Horní Planá / Oberplan
Stifter-Museumsstraße – 1. Etappe: Horní Planá, Oberplan
„Wie weit, Coloman?“, fragte der Luftschiffer.
„Fast Montblancs Höhe“, antwortete der alte Mann, der am andern Ende des Schiffchens saß, „wohl über vierzehntausend Fuß, Mylord.“
„Es ist gut.“
Cornelia sah bei dieser Rede behutsam über Bord des Schiffes und tauchte ihre Blicke senkrecht nieder durch den luftigen Abgrund auf die liebe verlassene, nunmehr schimmernde Erde, ob sie etwa bekannte Stellen entdecken möge – aber siehe, alles war fremd, und die vertraute Wohnlichkeit derselben war schon nicht mehr sichtbar, und mithin auch nicht die Fäden, die uns an ein teures, kleines Fleckchen binden, das wir Heimat nennen. Wie große Schatten zogen die Wälder gegen den Horizont hinaus – ein wunderliches Bauwerk von Gebirgen, wie wimmelnde Wogen, ging in die Breite und lief gegen fahle Flecken ab, wahrscheinlich Gefilde. Nur ein Strom war deutlich sichtbar, ein dünner, zitternder Silberfaden, wie sie oft im Spätherbste auf dunkler Haide spinnen. Über dem Ganzen schien ein sonderbar gelbes Licht zu schweben. (aus: Adalbert Stifter, Der Condor. Wien 1840)
In seiner ersten publizierten Erzählung wagt Adalbert Stifter Blicke, die um 1840 nur wenige Menschen tun konnten: aus der Vogelperspektive, aus einem Ballon auf die Erde, aber auch ins All. Stifter selbst ist nie Ballon gefahren, er hatte die Vision und vermutlich die Berichte der seit 1783 erfolgreich betriebenen bemannten (und ebenso befrauten) Ballonfahrt. Das Sehen ist für den böhmischen Schriftsteller eine unerschöpfliche Grundlage seines Schreibens gewesen.
Seit den 2010er-Jahren steht auf dem Dobrá Voda (Kreuzberg), oberhalb von Horní Planá ein Aussichtsturm. Wer die 32 Meter zur oberen Plattform hinaufsteigt, hat von dort einen Blick auf einen Teil des Ortes, ein weiterer wird von Bäumen verdeckt. Dahinter erstreckt sich der gewaltige Lipno-See, eine Aufstauung der Moldau aus den 1950ern, und die dunklen Ketten der Berge des Böhmerwaldes. Diesen Ausblick konnte Stifter selbst nicht genießen; es lässt sich nur darüber spekulieren, was der Dichter bei diesem Panorama, der grundstürzenden Veränderung der Landschaft seiner Kindheit, den im Wasser versunkenen Orten, den Segeln auf dem See empfunden und geäußert hätte.
1805 ist er in einem Haus in Oberplan, so der deutsche Name des Ortes, geboren. Das Haus, in dem er bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr aufwuchs, ist seit 1960 ein Museum, nur ist das Haus nicht mehr das Haus. Nach einem Brand im Jahr 1934 wurde es rekonstruiert und steht heute frisch gestrichen am Rand der vielbefahrenen Hauptstraße durch den Ort. Und auch der Ort ist nicht mehr der Ort, Brände, Wachstum, neue Baustile und nicht zuletzt der Tourismus haben ihn im Lauf von über zweihundert Jahren stark verändert.
Außenansicht des Stifterhauses
Wer das Stifterhaus durch die schwere Holztür betritt, steht auf einem unebenen Boden. Gleich links liegt die Stube, die der Dichter selbst aus der Erinnerung beschrieb, steht der alte (oder der dem alten nachempfundene) Kachelofen mit der um zwei Seiten laufenden Bank. Das Museum zeigt eine klassische Ausstellung mit Vitrinen, in denen Bücher, (reproduzierte) Handschriften und zu Stifter gehörende Ausstellungsstücke präsentiert werden. Das vielleicht auffälligste Objekt in diesem Raum ist die von Josef Rint abgenommene Totenmaske des Dichters. Stifter, in seinen Mannesjahren sehr beleibt, hatte am Ende seines Lebens eingefallene Wangen.
Es ist still in der Stube, der Blick hinaus durch das Fenster, auf dessen Bank Geranien blühen, geht auf eine scheinbar geräuschlose Welt, auf das Haus gegenüber, die ab und zu von Lastwagen unterbrochene Reihe der Autos mit Fahrradträgern am Heck und Wohnmobile auf dem Weg zu den Campingplätzen des nahen Stausees. Zum Baden oder wegen des Wassersports kommt man heutzutage nach Horní Planá, wegen Stifter vielleicht auch. Was man über den Ort zu seiner Kindheitszeit am Anfang des 19. Jahrhunderts weiß, ist vielfach durch den Autor selbst überliefert. Außer ein paar Zahlen, kaum hundert Häuser, hauptsächlich Leinweber …, war den Chronisten kaum etwas berichtenswert. Stifter aber kehrte im Jahr vor seinem Tod als kranker und verdüsterter Mann zurück und schrieb über Oberplan, über die Welt seiner Kindheit: „Es waren dunkle Flecken in mir. Die Erinnerung sagte mir später, daß es Wälder gewesen sind, die außerhalb mir waren. Dann war eine Empfindung, wie die erste meines Lebens, Glanz und Gewühl, dann war nichts mehr.“
Sein Biograf Wolfgang Matz berichtet dürr über diese Jahre. Demnach war Stifter durchaus von heftigem Charakter, einem Mädchen schlug er ein Butterbrot aus der Hand und dem eignen Bruder stieß er ein Messer in die Seite, dass er blutete. Es gab Strafen für den Jungen, Prügel oder stundenlanges Knien. Im Taubenschlag – nach dem Brand von 1934 nicht wiedererrichtet – las er heimlich ein Ritterepos. Der Lehrer ließ ihn Briefe und Aufsätze üben. Jäh brach die Katastrophe in das Leben des gerade Zwölfjährigen. Der Vater, der vom Weberhandwerk zum Handel gewechselt hatte, verunglückte 1817 tödlich mit dem Wagen. Die Mutter fühlte sich vielleicht verraten und schenkte es ihren Kindern ein: Nun seid ihr verlassen und habt keinen Vater mehr … Zu seinem Glück kam Stifter, der übrigens auch Tschechisch sprach, bald fort von der Familie. Der Großvater sorgte dafür, dass er nach Kremsmünster auf die Lateinschule gehen durfte.
In Horní Planá sind außer dem Geburtstort zu besichtigen: Die Pfarrkirche mit der von Adalbert Stifter in Auftrag gegebenen Gedenktafel für seine Mutter, die alte Schule, die Stifter von 1811-1818 besuchte (mit einer Gedenktafel für seinen Lehrer Jenne), die Gutwasserkapelle, auf die sich „Der beschriebene Tännling“ bezieht sowie das Denkmal für Adalbert Stifter im Waldpark, der bereits 1884 zu Ehren des Dichters angelegt wurde. Der Berg Plechý (Plöckenstein) mit dem Stifter-Denkmal liegt südlich des Lipno-Sees. Eine Fähre kürzt den Weg dorthin ab.
Kachelofen im Stifterhaus; Totenmaske Adalbert Stifters
Stifter-Museumsstraße – 1. Etappe: Horní Planá, Oberplan
„Wie weit, Coloman?“, fragte der Luftschiffer.
„Fast Montblancs Höhe“, antwortete der alte Mann, der am andern Ende des Schiffchens saß, „wohl über vierzehntausend Fuß, Mylord.“
„Es ist gut.“
Cornelia sah bei dieser Rede behutsam über Bord des Schiffes und tauchte ihre Blicke senkrecht nieder durch den luftigen Abgrund auf die liebe verlassene, nunmehr schimmernde Erde, ob sie etwa bekannte Stellen entdecken möge – aber siehe, alles war fremd, und die vertraute Wohnlichkeit derselben war schon nicht mehr sichtbar, und mithin auch nicht die Fäden, die uns an ein teures, kleines Fleckchen binden, das wir Heimat nennen. Wie große Schatten zogen die Wälder gegen den Horizont hinaus – ein wunderliches Bauwerk von Gebirgen, wie wimmelnde Wogen, ging in die Breite und lief gegen fahle Flecken ab, wahrscheinlich Gefilde. Nur ein Strom war deutlich sichtbar, ein dünner, zitternder Silberfaden, wie sie oft im Spätherbste auf dunkler Haide spinnen. Über dem Ganzen schien ein sonderbar gelbes Licht zu schweben. (aus: Adalbert Stifter, Der Condor. Wien 1840)
In seiner ersten publizierten Erzählung wagt Adalbert Stifter Blicke, die um 1840 nur wenige Menschen tun konnten: aus der Vogelperspektive, aus einem Ballon auf die Erde, aber auch ins All. Stifter selbst ist nie Ballon gefahren, er hatte die Vision und vermutlich die Berichte der seit 1783 erfolgreich betriebenen bemannten (und ebenso befrauten) Ballonfahrt. Das Sehen ist für den böhmischen Schriftsteller eine unerschöpfliche Grundlage seines Schreibens gewesen.
Seit den 2010er-Jahren steht auf dem Dobrá Voda (Kreuzberg), oberhalb von Horní Planá ein Aussichtsturm. Wer die 32 Meter zur oberen Plattform hinaufsteigt, hat von dort einen Blick auf einen Teil des Ortes, ein weiterer wird von Bäumen verdeckt. Dahinter erstreckt sich der gewaltige Lipno-See, eine Aufstauung der Moldau aus den 1950ern, und die dunklen Ketten der Berge des Böhmerwaldes. Diesen Ausblick konnte Stifter selbst nicht genießen; es lässt sich nur darüber spekulieren, was der Dichter bei diesem Panorama, der grundstürzenden Veränderung der Landschaft seiner Kindheit, den im Wasser versunkenen Orten, den Segeln auf dem See empfunden und geäußert hätte.
1805 ist er in einem Haus in Oberplan, so der deutsche Name des Ortes, geboren. Das Haus, in dem er bis zu seinem dreizehnten Lebensjahr aufwuchs, ist seit 1960 ein Museum, nur ist das Haus nicht mehr das Haus. Nach einem Brand im Jahr 1934 wurde es rekonstruiert und steht heute frisch gestrichen am Rand der vielbefahrenen Hauptstraße durch den Ort. Und auch der Ort ist nicht mehr der Ort, Brände, Wachstum, neue Baustile und nicht zuletzt der Tourismus haben ihn im Lauf von über zweihundert Jahren stark verändert.
Außenansicht des Stifterhauses
Wer das Stifterhaus durch die schwere Holztür betritt, steht auf einem unebenen Boden. Gleich links liegt die Stube, die der Dichter selbst aus der Erinnerung beschrieb, steht der alte (oder der dem alten nachempfundene) Kachelofen mit der um zwei Seiten laufenden Bank. Das Museum zeigt eine klassische Ausstellung mit Vitrinen, in denen Bücher, (reproduzierte) Handschriften und zu Stifter gehörende Ausstellungsstücke präsentiert werden. Das vielleicht auffälligste Objekt in diesem Raum ist die von Josef Rint abgenommene Totenmaske des Dichters. Stifter, in seinen Mannesjahren sehr beleibt, hatte am Ende seines Lebens eingefallene Wangen.
Es ist still in der Stube, der Blick hinaus durch das Fenster, auf dessen Bank Geranien blühen, geht auf eine scheinbar geräuschlose Welt, auf das Haus gegenüber, die ab und zu von Lastwagen unterbrochene Reihe der Autos mit Fahrradträgern am Heck und Wohnmobile auf dem Weg zu den Campingplätzen des nahen Stausees. Zum Baden oder wegen des Wassersports kommt man heutzutage nach Horní Planá, wegen Stifter vielleicht auch. Was man über den Ort zu seiner Kindheitszeit am Anfang des 19. Jahrhunderts weiß, ist vielfach durch den Autor selbst überliefert. Außer ein paar Zahlen, kaum hundert Häuser, hauptsächlich Leinweber …, war den Chronisten kaum etwas berichtenswert. Stifter aber kehrte im Jahr vor seinem Tod als kranker und verdüsterter Mann zurück und schrieb über Oberplan, über die Welt seiner Kindheit: „Es waren dunkle Flecken in mir. Die Erinnerung sagte mir später, daß es Wälder gewesen sind, die außerhalb mir waren. Dann war eine Empfindung, wie die erste meines Lebens, Glanz und Gewühl, dann war nichts mehr.“
Sein Biograf Wolfgang Matz berichtet dürr über diese Jahre. Demnach war Stifter durchaus von heftigem Charakter, einem Mädchen schlug er ein Butterbrot aus der Hand und dem eignen Bruder stieß er ein Messer in die Seite, dass er blutete. Es gab Strafen für den Jungen, Prügel oder stundenlanges Knien. Im Taubenschlag – nach dem Brand von 1934 nicht wiedererrichtet – las er heimlich ein Ritterepos. Der Lehrer ließ ihn Briefe und Aufsätze üben. Jäh brach die Katastrophe in das Leben des gerade Zwölfjährigen. Der Vater, der vom Weberhandwerk zum Handel gewechselt hatte, verunglückte 1817 tödlich mit dem Wagen. Die Mutter fühlte sich vielleicht verraten und schenkte es ihren Kindern ein: Nun seid ihr verlassen und habt keinen Vater mehr … Zu seinem Glück kam Stifter, der übrigens auch Tschechisch sprach, bald fort von der Familie. Der Großvater sorgte dafür, dass er nach Kremsmünster auf die Lateinschule gehen durfte.
In Horní Planá sind außer dem Geburtstort zu besichtigen: Die Pfarrkirche mit der von Adalbert Stifter in Auftrag gegebenen Gedenktafel für seine Mutter, die alte Schule, die Stifter von 1811-1818 besuchte (mit einer Gedenktafel für seinen Lehrer Jenne), die Gutwasserkapelle, auf die sich „Der beschriebene Tännling“ bezieht sowie das Denkmal für Adalbert Stifter im Waldpark, der bereits 1884 zu Ehren des Dichters angelegt wurde. Der Berg Plechý (Plöckenstein) mit dem Stifter-Denkmal liegt südlich des Lipno-Sees. Eine Fähre kürzt den Weg dorthin ab.
Kachelofen im Stifterhaus; Totenmaske Adalbert Stifters