ganzen Tag wie funkelndes, geschmolzenes Silber, und es wird durch sie noch großartiger … Außer dem Meere habe ich nie etwas Schöneres auf der Erde gesehen.
Die Schönheit ist nicht von Dauer. Eines Tages gerät der Nebel in Bewegung, „Walzen wie unermeßlich große Tiere krochen den Pfennigberg hinan, über Linz war ein Abgrund in den Nebel gerissen … rechts von dem Schlunde stieg eine Säule empor, unfaßbar an Größe des Durchmessers und der Höhe, wie eine Wasserhose, die Länder verschlingen will …“
Es scheint, als hätte das existenzielle Entsetzen auch an diesem vom Dichter so gerühmten Ort schließlich überhand genommen. Weitere Aufenthalte im Weiler Kirschschlag erfolgen im Juli 1866, ein kurzer Ende November 66 auf der Flucht aus Lackenhäuser, dann noch im Juni und September des Jahres 1867. Eine Tafel an der Dorfkirche erinnert an diese Aufenthalte Stifters. Dabei besucht er auch seinen Freund Metz, der nicht nur Architekt des heutigen Stifterhauses ist, sondern sich1858 auch ein Landhaus auf der schönen Bergeshöhe gebaut hat. Diese so genannte Metz-Villa wurde von der Gemeinde erworben und historisch schonend restauriert; sie kann für Veranstaltungen gemietet werden. Auf dem Dachboden entdeckte man 1989 den Entwurf einer Rede Stifters auf Friedrich Schiller. Vor der Villa findet sich eine Kopie des Stifter-Denkmals, dass im Linzer Park der Promenade am Landhaus steht.