Kremsmünster
Stifter-Museumsstraße – 2. Etappe: Kremsmünster
Dem Lebenslauf Stifters folgend, geht es von der nördlichsten zur südlichsten Station des Stifterspaziergangs in Österreich – 120 Kilometer, die der junge Stifter wahrscheinlich zu Fuß zurücklegte. Kremsmünster liegt im Traunviertel und schaut auf die Alpen, hier das vegetationsarme Tote Gebirge mit dem Großen Priel. Der Ort hat heute (2024) nicht ganz 7000 Einwohner und ist über die Autobahn von Linz aus in einer knappen halben Stunde erreichbar. Kloster und Sternwarte liegen erhöht mit dem kleinen Ort zu ihren Füßen im Kremstal.
Die Abtei hat eine lange Geschichte. Sie wird im Jahr 777 von Herzog Tassilo gegründet und entwickelt sich unter anderem zu einer bedeutenden Schreibschule. Nach 900 leidet das Kloster unter ungarischen Plünderungen und verliert seine Selbständigkeit. Mit Heinrich dem II. erlebt es nach dem Jahr 1000 einen erneuten Aufschwung. 1207 brennt es ab; die ältesten heute erhaltenen Bauteile stammen aus der Zeit nach diesem Brand. 1549 wird das nach wie vor bestehende Stiftsgymnasium gegründet. Sein gegenwärtiges Aussehen erhält das Kloster im Zuge einer barocken Überplanung ab 1600. In den 1750er-Jahren errichtet man eine Sternwarte, die mit ihren 49 Metern Höhe als eines der frühen Hochhäuser Europas gilt und bis heute als Baukörper exotisch wirkt. Ländereien, Wälder und Weinberge gehören zu dem nicht eben arm wirkenden Kloster, das rund einhundert Menschen beschäftigt.
Der alte Globus in der Klosterbibliothek
Das jetzige Gymnasium, erbaut 1891, steht am Rand der Anlage, das ältere Gebäude ist Teil der um den Haupthof versammelten Bauten. Zu Stifters Zeit und bis 2013 bestand ein Internat. Rund 470 Schüler besuchen gegenwärtig das Stiftsgymnasium. Als Stifter im November 1818 kam, wurde er nicht intern untergebracht, sondern lebte als Kostgänger Seinem Biografen Peter Becher zufolge wohnte er am Ort zunächst im Bräustübl, später bei einer Frau Weiss. Dort gefiel ihm besonders die Aussicht auf die Berge. Das Gymnasium zu besuchen war keine Selbstverständlichkeit für die dreizehnjährige Halbwaise. Seine Mutter war mit den bis dahin fünf überlebenden Kindern als Witwe von Armut bedroht.
Der Pfarrer am Ort hatte dem Erstgeborenen attestiert, dass er im Lateinischen völlig unbegabt sei. Sein Großvater jedoch besaß genug Eigensinn, um den Jungen, der zwei Jahre lang mit ihm die Landwirtschaft aufrechterhalten hatte, nach Kremsmünster mitzunehmen zu einem Gespräch bei dem jungen Lehrer Placidus Hall. Diesem gefiel der Knabe, Stifter wurde ins Gymnasium aufgenommen. Die prekäre Situation, der er entstammte, forderte ihren Preis. Stifter ruhte nicht, bis er Klassenbester war und zügelte sein heftiges Temperament offenbar derart, dass es während der gesamten Gymnasialzeit keine einzige Beschwerde über ihn gibt. 1846 erinnert er sich in einer autobiografischen Skizze beinah euphorisch an den Lehrer, der „fast mehr als väterlich für mich sorgte. Die schönsten Gefühle der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit und Heiterkeit … verdanke ich ihm.“ (Zitiert nach Matz)
Für Adalbert Stifter wird dieser Lebensabschnitt zum Glücklichsten überhaupt. Das Gymnasium gilt als liberal; im katholischen und restaurativen Habsburgerreich ist das keine Selbstverständlichkeit. Stifter beginnt sich künstlerisch zu betätigen. Mit Nachhilfestunden verdient er etwas Geld. Er gilt auch als ausdauernder Schwimmer.1825 erkrankt er an den Pocken oder echten Blattern, wie es damals hieß. Die Narben bleiben in seinem Gesicht zeitlebens sichtbar. Nach sechs gymnasialen und zwei studiumsvorbereitenden Jahren begibt er sich „zu den juristischen Studien“ (so vermerkt in der Notentabelle der Abschlussklasse) nach Wien. Dort wird er bis 1848 leben.
Dem Schriftsteller Gottlob Christian Friedrich Richter schreibt er am 21. Juni 1866 rückblickend, in Kremsmünster habe er zeichnen und viele Dichter kennengelernt. Vor allem aber lernte Stifter die Grundlage seiner Ästhetik:
[Ich hörte dort] zum ersten Mal den Satz, das Schöne sei nichts als das Göttliche in dem Kleide des Reizes dargestellt … es … strebe überall und unbedingt nach beglückender Entfaltung als Gutes, Wahres, Schönes in Religion, Wissenschaft, Kunst, Lebenswandel. Dieser Spruch … traf den Kern meines Wesens mit Gewalt … (Zitiert nach Schoenborn).
In der Praxis, hier in dem Stück „Liebfrauenschuh“ aus den 1841 zum ersten Mal erschienen „Feldblumen“ klingt das so: Die Berge „standen da in müder Tagesruhe, und das späte, kühle Nachmittagslicht lag auf ihnen, sachte aufwärts glimmend.“ Und schon gegen Ende dieses Textes heißt es:
Es ist eine mächtige tote Wildnis, durch die wir gingen, ein Steinmeer, und am ganzen Himmel kein Wölkchen; kein Hauch regte sich, und der Mittag sank blendend und stumm und strahlenreich in die brennenden Steine.
Unbelebte Natur, mehr noch: Totes, spürte Stifter bereits damals in der Welt und vielleicht auch in sich. Gegen Ende seines Lebens wirken die Beschreibungen der unbelebten Innen-Außenwelt immer bedrohlicher.
Nah bei Kremsmünster liegt noch der Aspergerhof, nach dem das fiktive Rosenbergergut im Nachsommer gestaltet sein soll.
Stifter-Museumsstraße – 2. Etappe: Kremsmünster
Dem Lebenslauf Stifters folgend, geht es von der nördlichsten zur südlichsten Station des Stifterspaziergangs in Österreich – 120 Kilometer, die der junge Stifter wahrscheinlich zu Fuß zurücklegte. Kremsmünster liegt im Traunviertel und schaut auf die Alpen, hier das vegetationsarme Tote Gebirge mit dem Großen Priel. Der Ort hat heute (2024) nicht ganz 7000 Einwohner und ist über die Autobahn von Linz aus in einer knappen halben Stunde erreichbar. Kloster und Sternwarte liegen erhöht mit dem kleinen Ort zu ihren Füßen im Kremstal.
Die Abtei hat eine lange Geschichte. Sie wird im Jahr 777 von Herzog Tassilo gegründet und entwickelt sich unter anderem zu einer bedeutenden Schreibschule. Nach 900 leidet das Kloster unter ungarischen Plünderungen und verliert seine Selbständigkeit. Mit Heinrich dem II. erlebt es nach dem Jahr 1000 einen erneuten Aufschwung. 1207 brennt es ab; die ältesten heute erhaltenen Bauteile stammen aus der Zeit nach diesem Brand. 1549 wird das nach wie vor bestehende Stiftsgymnasium gegründet. Sein gegenwärtiges Aussehen erhält das Kloster im Zuge einer barocken Überplanung ab 1600. In den 1750er-Jahren errichtet man eine Sternwarte, die mit ihren 49 Metern Höhe als eines der frühen Hochhäuser Europas gilt und bis heute als Baukörper exotisch wirkt. Ländereien, Wälder und Weinberge gehören zu dem nicht eben arm wirkenden Kloster, das rund einhundert Menschen beschäftigt.
Der alte Globus in der Klosterbibliothek
Das jetzige Gymnasium, erbaut 1891, steht am Rand der Anlage, das ältere Gebäude ist Teil der um den Haupthof versammelten Bauten. Zu Stifters Zeit und bis 2013 bestand ein Internat. Rund 470 Schüler besuchen gegenwärtig das Stiftsgymnasium. Als Stifter im November 1818 kam, wurde er nicht intern untergebracht, sondern lebte als Kostgänger Seinem Biografen Peter Becher zufolge wohnte er am Ort zunächst im Bräustübl, später bei einer Frau Weiss. Dort gefiel ihm besonders die Aussicht auf die Berge. Das Gymnasium zu besuchen war keine Selbstverständlichkeit für die dreizehnjährige Halbwaise. Seine Mutter war mit den bis dahin fünf überlebenden Kindern als Witwe von Armut bedroht.
Der Pfarrer am Ort hatte dem Erstgeborenen attestiert, dass er im Lateinischen völlig unbegabt sei. Sein Großvater jedoch besaß genug Eigensinn, um den Jungen, der zwei Jahre lang mit ihm die Landwirtschaft aufrechterhalten hatte, nach Kremsmünster mitzunehmen zu einem Gespräch bei dem jungen Lehrer Placidus Hall. Diesem gefiel der Knabe, Stifter wurde ins Gymnasium aufgenommen. Die prekäre Situation, der er entstammte, forderte ihren Preis. Stifter ruhte nicht, bis er Klassenbester war und zügelte sein heftiges Temperament offenbar derart, dass es während der gesamten Gymnasialzeit keine einzige Beschwerde über ihn gibt. 1846 erinnert er sich in einer autobiografischen Skizze beinah euphorisch an den Lehrer, der „fast mehr als väterlich für mich sorgte. Die schönsten Gefühle der Wahrhaftigkeit, der Gerechtigkeit und Heiterkeit … verdanke ich ihm.“ (Zitiert nach Matz)
Für Adalbert Stifter wird dieser Lebensabschnitt zum Glücklichsten überhaupt. Das Gymnasium gilt als liberal; im katholischen und restaurativen Habsburgerreich ist das keine Selbstverständlichkeit. Stifter beginnt sich künstlerisch zu betätigen. Mit Nachhilfestunden verdient er etwas Geld. Er gilt auch als ausdauernder Schwimmer.1825 erkrankt er an den Pocken oder echten Blattern, wie es damals hieß. Die Narben bleiben in seinem Gesicht zeitlebens sichtbar. Nach sechs gymnasialen und zwei studiumsvorbereitenden Jahren begibt er sich „zu den juristischen Studien“ (so vermerkt in der Notentabelle der Abschlussklasse) nach Wien. Dort wird er bis 1848 leben.
Dem Schriftsteller Gottlob Christian Friedrich Richter schreibt er am 21. Juni 1866 rückblickend, in Kremsmünster habe er zeichnen und viele Dichter kennengelernt. Vor allem aber lernte Stifter die Grundlage seiner Ästhetik:
[Ich hörte dort] zum ersten Mal den Satz, das Schöne sei nichts als das Göttliche in dem Kleide des Reizes dargestellt … es … strebe überall und unbedingt nach beglückender Entfaltung als Gutes, Wahres, Schönes in Religion, Wissenschaft, Kunst, Lebenswandel. Dieser Spruch … traf den Kern meines Wesens mit Gewalt … (Zitiert nach Schoenborn).
In der Praxis, hier in dem Stück „Liebfrauenschuh“ aus den 1841 zum ersten Mal erschienen „Feldblumen“ klingt das so: Die Berge „standen da in müder Tagesruhe, und das späte, kühle Nachmittagslicht lag auf ihnen, sachte aufwärts glimmend.“ Und schon gegen Ende dieses Textes heißt es:
Es ist eine mächtige tote Wildnis, durch die wir gingen, ein Steinmeer, und am ganzen Himmel kein Wölkchen; kein Hauch regte sich, und der Mittag sank blendend und stumm und strahlenreich in die brennenden Steine.
Unbelebte Natur, mehr noch: Totes, spürte Stifter bereits damals in der Welt und vielleicht auch in sich. Gegen Ende seines Lebens wirken die Beschreibungen der unbelebten Innen-Außenwelt immer bedrohlicher.
Nah bei Kremsmünster liegt noch der Aspergerhof, nach dem das fiktive Rosenbergergut im Nachsommer gestaltet sein soll.