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Grete Weil, ca. 1926/27 (Archiv Monacensia)

München, Leopoldstraße 36

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1933: Foto aus dem Fotoatelier Wasow, Sign. DMA_PT_01489_01-01 (Archiv Monacensia)

Grete Weil wird Fotografin im bekannten Fotoatelier Wasow in der Leopoldstraße

Grete Weil beabsichtigt ursprünglich über die Entwicklung des Bürgertums zu promovieren, am Beispiel des von 1786 bis 1827 erscheinenden Journals des Luxus und der Moden. Die politischen Umstände zwingen sie jedoch seit 1933, die geplante Dissertation abzubrechen. Mit ihrem Mann Edgar Weil fasst sie nach vielen Überlegungen schließlich den Entschluss nach Amsterdam zu emigrieren. Während ihr Mann München schon 1933 verlässt, um in Amsterdam eine Fabrik aufzubauen, absolviert Grete Weil vor ihrer Emigration in die Niederlande 1935 von 1933 bis 1935 eine Fotografie-Lehre beim bekannten Münchner Porträtfotografen Eduard (auch Edmund) Wasow (1879-1944) in der Leopoldstraße 36. Ihr Plan ist es, im Exil in Amsterdam als Fotografin zu arbeiten und Geld zu verdienen.

Während ihrer Fotografenlehre ist sie mit Wasow auch im Auftrag der Organisation Todt fotografisch an einer Dokumentation der am 21. März 1934 mit dem ersten Spatenstich durch Adolf Hitler begonnenen Bauausführung der Reichsautobahn-Trassierung zwischen München und Salzburg beteiligt. Es ist das zweite NS-Großprojekt dieser Art nach der Strecke Frankfurt am Main – Darmstadt – Heidelberg. Aus dem Fotoatelier Wasow ist ein Foto überliefert, das Edgar Weil zeigt. Sehr wahrscheinlich stammt das Foto von Grete Weil selbst.

Edgar geht zunächst allein nach Amsterdam, wohnt dort in einer Pension in der Beethovenstraat, bis ich nachkomme. Es ist mir nie im Traum eingefallen, Fotografin zu werden, doch scheint es einer der wenigen Berufe zu sein, mit dem man ohne große Kenntnisse, mit ein bisschen Geschick und offenen Augen sich ernähren kann. Keine Schule nimmt 1936 mehr Juden auf. Da gehe ich zu dem Portraitfotografen Wasow nach München, der ein paar Jahre früher Aufnahmen von mir gemacht hat und überrede ihn, mich als Schülerin anzunehmen. [...] Ganz langsam macht das Fotografieren sogar Spaß. Es lassen sich nicht viele Menschen mehr fotografieren, die Zeit ist wohl zu aufregend, um an solche Dinge zu denken. Die Geschäfte gehen schlecht. Da bekommt Wasow, der einst ein Bohemien und wohl auch ziemlich links gewesen ist, von der nazistischen Organisation Todt, deren Gründer Fritz Todt seit 1933 als Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen zuständig ist, den Auftrag, den Bau der ersten Reichsautobahn München-Salzburg zu dokumentieren. Wasow nimmt mich mit, vielmehr lässt er sich von mir im alten Opel meiner Eltern fahren. Zuvor habe ich ihm erklärt, dass ich weder die Hand zum deutschen Gruß heben, noch Heil Hitler sagen werde. [...] Wir sollen den Bau der Mangfallbrücke aufnehmen, die sich zwischen Holzkirchen und Weyarn 80 m hoch über den kleinen Fluss schwingt. [...] Da kommt ein Arbeiter mit einem frechen Gesicht und fragt, was ich hier suche. Ich sage, dass ich die Assistentin des Fotografen da oben bin und auf ihn warte. Er schaut mich prüfend von oben bis unten an und sagt: „Sind Sie denn überhaupt rein arisch?“ Ich: „Nein“. Und er: „Das ist aber interessant.“ Mir ist elend zumute, auf der Heimfahrt spreche ich kein Wort mehr und fahre, nachdem ich Wasow abgesetzt habe, sofort zu meinem Bruder, in die Kanzlei um die Geschichte zu erzählen. Fritz meint, ich müsse es Wasow auf jeden Fall sagen, was ich auch gleich tue. Wasow regt sich schrecklich auf, es steht für ihn ja viel auf dem Spiel, im Grunde ist dieser Auftrag zu jener Zeit seine einzige Einnahmequelle. Er nennt mich immer Frau Doktor und du. Schreit mich verzweifelt an: „Warum hast Du nicht gesagt, dass du arisch bist?“ „Weil er mir nicht geglaubt hätte“, sage ich ruhiger als ich in Wirklichkeit bin, und tatsächlich hören wir nichts mehr von der Geschichte. Der Arbeiter ist sicher zufrieden, mich erschreckt zu haben, hätte ich gelogen, wäre er wahrscheinlich der Sache nachgegangen.

(Grete Weil: Leb ich denn, wenn andere leben. S. Fischer, Frankfurt 2001, S. 135)

1935 emigriert Grete Weil nach Amsterdam. Dort zieht sie zu ihrem Mann in die Beethovenstraat. Sie übernimmt hier das Fotoatelier der Fotografin Edith Schlesinger, unter deren Namen sie auch ihr eigenes Atelier führt. In ihrer Autobiografie berichtet sie, wie es ihr tatsächlich mit dem Beruf der Fotografin in Amsterdam gelang, gutes Geld zu verdienen:

Die volle Bedeutung des Geldes lernte ich erst in der Emigration kennen, in der ich als Fotografin in Amsterdam zum ersten Mal und garnicht schlecht verdiente. Ich sah, wenn es sein musste, ging es, und als ich bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges beschloss, nach Deutschland zurückzukehren, um Schriftstellerin zu werden, wusste ich, wie entsetzlich schwer, ja, wie fast unmöglich es sein würde, schreibend genug zu verdienen, um zu überleben. Ich wagte es trotzdem, konnte es wagen, denn da gab es die in der Hitlerzeit zwangsweise verkaufte pharmazeutische Fabrik von Edgars Vater. Ich fuhr nach Deutschland mit dem festen Vorsatz sie zurückzubekommen.

(Ebda., S. 83)

 


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Verfasst von: Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

H. W. (1920): Die Kunst des Fotografierens. In: Die Kunst 42 (Monatsheft für freie und angewandte Kunst). URL: https://www.lexikus.de/bibliothek/Die-Kunst-des-Fotografierens, (15.08.22).


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