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Abb. 34: Das Hausbuch (München, Allitera Verlag, 2009) ist weiterhin lieferbar. Foto: Allitera Verlag

Mannheimer Straße 5: Hermann und Hanne Lenz

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Abb. 33: Das einstige Wohnhaus von Hanne und Hermann Lenz in München, Mannheimer Straße 5, ist heute Sitz der Hermann-Lenz-Stiftung. Foto (2020): Beate Grentzenberg

Wer mag, kann mit Michael Krüger aus der Baumkrone der Esche am Siegestor weiter Ausschau halten, nach Norden und Süden, und dann mit ihm in den Englischen Garten, zum Haus der Kunst oder zum Lyrik-Kabinett gehen. Einer dieser Wege könnte aber auch die Leopoldstraße hinauf über die Münchner Freiheit hinaus bis zur Mannheimer Straße 5 führen, wo Hanne und Hermann Lenz seit 1975 gelebt haben und Peter Handke wiederholt zu Gast war. In „‘Peters Zimmer‘“, eigens für ihn eingerichtet, hat Handke 1979 seine Erzählung Langsame Heimkehr geschrieben.[89] Darin versucht ein Landvermesser namens Sorger, Wissenschaft und Phantasie in Einklang zu bringen; die Landschaftserkundung ist unschwer als Metapher für die literarische Welterkundung zu erkennen. Wissenschaftliche Sachlichkeit und Genauigkeit sollen der Phantasie Struktur geben, sollen dem Landvermesser oder Schriftsteller „weiterhelfen, indem sie seine Phantasie strukturierten“.[90] So erkennt Sorger an der Schlüsselstelle der Erzählung beim Zeichnen einer Erdbeben-Landschaft deren strukturelle Ähnlichkeiten mit einer „hölzerne(n) Tanzmaske“,[91] einer bei Lévi-Strauss abgebildeten Xwéxwé-Maske der Kwakiutl (im heutigen Kanada), „die das Erdbeben darstellt“.[92] In Langsame Heimkehr fand Peter Handke, der einstige Publikumsbeschimpfer und sprachkritische Anti-Dichter, zu einer neuen, an Paul Cézanne, Claude Lévi-Strauss und Hermann Lenz orientierten, sozusagen strukturalen Schreibweise, die nicht zuletzt die Kleine Fabel der Esche von München überhaupt erst möglich gemacht hat.

Abb. 35:  Der Talisman auf dem Schreibtisch von Hermann Lenz: Ziegelstein aus dem Dielen-Kamin im einstigen Münchner Haus Thomas Manns, 2022. Foto: Dirk Heißerer

Das Elternhaus von Hanne Lenz war 1935 erbaut worden und wurde vermutlich am 12. Juli 1944 durch eine Brandbombe bei eben demjenigen Fliegerangriff stark beschädigt, bei dem auch das Siegestor (vgl. Station 2) und das Haus der „Baronesse Vellberg“ in der Schackstraße 6 (vgl. Station 5) zerstört wurden; das dreistöckige Haus konnte aber gerettet werden.[93] Heute ist in der Mannheimer Straße 5 der Sitz der Hermann-Lenz-Stiftung zur „Erhaltung des Andenkens und des Werkes von Hermann Lenz“ sowie „im engeren Sinn die finanzielle Unterstützung von Autoren und Literaturwissenschaftlern zur Förderung ihrer schriftstellerischen oder wissenschaftlichen Tätigkeit durch Vergabe von Stipendien und/oder Sachleistungen“.[94] (Abb. 33) Das „stille Haus“, dem 2009 ein schmaler Band gewidmet wurde (Abb. 34), birgt noch einen besonderen Talisman. In der Dachstube hatte Hermann Lenz seine Dichterklause. Auf seinem Schreibtisch liegt links außen noch immer ein Ziegelstein, den Hanne Trautwein bei ihrem Besuch der zerstörten Villa Thomas Manns am 25. April 1944 aus dem Backsteinkamin herausgebrochen hat.[95] (Abb. 35) Ein Foto, das Katia Mann mit den Kindern Klaus, Erika, Golo und Monika 1915 vor eben diesem Kamin zeigt (Abb. 36), lässt erahnen, welche Erinnerung dieses Bruchstück auf dem Schreibtisch dauerhaft wachhält.

Abb. 36: München, Herzogpark Haus Poschingerstraße 1 auf der Diele vor dem Kamin: Katia Mann mit den Kindern (v.l.n.r.) Klaus, Erika, Golo und Monika, 1915. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt / TMA_1135

Und so endet der literarische Spaziergang um die „Esche von München“ – mit den guten Aussichten für die „Erinnerung an früher“ ebenso wie für die Literatur und ihre Wissenschaft von heute und morgen.

 

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[89] Vgl. Norbert Hummelt: Im stillen Haus (wie Anm. 37), S. 59.

[90] Peter Handke: 2. Das Raumverbot, in: Peter Handke: Langsame Heimkehr. Erzählung. Frankfurt am Main 1979, S. 91-147, hier S. 107.

[91] Ebd., S. 112.

[92] Vgl. Claude-Lévi Strauss: Der Weg der Masken. Aus dem Französischen von Eva Moldenhauer. Mit Abbildungen. Frankfurt am Main 1977, Abb. I (nach S. 80).

[93] Zum Baujahr des Hauses 1935 und der Überschreibung an Hanne Trautwein 1938 vgl. Hans Dieter Schäfer: Hermann Lenz – Das Tagebuch aus dem Nachlaß. Mit einer Spurensuche und einer Familienerinnerung von Hanne Lenz. Mainz 2016 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der Klasse der Literatur und der Musik, Jg. 2016, Nr. 1), S. 52; zur Beschädigung des Hauses vermutlich am 12. Juli 1944 und der Rettung vor dem Abbrennen vgl. Michael Schwidtal: Nachwort, in: Hanne Trautwein, Hermann Lenz: Der Briefwechsel 1937-1946 (wie Anm. 54), S. 1035-1045, hier S. 1040; vgl. auch die Abb. des beschädigten Hauses ebd., Abb. 35 (nach S. 1034).

[94] Vgl. https://www.hermann-lenz-stiftung.de/

[95] Briefliche Mitteilung von Joachim Jung, München, an Dirk Heißerer vom 23.03.2004.

Verfasst von: Dr. Dirk Heißerer